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Der Kodex „Humboldt Fragment 1“ in typischer Leporellofaltung wurde vor rund 500 Jahren in Tlapan im heutigen Mexiko gemalt: Er verzeichnet Naturalabgaben an die Azteken zwischen 1504 und 1521 – in vorkolonialer Zeit: Goldstaub, gehämmerte Goldbleche verschiedener Größe und Form sowie gewebte Kleidung.

© SBB-PK/2022 / Staatsbibliothek zu Berlin/Foto: Anka Bardeleben-Zennström

Ausstellung im Stabi Kulturwerk: Verwaltungs-Comics der Azteken

Die Staatsbibliothek zu Berlin zeigt indigene Manuskripte aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die teilweise aus der Sammlung Alexander von Humboldts stammen.

Goldstaub, gehämmerte Goldbleche verschiedener Größe und Form sowie gewebte Kleidung: Die Azteken waren Meister der Statistik und hielten die Abgaben, die Bewohner der von ihnen besetzten Gebiete leisten mussten, auf langen Listen in ihrer Bildsprache fest.

So zählt etwa ein auf 15 Blatt Amate-Papier gemaltes und insgesamt 4,3 Meter langes Abgabenregister die Schulden, die das Königreich Tlapan seit 1486 an die Azteken zu entrichten hatte. Dieses außergewöhnliche Schriftdokument mit dem Titel „Codex Humboldt Fragment I“ von 1522 zählt zu den Spitzenwerken der „Manuscripta americana“, einer Sammlung indigener vorkolonialer und kolonialer Manuskripte. Gesammelt hat sie vor allem der Berliner Natur- und Kulturforscher Alexander von Humboldt, der 1806 in Mexiko bei einer Versteigerung erste Objekte aus der Sammlung eines Mailänders auf einer Versteigerung erwarb. Weitere Ankäufe folgten. So gelangten die Manuscripta in den Fundus der Königlichen Museen zu Berlin.

Bedeutende Teile dieser Sammlung sind noch bis zum 26. Februar in einer spektakulären Ausstellung von Manuskripten aus indigenen Gemeinden Mittel- und Südamerikas im Stabi Kulturwerk der Staatsbibliothek Unter den Linden in Kooperation mit der Bundesanstalt für Materialprüfung zu sehen.

Sie lesen sich streckenweise wie Comics – von unten nach oben und von rechts nach links. Auf dem Dokument zur Abgabenstatistik werden die Tribute von 1504 bis 1521 in Spalten verzeichnet, die Gegenstände werden gemalt und auch die Summen sind plastisch dargestellt: Man kann abzählen, wer wann was zu liefern hatte. Die „Manuscripta americana“-Ausstellung verspricht, „den Azteken auf der Spur“ zu sein. Und hier erfährt man: Detailversessen waren sie auf jeden Fall.

Seit 1430 waren die Azteken die bestimmende Macht in Zentralmexiko, doch der blutige Eroberungszug der Spanier unter Hernán Cortés 1521 setzte dem ein jähes Ende. Nicht aber der Form der Verwaltung: Die Spanier integrierten die indigenen Gemeinden auf der untersten Ebene in ihre Verwaltung, folglich wurden Steuer- und Abgabelisten weiterhin im Stil der altmexikanischen Manuskripte gemalt.

Ausstellungsansicht aus dem Stabi Kulturwerk „Manuscripta americana“. Der Gott Quetzalcoatl, Grünfederschlange und Erfinder der Schrift, verschmilzt hier mit Ehecatl, Wind (links). Daneben ein Affe aus Alabaster aus der Teotihuacan-Kultur (rechts). Foto: SBB-PK/2022
Ausstellungsansicht aus dem Stabi Kulturwerk „Manuscripta americana“. Der Gott Quetzalcoatl, Grünfederschlange und Erfinder der Schrift, verschmilzt hier mit Ehecatl, Wind (links). Daneben ein Affe aus Alabaster aus der Teotihuacan-Kultur (rechts). Foto: SBB-PK/2022

© SBB-PK/2022 / SBB-PK/2022

Eine Steuerliste zeigt neun Haushalte aus zwei Ortschaften. Männer werden links, Frauen rechts mit ihren Köpfen und Beischriften aufgemalt, sogar der Witwenstatus wird verzeichnet. Ein roter Punkt steht für einen Real. Mancher Haushalt zahlt acht, mancher nur vier Real Steuern.

Zumindest lokal blieb auch der Machtanspruch noch länger erhalten: Ein Blatt des Aztekenherrschers Tizoc von 1543 zeigt den Herrscher sitzend vor der Kriegshieroglyphe aus Schild und Pfeilen. Vor seinem Mund schwebt eine blaue Sprechblase mit der Kriegserklärung an all die Orte, die mit einer Ortshieroglyphe und einem zerstörten Gebäude gekennzeichnet sind.

Die spanische katholische Kirche sah in den Schriften der indigenen Bewohner Teufelszeug und ließ unzählige Manuskripte vernichten. So gingen wertvolle Informationen zur Lebensweise indigener Gesellschaften unwiederbringlich verloren. In der Anfangszeit der Eroberung allerdings nutzten Mönche die Bildsprache der Azteken noch, um ihnen den Katechismus näherzubringen. So hat der Franziskanerpater Jacobo de Testera zunächst Bildtafeln mit christlichem Inhalt eingeführt, die aber von oben links nach rechts gelesen werden.

Dokumentiert ist auch der selbstbewusste Widerstand der Azteken gegen die Kolonialisten: Ein 57 Zentimeter langes Fragment einer piktografischen Klageschrift aus Zentralmexiko aus dem 16. Jahrhundert zeigt Betten, Stühle, Scheiben und Bretter sowie vier an einen Holzbalken gefesselte Gefangene. Eingereicht hatte die Klageschrift eine indigene Gemeinde gegen Spanier, die Handwerksleistungen nicht bezahlt hätten.

Ergänzt werden die zum Teil in Vitrinen ausgestellten Objekte durch aztekische Objekte wie einen Affen aus Alabaster, der als Schreibbehälter diente, oder verschiedene Götterfiguren.

Nachgezeichnet wird außerdem Weg der Sammlung und weiterer Objekte nach Berlin – und wie die Stadt zum Ende des Zweiten Weltkriegs Teile einbüßte. Ein großer Medientisch erklärt die digitalisierten Handschriften, die in der Biblioteka Jagiellonska in Kraków aufbewahrt werden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hatte die Erforschung des gesamten Manuskriptbestandes in Berlin und Polen gefördert, der so nun erstmals gemeinsam präsentiert wird.

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