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Jobs & Karriere: Willkommen im Club der Juristen

Rund 10 000 Jura-Absolventen verlassen jedes Jahr die Universitäten. Nicht alle finden einen Job. Mehr denn je gilt: frühzeitig spezialisieren, Fachwissen aneignen, Praktika absolvieren. Dann kann man auch gut verdienen

Gehört das Positron zu den Bestandteilen eines Atoms? Wer hat das Musical „My Fair Lady“ komponiert? Und sitzt jemand namens Neil Kinnock in der aktuellen EU-Kommission? Fragen wie diese sind den meisten Juristen herzlich egal – es sei denn, sie wollen, wie Philipp Wendel, ins Auswärtige Amt. Der promovierte Jurist wusste die korrekten Antworten: Nein, Frederick Loewe, nein. Er bestand den Wissenstest für angehende Diplomaten, den Intelligenztest, einen Aufsatz und zwei Sprachtests.

„Das Auswahlverfahren ist ganz schön hart“, sagt Wendel. 1600 Kandidaten hatten sich beworben, im Frühjahr wurden er und 34 weitere Jung-Akademiker als Anwärter für den höheren Auswärtigen Dienst angenommen. Warum er sich dieser Herausforderung stellte und seine Bewerbung nicht an eine Kanzlei schickte? „Die ganze Welt als Arbeitsplatz – das hat mich enorm gereizt“, sagt er. Und er hat gute Chancen, dort zu bestehen. Auslandspraktikum bei einer Wirtschaftskanzlei in Warschau, ausgezeichnete Englisch- und Französischkenntnisse, Studium in Tübingen, Aix-en-Provence, Kiel und Miami – ein Job als hochbezahlter Wirtschaftsanwalt wäre wohl auch drin gewesen.

Stattdessen drückt er noch mal die Schulbank. An der Akademie des Auswärtigen Dienstes büffelt er bis Mai Wirtschaft, Politik, Recht und Geschichte. Besteht er die Abschlussprüfung, kann Philipp Wendel seinen Job antreten. Am liebsten auf „heißem Pflaster“, wie der Newcomer sagt. „Reizvoll fände ich ein Land, in dem deutsche Außenpolitik viel bewegen kann, zum Beispiel in Israel oder im Kaukasus.“ Schon als Schüler habe er an Austauschprogrammen teilgenommen und dabei immer im Hinterkopf mit dem Gedanken gespielt, später einmal seine Heimat repräsentieren zu wollen. Außerdem reizt ihn das Rotationsprinzip im Auswärtigen Dienst. „Mit dem Einsatzort wechseln die Aufgaben. Deshalb muss man Generalist sein.“

Wer es wie Philipp Wendel in den Staatsdienst schafft, ist fein raus. Als lebenslang abgesicherter Beamter hat er die Chance, alle paar Jahre in einem anderen Land zu arbeiten. Doch diese luxuriöse Qual der Wahl hat längst nicht jeder der rund 10 000 Jura-Absolventen, die jährlich die Uni mit dem zweiten juristischen Staatsexamen in der Tasche verlassen. Anders als Elektrotechniker, Maschinenbauer, Finanzer oder Informatiker, deren akademischer Nachwuchs auf dem Arbeitsmarkt stark gefragt ist, können sich bei den Juristen nur Spitzenleute ihre Jobs wirklich aussuchen.

Selbst wenn die Jobofferten für Juristen in den Tages- und Fachzeitungen laut Personaldienstleister Adecco 2005 und 2006 erstmals wieder angestiegen sind: Sozialversicherungspflichtige Stellen in Kanzleien, Behörden oder Rechtsabteilungen sind immer noch knapp. 2006 wurden fast 40 Prozent weniger Juristen gesucht als noch fünf Jahre zuvor, und das bei annähernd gleicher Absolventenzahl.

Wer sich nach dem Examen nicht in das Heer der zurzeit fast 6000 arbeitslos gemeldeten Juristen einreihen will, muss die Weichen früh stellen. „Drauflos studieren und hoffen, dass es schon irgendwie mit dem Traumjob klappt, ist reine Traumtänzerei“, mahnt der Sprecher der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), Stephan Göcken. Höchstens zehn Prozent der Absolventen eines Jahrgangs kämen in Justiz oder Verwaltung unter.

Wer plant, statt bei einer Behörde oder einer internationalen Organisation lieber in der Rechtsabteilung eines großen Unternehmens einzusteigen, spezialisiert sich besser auf eines der im Wirtschaftsleben gefragten Rechtsgebiete. Rund 20 Prozent aller aktuellen Stellenangebote für Juristen entfallen laut Adecco auf private Unternehmen, auf Banken, Versicherungen, Immobiliengesellschaften, Pharma- und Chemiekonzerne und die Fertigungsindustrie.

Sogar viele Arbeitgeber aus dem öffentlichen Dienst sind heute mehr oder weniger unternehmerisch orientiert, etwa Krankenhäuser oder Energieversorger. Gefragt sind hier oft Experten für Arbeitsrecht, Vertragsgestaltung, Produkthaftung, Insolvenz- oder Steuerrecht. Aber vor allem Spezialisten für Gesellschaftsrecht haben Konjunktur: Die Aussicht für Juristen, die fachlich fit sind für die Begleitung von Übernahmen und Fusionen, sei derzeit besonders gut, sagt Jens Hohensee, Recruiting-Experte bei der Unternehmensberatung Kienbaum in Hamburg. Aufgerüttelt von zahlreichen Korruptionsskandalen richten immer mehr Unternehmen so genannte Compliance-Abteilungen ein, die für die Einhaltung und Umsetzung von Gesetzen und Vorschriften verantwortlich sind. Auch hier ergeben sich Job-Chancen für Rechtswissenschaftler, vorausgesetzt, sie verfügen über die jeweils nötige Branchenkenntnis. Bis zum Unternehmensvorstand ist es aber ein weiter Weg. Die Basis dazu legen Absolventen nach wie vor mit ihrer Abschlussnote.

Anders als beispielsweise bei den internationalen Großkanzleien gelingt der Einstieg in die freie Wirtschaft aber auch gut ohne eines der seltenen Prädikatsexamen: „Das Doppelt-Befriedigend ist zwar immer noch ein gutes Entree, ist aber längst kein unumgängliches Muss“, betont Kienbaum-Experte Hohensee. Tatsächlich unerlässlich für eine Wirtschaftskarriere seien vielmehr verhandlungssicheres Englisch, kaufmännische Grundkenntnisse und praktische Erfahrungen, die man sich frühzeitig in relevanten Praktika aneignet.

Doch selbst wenn die freie Wirtschaft mittlerweile interessante Einstiegschancen und Entwicklungsperspektiven bietet: Das Gros aller Jura-Absolventen landet noch immer im Anwaltsberuf. Rund drei Viertel des Nachwuchses wird doch Advokat. Die Hitliste der beliebtesten Arbeitgeber dominieren weiterhin die internationalen Top-Adressen der Zunft: Namen wie Freshfields Bruckhaus Deringer oder Hengeler Mueller oder Clifford Chance belegen unverändert Jahr für Jahr die vorderen Plätze beim Trendence Absolventen Barometer Law. Die Vision, vielleicht einmal als Partner den eigenen Nachnamen in großen Lettern neben den Anwaltslegenden hängen zu sehen, berauscht viele. Natürlich üben auch Einstiegsgehälter von 85 000 bis 100 000 Euro plus Bonus magische Anziehungskraft aus.

„Solche Summen sind in allen anderen Bereichen aber völlig illusorisch“, betont BRAK-Geschäftsführer Stephan Göcken. In der freien Wirtschaft muss der Juristen-Nachwuchs selbst in gut zahlenden Branchen wie der Automobilindustrie oder bei Pharmakonzernen mit deutlich weniger auskommen. Die Hälfte aller Berufseinsteiger ohne Promotion verdient laut Personalmarkt sogar weniger als 42 000 Euro brutto im Jahr. Das gilt erst recht für den Staatsdienst. Seine A13-Bezüge – zirka 3200 Euro brutto im Monat – kann Jung-Diplomat Philipp Wendel allenfalls mit der steuerfreien Auslandszulage auf Top-Kanzlei-Niveau hieven – vorausgesetzt er ist nicht im krisensicherenBrüssel oder in Kopenhagen tätig. Um sein Gehalt zu verdoppeln, müsste er schon Städte wie Nowosibirsk, Kiew,Dschibuti oder Luanda in Angola anpeilen. Je unwirtlicher ein Land politisch, wirtschaftlich und kulturell ist, desto höher fällt die Zusatzzahlung aus. Aber auch der Anwaltsnachwuchs in den Top-Kanzleien bekommt nichts geschenkt: 60- bis 70-Stunden-Wochen sind eher die Regel als die Ausnahme.

„Eine gute Balance von Arbeit und Privatleben, also weniger Nacht- und Wochenenddienste und kaum Reisetätigkeit, das vermuten Studenten zu Recht eher bei kleineren Kanzleien. Dort gewinnt man oft auch mehr Einblicke und kann vielseitiger arbeiten. Leicht zu finden sind solche Stellen allerdings nicht. Wer sich den Stress der Bewerbung und den Druck in einer Kanzlei hingegen nicht antun will, kann sein Glück auch selbst in die Hand nehmen. Florian Bischoff, 33, hat das beispielsweise getan. Im Sommer 2005 machte er sich selbstständig. Viel Kapital brauchte er dazu nicht. Ein kleines, präsentables Büro in der Innenstadt, für 7,50 Euro pro Quadratmeter, das war seine Investition. Und: Der Medienrechtler hatte Glück. Ein erster Mandant mit regelmäßigem Beratungsbedarf kam auf ihn zu, mit der Zeit wuchs die Kundenliste. „Das kam alles durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Nach einem halben Jahr sah er, dass es auch finanziell klappt.

Ab April 2008 bietet die Kanzlei Baker & McKenzie erstmals in Deutschland ein studienbegleitendes Mentorenprogramm an. Dafür bewerben können sich Studenten ab dem fünften Semester. Wer einen der 25 Plätze ergattert, erhält einen Partner als persönlichen Coach zur Seite gestellt, darf die Firmenbibliothek nutzen und wird zu Sprachkursen, Veranstaltungen oder auch in ein Auslandsbüro der Kanzlei eingeladen.

Nur wer das Anwaltsleben frühzeitig ausprobiert, kann zudem auch seine persönliche Eignung dafür überprüfen, sich spezialisieren oder gegebenenfalls in ganz andere Bahnen lenken. Und natürlich dürfen Anwälte, wenn sie allein oder mit Partnern eine Kanzlei führen möchten, keinerlei Scheu vor der Buchhaltung, den Steuern oder der Personalführung haben. Dass der ehemalige Vorsitzende der britischen Labour-Party Neil Kinnock seit 2004 kein EU-Kommissar mehr ist, das muss man als Anwalt allerdings nicht unbedingt wissen.

Beitrag aus dem Karriere-Magazin

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