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Für die 22.000 Flugbegleiter:innen der Lufthansa gilt ein Beschäftigungsschutz bis Mitte 2024.

© dpa / Sven Hoppe

Verstoß gegen Corona-Branchenregeln: Lufthansa-Personal wütend über mehr Bordservice

Während die Infektionszahlen steigen, weitet Lufthansa den Service in ihren Maschinen wieder aus. Flugbegleiter:innen fürchten unkalkulierbare Gesundheitsrisiken.

22.000 Flugbegleiter zählte die Kerngesellschaft der Lufthansa im gleichnamigen Konzern Anfang 2020. Viel zu viele, wie sich im Verlauf des Corona-Jahres herausstellte. Entlassungen schienen nach dem Staatseinstieg im Sommer 2020 jedoch nicht opportun. Ein Krisentarifvertrag mit deutlichen Kosteneinsparungen und einem Beschäftigungsschutz bis Mitte 2024 wurde abgeschlossen. Daneben gibt es Abfindungsprogramme, um die Mitarbeiterzahl ohne Entlassungen zu reduzieren.

Es kommen jedoch noch einige andere Kniffe hinzu, berichten Kabinenangestellte. Die Stimmung unter ihnen sei schlecht. Viele sind nach wie vor in Kurzarbeit, vor allem ältere Kollegen in höheren Gehaltsklassen. Sie würden teils monatelang nicht eingesetzt und mit Absicht von bestimmten Flugzeugmustern ferngehalten, was dazu führe, dass Lizenzen für die Muster verfallen. „So werden Leute in den freiwilligen Abgang gedrängt“, erklärt ein Flugbegleiter Tagesspiegel Background. Aus dem gleichen Grund sei auch ein internes Tauschforum für Dienste ausgesetzt worden.

Neben Abstrichen bei der Vergütung und einem generell raueren Klima hätten sich auch die Arbeitsbedingungen deutlich verschärft, beklagen Kabinenangestellte. Für besonderen Unmut sorgte zuletzt die Wiedereinführung großer Teile des Kabinenservices in der dichtbestuhlten Economy Class auf Langstreckenflügen. Der Service wurde mit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 auf ein Minimum runtergefahren. Die Flugbegleiter gingen nur einmal pro Flug durch die Kabine und verteilten Verpflegung. Ein Auswahlessen in der Economy Class gab es nicht mehr.

Auf Lufthansa-Langstreckenflügen wird jetzt Essen verkauft

Nun werden seit dem 1. Dezember auf Langstreckenflügen laut einem internen Lufthansa-Schreiben an die Kabinenbesatzungen ein zusätzlicher Getränkeservice in der Economy, ein Welcome Drink in der Premium Economy und das neue Verkaufsangebot „Onboard Delights“ angeboten. Letzteres gilt zunächst für 37 Langstreckenflüge, wie eine Lufthansa-Sprecherin auf Anfrage erklärt.

Dadurch könnten die Passagiere „zusätzlich hochwertige Snacks und Spirituosen zu kaufen. Grund dafür ist die vielfache Rückmeldung unserer Gäste, dass ihnen diese Servicebestandteile gefehlt haben.“ Auch von der Verteilung von „hot towels“ vor dem Flug und durch die Sitzreihen gereichten Brotkörben während des Essensservice berichten Mitarbeiter im Intranet.

Schon beim Staatseinstieg im vergangenen Jahr protestierten die Lufthansa-Angestellten lautstark.

© Arne Dedert/dpa

Es handele sich bei Onboard Delights um eine „Verkaufsshow“ als zusätzliche Einnahmequelle für den wirtschaftlich angeschlagenen Konzern, kritisiert der langjährige Flugbegleiter, der anonym bleiben möchte. Weder werde man damit dem Anspruch einer Premium-Airline gerecht werde, noch sei der sich automatisch ergebende enge Kundenkontakt inklusive Bezahlvorgang mit einem ausreichenden Gesundheitsschutz vereinbar.

Nun macht die Belegschaft ihrem Unmut intern Luft. Ein entsprechender Thread im Lufthansa-Intranet hat bereits mehr als 900 Kommentare, bei anderen Themen sind es zumeist weniger als zwanzig. Der Tenor: Während die Mitarbeiter in der Verwaltung seit anderthalb Jahren im Homeoffice geschützt seien, würde die Geschäftsleitung mit der Rückkehr zu einem Service, „bei dem das Einhalten von Mindestabständen schlicht nicht möglich ist“, fahrlässig mit der Gesundheit der Flugbegleiter spielen.

Airlines verstoßen gegen Easa-Charta

Damit nicht genug, würde sich Lufthansa mit der Rückkehr zu mehreren Service-Durchgängen pro Flug nicht an die von ihr unterzeichnete „AviationIndustry Charter for COVID-19“ der europäischen Luftfahrtbehörde Easa halten. In der Tat wird im „Aviation Health Safety Protocol“, das zu der Selbstverpflichtung gehört, vorgeschrieben, dass die Airlines für die Dauer der Pandemie ihren „Essens- und Getränkeservice auf das nötige Minimum zurückfahren, um das Wohlergehen der Passagiere sicherzustellen“.

Die Charta haben auch alle anderen großen Airlines in Europa unterschrieben und darin scheint für Lufthansa die Crux zu liegen. Denn fast alle anderen haben ihren Service in den vergangenen Monaten ebenfalls wieder ausgeweitet. „Wir sind uns bewusst, dass die Reaktivierung des Economy Class Service im Widerspruch zu den aktuell steigenden Infektionszahlen zu stehen scheint. Allerdings müssen wir bei dieser Entscheidung alle Aspekte berücksichtigen, die für uns als Airline relevant sind“, erklärt die Airline ihren Besatzungen. Die Kundenzufriedenheitswerte in Bezug auf das Economy-Class-Produkt seien bedingt durch den reduzierten Corona-Service auf einem Tiefpunkt.

„Wir müssen den Kunden wieder mehr in den Fokus stellen“, gab auch Konzernchef Carsten Spohr als interne Losung aus. Eben jene Kunden werden von einigen Flugbegleitern aber als Gesundheitsrisiko empfunden. Die Impfquote in manchen Zielländern sei viel zu gering, man müsse im Grunde davon ausgehen, dass auf jedem vollbesetzten Flug trotz Schnelltests Infizierte unter den Passagieren sind.

Lufthansa will jedoch keine Gefahr erkennen. „Die Annahme, durch das zeitliche Zusammentreffen von Service-Intensivierung und der Inzidenz-Entwicklung in Deutschland und anderen Ländern Europas sei es an Bord auch wieder gefährlicher, ist falsch. Nach klarer Einschätzung medizinischer Experten bedeutet die Ausweitung des Servicekonzeptes kein erhöhtes Infektionsrisiko“, so die Sprecherin.

Individuelle Luftdüsen verändern Luftzirkulation in der Kabine

Grundsätzlich sei das Risiko, sich während einer Flugreise mit dem Virus anzustecken, extrem gering, fährt die Sprecherin fort. „Flugzeuge der Lufthansa Group Airlines sind mit Filtern ausgestattet, die die Kabinenluft von Verunreinigungen wie Staub, Bakterien und Viren säubern.“ Die berühmten Hepa-Filter werden von der Branche seit Beginn der Pandemie stets betont.

Mit der Ausweitung des Service über den Wolken erkläre Lufthansa die Pandemie einseitig für beendet, heißt es vom Personal.

© pa/obs/Martin et Karczinski GmbH/Deutsche Lufthansa AG

Das sei jedoch nur die halbe Wahrheit, erklärt der Flugbegleiter, der hauptsächlich auf Langstreckenflügen fliegt. „Damit die Luftzirkulation in der Kabine so funktioniert, dass die Filter ihre Wirkung entfalten, müssen die individuellen Luftdüsen der Passagiere über den Sitzen während des ganzen Fluges geschlossen bleiben. Eine entsprechende Ansage gibt es aber nicht, das wird auch nicht kontrolliert.“

Längst würden Passagiere auch ihre Masken nicht mehr während des ganzen Fluges aufsetzen, ohne dass dagegen stringent vorgegangen würde. Dass die Ansteckungsgefahr gering sei, glaube er aus der Praxis der letzten anderthalb Jahre keine Sekunde, so der Flugbegleiter. „Der medizinische Dienst des Konzerns sagt, was Carsten Spohr will. Wenn der Passagier ein Tablett mit Essen hingestellt bekommt und ich direkt dahinter mit dem Getränkewagen komme, hat natürlich niemand mehr eine Maske auf, wenn ich Getränke über mehrere Sitze hinweg durchreiche.“

Respekt vor den Mitarbeiter:innen wird vermisst

Dass Vorgehen des Konzerns sei widersprüchlich. Denn während auf allen Langstreckenflügen der Service in unterschiedlicher Form wieder hochgefahren werde, bliebe er auf Flügen nach Südafrika als „Virusvariantengebiet“ eingeschränkt. „Wenn es doch ohnehin kein Ansteckungsrisiko an Bord gibt, warum dann die Sorge auf den Flügen nach Südafrika?“, fragten sich die Mitarbeiter, berichtet er.

Mit der Ausweitung des Service erkläre Lufthansa die Pandemie einseitig für beendet, heißt es in einem viel beachteten „Brandbrief“ im Intranet. „Wir kehren zu einem Service mit unzähligen 1 zu 1 Touchpoints zurück, der unterstellt, dass uns das Virus nichts mehr anhaben kann. Wir blenden aus, was nicht sein darf, weil die Kunden es angeblich so wollen.“

Es fehle seit Beginn der Pandemie der Respekt vor den Mitarbeiter:innen. „Jeder ist sich selbst der Nächste. Die Verletzungen dieser Monate werden uns noch lange nach Pandemie-Ende beschäftigen und kosten uns unendlich viel mehr, als es uns ein angemessenes Miteinander in der Pandemie kosten würde.“ Es gehe nicht um Geld, sondern um Menschenleben.

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