zum Hauptinhalt
Mehr Durchblick. Künftig muss Fracht vor dem Flug besser kontrolliert werden. Zum Beispiel mit

© dapd

Wirtschaft: „Uns droht ein Cargo-Kollaps“

Neue Sicherheitsregeln für Luftfracht gefährden den deutschen Export, warnen Experten. Die Unternehmen sind nicht vorbereitet.

Berlin - Neue Sicherheitsauflagen für Luftfracht stellen die deutsche Industrie vor große Probleme. Logistikexperten rechnen mit massiven Verspätungen beim Export auf dem Luftweg, wenn hierzulande am 25. April 2013 die europäische Luftsicherheitsverordnung in Kraft tritt. Der Grund: Von den rund 40 000 deutschen Unternehmen, die ihre Waren per Flugzeug in alle Welt verschicken, verfügen derzeit nur 429 über die künftig notwendige Zulassung. „Die Zeit bis zum nächsten Frühjahr reicht für den Großteil der Unternehmen nicht mehr aus, um die neuen Voraussetzungen zu erfüllen“, sagt Joachim Pfeiffer (CDU), wirtschaftspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. Auch Speditionen und Fluggesellschaften seien überfordert. „Der deutsche Export steuert sehenden Auges auf einen Prellbock zu.“

Die Luftsicherheitsverordnung ist eine Reaktion auf Sprengstoffpakete, die 2010 in Luftfrachtsendungen aus dem Jemen gefunden wurden. Sie soll die gesamte Luftfrachtlieferkette sicherer machen. Um den zukünftigen Standards zu entsprechen, benötigen Unternehmen eine Zulassung als „behördlich anerkannter bekannter Versender“ durch das Luftfahrtbundesamt (LBA). Und die kostet Zeit und Geld. Die Versender von Luftfracht müssen ein individuelles Sicherheitskonzept vorlegen. Es soll zum Beispiel gewährleisten, dass keine Unbefugten Zugang zur Luftfracht des Unternehmens erhalten. Manche Firmen müssen dafür Sicherheitsschleusen errichten. Außerdem muss die Belegschaft geschult werden.

Die meisten Unternehmen scheuen offenbar den Aufwand. „Viele denken sich, das macht die Spedition oder Airline schon für mich“, sagt Reinhard Lankes, Luftfrachtexperte des Deutschen Speditions- und Logistikverbands. In der Tat hätten manche Speditionen und Fluggesellschaften bereits Röntgengeräte angeschafft. Dazu zählt etwa Lufthansa Cargo. 80 Prozent der Luftfrachtspeditionen sind laut Logistikexperte Lankes aber kleine und mittlere Unternehmen, die sich solche Investitionen nicht leisten könnten. „Deshalb werden weder die Speditionen noch die Fluggesellschaften die Masse unsicherer Fracht bewältigen können“, prophezeit Lankes. Erst recht nicht, da mehr als die Hälfte der Luftfracht freitags – also sehr geballt – aufgegeben werde. „Uns droht ein Cargo-Kollaps.“

Nur wer ist schuld daran? Immerhin stammt die EU-Verordnung bereits aus dem Jahr 2010 – eigentlich genug Zeit, um sich auf die ab April 2013 geltenden Regeln einzustellen. „Die deutsche Industrie hat lange und tief geschlafen“, findet Wolfgang Leffler, Berliner Niederlassungsleiter der Luftfrachtspedition Raben Trans European Germany, die BMW-Motorräder per Flugzeug versendet. Etwa 20 000 Euro investiert das 35-Mann-Unternehmen derzeit, um die neuen Auflagen zu erfüllen.

Die Industrie hingegen hat das LBA in Braunschweig als Hauptschuldigen ausgemacht. Laut einer Studie von Dekra und der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden fühlen sich viele Unternehmen, die Luftfracht versenden, von der Behörde unzureichend informiert und zögern deshalb mit ihren Anträgen. Die genauen Anforderungen für eine Zulassung seien unklar. „Das LBA hat lange gebraucht, um sich zu sortieren“, kritisiert auch Reinhard Lankes vom Speditionsverband.

Beim LBA ist man sich keiner Schuld bewusst. Alle Unternehmen, die zeitnah einen prüffähigen Antrag einreichen, könnten mit einer fristgerechten Zulassung rechnen, verspricht Sprecherin Cornelia Cramer. Die Behörde habe zusätzliche Mitarbeiter mit der Aufgabe betraut. Derzeit liegen beim LBA 4200 solche Anträge, davon sind laut Cramer allerdings nur 157 vollständig.

Unions-Wirtschaftsexperte Pfeiffer rechnet damit, dass bis zum Frühjahr höchstens ein Viertel der Luftfrachtversender grünes Licht vom LBA bekommen wird. „Es gibt gar nicht genügend qualifiziertes Personal, das die Unternehmen jetzt noch auf die Schnelle beraten und schulen kann“, sagt Pfeiffer – und fragt darum, ob sich nicht noch die Notbremse ziehen lässt. Nur: Die Entscheidung darüber wird nicht in Berlin getroffen, sondern in Brüssel. Arne Bensiek

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false