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TikTok-Chef Shou Zi Chew

© IMAGO/NurPhoto

Tiktok und der kalte Cyberkrieg: Wird das beliebteste soziale Netzwerk in den USA verboten?

Über 150 Millionen Menschen in den USA nutzen Tiktok. US-Politiker und Experten sind wegen der Nähe der App zum chinesischen Staat besorgt.

Tiktok steht vor einer existenziellen Bedrohung. Die Video-Plattform ist in eine geopolitische Auseinandersetzung zwischen Washington und Peking geraten. US-Präsident Joe Biden droht mit einem landesweiten Verbot der App. Tiktok-Chef Shou Zi Chew trat am Donnerstag zum ersten Mal im US-Repräsentantenhaus auf, um die Vorwürfe an die Kurzvideo-Plattform zu entkräften. Ist das Verbot noch zu verhindern?

Geheimdienst und Vertreter von sowohl Demokraten als auch Republikanern sind der Meinung, dass Tiktok eine Bedrohung für die nationale Sicherheit in den USA darstellt. Die chinesische Regierung missbrauche Tiktok für ihre eigenen Interessen. Sie könne die Plattform nutzen, um Daten über Nutzer:innen zu sammeln, sie zu überwachen und zu manipulieren.

Zum Beispiel, indem sie Einfluss auf die öffentliche Meinung nehme und Desinformationen streue. Kritiker sorgen sich darüber hinaus über den Einfluss der App auf die psychische Gesundheit ihrer Anwender. Sie fördere Suchtverhalten und würde sich negativ auf die kognitiven Fähigkeiten auswirken.

Der Tiktok-Algorithmus produziert einen individuellen, endlosen Videostream.

© imago images/Cavan Images / Maciej Krynica

Bereits 2020 gab es unter Ex-Präsident Donald Trump Versuche, die Plattform zu verbieten – diese scheiterten allerdings aufgrund mangelnder rechtlicher Grundlage. Seit Dezember ist die App auf Diensthandys von US-Bundesbeamten verboten.

Vergangene Woche forderte US-Präsident Joe Biden über den Ausschuss für ausländische Investitionen (CFIUS) Bytedance – den Mutterkonzern von Tiktok – auf, Anteile chinesischer Investoren zu verkaufen. Diese belaufen sich auf 20 Prozent. Andernfalls drohe ein Verbot der App, und zwar landesweit. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wird aktuell im US-Repräsentantenhaus entwickelt.

Was für ein Verbot von Tiktok in den USA spricht

Bytedance steht schon länger wegen seiner Datenverarbeitung in der Kritik. Im Dezember konnten Bytedance-Mitarbeitende auf Nutzungsdaten von Journalisten zugreifen. Tiktok erklärte daraufhin, es handle sich nur um einen Einzelfall und man habe die Zugriffsmöglichkeiten infolgedessen verschärft. Doch die Unsicherheit bleibt.

Auch weil die chinesische Regierung unter gewissen Umständen Zugriff auf die Daten hat. Die Volksrepublik China hat Teile der in Tiktok genutzten Technologie als kritisch für die nationale Sicherheit definiert. Ein 2017 verabschiedetes Gesetz erlaubt Kundeninformationen aller chinesischen Unternehmen, die Auswirkungen auf die nationale Sicherheit haben, an die Regierung weiterzugeben.

Für ein Verbot spricht auch, dass die weniger einschneidende Forderung der Biden-Administration an Bytedance, sich von seinen chinesischen Anteilen zu trennen, aus Sicht von Experten unwahrscheinlich und nicht erfolgversprechend ist. Die Volksrepublik stellte sicher, dass sie gegen jeden Verkaufsversuch von Bytedance ein Veto einlegen kann. Im Dezember kündigte zudem das chinesische Handelsministerium an, den Verkauf der bei Tiktok eingesetzten Technologie in Zukunft noch weiter zu erschweren.

Außerdem löse Experten zufolge der Wechsel der Eigentumsverhältnisse das Problem der allgemeinen Datensicherheit nicht. Dies bestätigte selbst ein Tiktok-Vertreter gegenüber dem Wall Street Journal vergangene Woche: „Eine Änderung der Eigentumsverhältnisse würde keine neuen Beschränkungen des Datenflusses oder -zugangs mit sich bringen.“

Was gegen ein Verbot von Tiktok in den USA spricht

Vor dem Handelsausschuss bekräftigte Tiktok-Chef Shou Zi Chew am Donnerstag, die Daten amerikanischer Nutzer würden auf US-Servern lagern und der Zugriff würde strikt überwacht. Die chinesische Mutterfirma sei „kein Agent Chinas oder eines anderen Landes“. Der CEO betonte: „Wir wollen transparent sein und kooperativ mit der US-Regierung zusammenarbeiten.“ Mit Blick auf die Nutzerzahlen warnte Chew außerdem „die Stimmen von über 150 Millionen Amerikanern würden zum Schweigen gebracht“.

TikTok CEO Shou Zi Chew bekräftigte bei seiner Anhörung, er wolle „alle Bedenken ausräumen“.

© Getty Images via AFP/CHIP SOMODEVILLA

Obwohl die App erst seit etwas mehr als drei Jahren auf dem Markt ist, spielt sie in den Vereinigten Staaten gesellschaftlich und wirtschaftlich eine große Rolle. Die App zählt weltweit über eine Milliarde Nutzer:innen, davon über 150 Millionen monatlich aktive in den USA. Zwei Drittel aller Teenager sind bei Tiktok. Firmen nutzen die Plattform für Werbezwecke. Medien wollen die Generation-Z über Tiktok bereits früh an sich binden. Sogar die US-Regierung nutzte die Plattform, beispielsweise um während der Coronapandemie für eine Impfung zu werben.

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Dazu kommt, dass ein Verbot der Tiktok-App Experten zufolge rechtlich kompliziert sei. Mit Berufung auf die Verletzung der Meinungsfreiheit könnten Tiktok und seine Befürworter vor Gericht ziehen und das Verbot verhindern. Bereits 2020 scheiterten die Bemühungen wegen rechtlicher Schwierigkeiten.

Auch die Wirksamkeit eines Verbotes ist ungewiss. Zugriff auf Daten könnte sich die chinesische Regierung – wie jede andere private oder öffentliche Institutionen – auch über andere Quellen wie Datenmakler beschaffen. Bedrohungen für die psychische Gesundheit von Nutzer:innen gehen außerdem gleichermaßen von anderen Plattformen wie Instagram oder Snapchat aus. Umfassendere Datenschutzgesetze, die die Sammlung und den Missbrauch von Online-Daten durch alle Unternehmen einschränken, könnten die amerikanische Bevölkerung Datenschützern zufolge wirksamer schützen als ein Verbot einer einzelnen Plattform.

Worin könnte ein Kompromiss liegen? 

Wenn es weder zu einem Verkauf der chinesischen Anteile noch einem Verbot in den USA kommen sollte, könnte der Kompromiss wie so oft in der Mitte liegen. So würde die Volksrepublik die Kontrolle über Teile der Technologie behalten. Gleichzeitig würden die US-Sorgen beim Thema Datenschutz und Datensicherheit adressiert.

Versuche, um den nicht autorisierten Zugang auf Nutzungsdaten zu verhindern, gibt es bereits. Einem als „Project Texas“ bezeichneten Plan zufolge, sollen 1,5 Milliarden US-Dollar in die technische und organisatorische Verbesserung der Plattformsicherheit fließen. Amerikanische Nutzungsdaten sollen demnach verschlüsselt und getrennt sowie direkt in den USA verarbeitet werden. Software-Ingenieure der US-Firma Oracle sollen außerdem in Zukunft Einblick in den Quellcode bekommen.

In Europa existiert ein ähnliches Projekt (unter dem Namen „Project Clover“). Ab Herbst tritt in der EU außerdem eine neue Plattformregulierung in Kraft, die Betreiber verpflichtet, technische Details an Forschende offenzulegen. Tiktok muss dann – gleichermaßen wie andere chinesische und nicht-chinesische Firmen – externe Prüfungen durch Experten und staatliche Behörden erlauben.

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