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Abgelehnte Bewerber: Nein danke!

Trotz des um sich greifenden Personalmangels kassieren manche Kandidaten immer wieder Absagen. Experten erklären, woran das liegen kann.

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Als Kilian Sander* sich entschloss, von der Selbstständigkeit in eine Festanstellung zu wechseln, machte er immer wieder die gleiche Erfahrung: Sobald der IT-Architekt im Bewerbungsprozess seinen Gehaltswunsch angab, lehnten Unternehmen ihn ab. Dieser lag mit 80.000 Euro zwar über dem Durchschnitt - war für seine Position, die Referenzen und die fünf Jahre Berufserfahrung, die der 26-Jährige vorweisen konnte, aber nicht unrealistisch. Seinen heutigen Job bei einem Konzern fand er nicht über den offiziellen Bewerbungsweg - sondern über einen Freund mit guten Kontakten in das Unternehmen.

Sanders Fall zeigt: Trotz Personalnot lehnen Arbeitgeber immer noch qualifizierte Fachkräfte ab. Dabei werden Talente nach wie vor dringend gebraucht. Jedes dritte deutsche Unternehmen will in den ersten drei Monaten dieses Jahres neue Arbeitsplätze schaffen, ergab eine Umfrage des Personaldienstleisters Manpower. Allein die Dax-Konzerne haben im Januar 27.263 Stellen ausgeschrieben.

Woran kann es liegen, dass ein Bewerber trotz guter Qualifikationen eine Absage erhält? Das Handelsblatt hat mit Fachleuten über die fünf wichtigsten möglichen Gründe gesprochen.

1. Kandidaten bewerben sich unüberlegt

Liene Karaca ist Gründerin von Smartist One, einem Personaldienstleister, der gefragte IT-Fachkräfte für mittelständische Unternehmen und Konzerne rekrutiert. Täglich lehnt Karaca viele Bewerber ab. Nur einen von 20 präsentiere sie ihren Kunden im Schnitt, sagt sie.

Unter den Bewerbungen sei oft nur eine einzige, "die einigermaßen zur gesuchten Qualifikation passt". Karacas Eindruck: Viele Kandidaten lesen die Stellenanzeigen nicht richtig. Zuletzt habe sie einen IT-Consultant abgelehnt, der kein Deutsch spreche - obwohl das Unternehmen dies explizit vorausgesetzt habe.

Der Coach Stefan Wickenhäuser hat in Umfragen Hunderte Personaler nach ihren Erfahrungen bei der Besetzung von Stellen gefragt. Er sagt: "Viele Kandidaten wissen nicht genau, was sie wollen." Das führe teils zu beliebig wirkenden Bewerbungen, die kaum zur ausgeschriebenen Stelle passten und Unternehmen eher abschreckten.

Viele Kandidaten wissen nicht genau, was sie wollen.

Stefan Wickenhäuser, Coach

Das Problem dahinter: mangelnde Selbstreflexion der Bewerber, nicht nur in Bezug auf die fachliche Qualifikation. Auch andere Fragen kämen zu kurz. Etwa: Was ist mir an einem Unternehmen wichtig? Wer das beantworten könne, sagt Wickenhäuser, reduziere die Zahl der "Falschbewerbungen" - und damit der Absagen.

2. Erwartungen passen nicht zueinander

Ein weiterer möglicher Grund für eine unerwartete Absage: Die Vorstellungen von Bewerber und potenziellem Arbeitgeber in Sachen Gehalt und Arbeitsbedingungen passen nicht zueinander. Elke Ahlers leitet bei der Hans-Böckler-Stiftung das Referat "Qualität der Arbeit". Sie beobachtet, dass viele Bewerber heute kürzer treten wollen als noch vor einigen Jahren. "Die jetzige Arbeitsmarktlage lässt es für die Unternehmen eigentlich nicht zu, zum Beispiel auf Vollzeitstellen und Überstunden zu beharren." Viele täten dies trotzdem.

Raik Jarau, Geschäftsführer des Hamburger Personaldienstleisters HZL Consulting, bestätigt diesen Eindruck. Mit seinem Unternehmen hilft er Firmen unter anderem dabei, für geeignete Fachkräfte online sichtbarer zu werden. "Wenn wir mit unseren Kunden darüber sprechen, warum sie Bewerber trotz passender Qualifikationen nicht genommen haben, hören wir immer wieder zwei Hauptgründe. Entweder es passt von der Kultur und den Wertevorstellungen nicht - oder die Gehaltsvorstellung ist zu hoch."

3. Personalabteilungen sind überfordert

Smartist-One-Geschäftsführerin Karaca ist oft irritiert, wie wenig Herzblut manche Unternehmen in ihre Bewerbersuche stecken. "Kürzlich hatte ich den Fall, dass ein Unternehmen mit einer fünf Jahre alten Stellenausschreibung nach Jobkandidaten gesucht hat", erzählt sie.

Coach Wickenhäuser wundert das nicht. Für ihn liegt das Problem vor allem darin, dass Personalabteilungen nicht genügend Ressourcen von ihren Unternehmen gestellt bekommen. "Es mangelt HR-Bereichen oft an vier Dingen: Budget, Verantwortung, Kompetenz und Wertschätzung."

Dazu kämen oft Fachbereiche, in denen die Verantwortlichen selbst nicht genau wüssten, welche Aufgaben ein gesuchter Kandidat überhaupt erledigen solle. "So werden Kandidaten, die vielleicht erst auf den zweiten Blick zum Unternehmen passen, nicht berücksichtigt."

4. Vorurteile gegenüber bestimmten Bewerbergruppen

Obwohl Unternehmen deutlich mehr Menschen mit Migrationshintergrund einstellen als noch vor einigen Jahren, ist Diskriminierung aufgrund der Herkunft noch immer ein möglicher Grund für Absagen an Bewerber. Gerhard Bosch, Professor am Institut für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen, sagt: "Die größte Hürde, die Migranten bei Unternehmen überwinden müssen, ist immer noch die Bewerbung." Auch Studien belegten dies immer wieder.

Die größte Hürde, die Migranten bei Unternehmen überwinden müssen, ist immer noch die Bewerbung.

Gerhard Bosch, Professor am Institut für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen

Dabei sei Zuwanderung ein wichtiges Mittel, um die Personalnot in Deutschland zu lindern, sagt der Experte. Allein der Anteil der Auszubildenden, die keinen deutschen Pass haben, ist in den vergangenen zehn Jahren um 113 Prozent gewachsen. Das ist ein Ergebnis des "Berufsbildungsberichts 2022" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Bosch sagt: "Wir würden vor einem viel drastischeren Fachkräftemangel stehen, wenn nicht mehr Migranten in die Ausbildung gekommen wären."

5. Kandidaten erfüllen bestimmte Formalia nicht

Ruth Wolfs arbeitet als Vermittlerin für die Bundesagentur für Arbeit. Ihre tägliche Aufgabe: Dutzende Arbeitssuchende in neue Jobs bringen. Eine Kandidatin, die sie betreut hat, ist ihr besonders im Gedächtnis geblieben. "Ich habe einer 26-jährigen Bewerberin bei der Jobsuche geholfen", erzählt sie, "eine medizinische Fachangestellte mit drei Jahren Berufserfahrung."

Die Frau habe sich auf Stellen in einem anderen Fachbereich beworben. Nach einem Vorstellungsgespräch sei sie abgelehnt worden, weil sie keinen Röntgenschein hatte. Um diesen zu bekommen, so Wolfs, hätte die Bewerberin lediglich einen dreitägigen Kurs machen müssen.

Ein Problem, das auch Coach Wickenhäuser kennt. Er sieht die Wurzel des Problems in der mangelhaften Zusammenarbeit der verschiedenen Unternehmensbereiche. "Die Fachbereiche wissen sehr selten, welche Art Kandidat sie wirklich benötigen." Man halte sich dort dann an starren Kriterien fest, wie etwa: "Der Kandidat muss die Technologie X beherrschen." Mit dieser Vorgabe gingen die Recruiter dann auf Kandidatensuche - und sagten auch Talenten ab, die die geforderte Fähigkeit innerhalb kürzester Zeit erlernen könnten.

*Name von der Redaktion geändert

Dieser Text erschien zuerst im Handelsblatt.

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