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In einem Labor wird ein Abstrich auf das Coronavirus untersucht.

© Marijan Murat/dpa

Labore kritisieren „unethisches“ Vorgehen: Centogene will Tests an Schulen ausweiten – auch auf Berlin

Die Firma Centogene ist der Ansicht, Schüler sollten bundesweit auf das Coronavirus getestet werden. Labormediziner lehnen dies als „industrielle Angebote“ ab.

Anfang der Woche hat das Rostocker Biotech-Unternehmen Centogene angekündigt, am Neustrelitzer Gymnasium Carolinum Schüler und Lehrer bis zu zweimal pro Woche auf eine Coronavirus-Infektion zu testen – und ist nach eigenen Angaben nun mit mindestens vier Bundesländern sowie Schulen in München, Berlin und vier weiteren in Mecklenburg-Vorpommern im Gespräch, die Tests dort auszuweiten.

Centogene-Geschäftsführer Arndt Rolfs zeigt sich im Gespräch mit Tagesspiegel Background überzeugt, dass in den kommenden Wochen und Monaten solche Tests deutschlandweit ausgerollt werden und nach den Sommerferien in der ganzen Republik Standard werden könnten.

„Die Länder sollten idealerweise die Sommerferien nutzen, um dann ein tragfähiges Konzept für das kommende Jahr vorzulegen“, sagt Rolfs. Er betont, dass sein Unternehmen nur einen kleinen Teil beitragen könne und deutschlandweit rund 50 bis 100 weitere Labore notwendig seien – technisch und infrastrukturell das aber ohne weiteres möglich sei. Beim Verband der Labore allerdings hält man wenig von dem Vorstoß und vermutet allein ökonomische Interessen bei Centogene.

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Bereits im März hatte Rolfs für die Stadt Rostock tausende Mitarbeiter der Verwaltung auf Sars-CoV-2 getestet, um damit einen Ausstieg aus dem Lockdown zu unterstützen – Anfang Mai war es dann auch Rostocks Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen, der „ganz Deutschland einlud“, seine Stadt zu besuchen, die mittlerweile „frei“ von Coronavirus-Infektionen sei. Centogene-Chef Rolfs führte im März auch Gespräche mit der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern über eine Ausweitung des Modells, offenbar aber erst einmal ohne Erfolg.

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Der Kontakt zum Neustrelitzer Gymnasium entstand dann über eine alte Bekanntschaft: Der Direktor der Schule, Henry Tesch (CDU), war lange Jahre Bildungsminister des Bundeslandes und damit Dienstherr Rolfs, der seit 1997 eine Neurologie-Professur an der Uni Rostock innehat. Inzwischen spreche er auch, so Rolfs, mit dem Bildungsministerium des Landes. „Hier wünschen wir uns, idealerweise unter der Ägide des Ministeriums, an vier weiteren Schulen ähnliche Verfahren wie in Neustrelitz zu etablieren“, so Rolfs.

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Neben dem Ministerium in seinem Heimatbundesland steht Rolfs nach eigenen Angaben mit jenen in Bayern, Hamburg und Berlin in Kontakt – es gehe auch dort darum, Testoptionen für Schulen und Kitas auszuloten. Parallel gebe es Interesse von zwei Schulen, einer in Berlin und einer in München.

Geht es um die Validität des Tests, erfülle man den weltweiten Standard, der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen werde. „Außerdem führen wir an der Charité Vergleichstestungen durch“, sagt Rolfs: Dabei werde geprüft, ob die positiven Befunde von Centogene auch in den Charité-Laboren ein positives Ergebnis erzielten. „Wir haben bei jetzt etwa 150 Tests in den diversen Qualitätsprüfungen eine hundertprozentige Übereinstimmung.“

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Bei den von Rolfs angesprochenen Ministerien gibt man sich auf Anfrage zurückhaltend, geht es um landesweite Testungen in Bildungseinrichtungen. So erklärt ein Sprecher des Bayrischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, dass „Corona-Tests in regelmäßigen Abständen“ an den Schulen des Landes nicht vorgesehen seien und dass „die für den öffentlichen Dienst getroffenen Infektionsschutzmaßnahmen, zum Beispiel die Abstandsregelung, für den Schutz der Gesundheit angemessen sind“.

Bei der Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz heißt es knapp, „Reihentestungen in Schulen und Kitas sind in Hamburg bislang nicht geplant“. Und bei der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie wird erklärt, dass man derzeit keine Auskunft geben könne, da der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und der Senat „sich am kommenden Dienstag von der Charité zu einer Ausweitung der Teststrategie beraten lassen wollen – unter anderem auch für Kitas und Schulen“. Eine Anfrage beim Bundesgesundheitsministerium, ob die Regierung nach den Sommerferien auf breite und regelmäßige Testungen in Schulen und Kitas setze, blieb unbeantwortet.

Unterricht in Coronavirus-Zeiten: Schüler in halle an der Saale.

© imago images/Viadata

Centogene Rolfs sagt, er verstehe solche Testungen als „gesellschaftspolitischen Auftrag“. Er verfolge ausdrücklich nicht das Ziel, Centogene an allen Schulen und Kitas testen zu lassen. „Dafür würden unsere Kapazitäten nach jetziger Planung nicht ausreichen.“ Wohl gehe es aber darum, das in Neustrelitz erprobte Verfahren bundesweit an möglichst allen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen umzusetzen.

Für die ungefähr zehn Millionen Schüler und Kitakinder und die rund zwei Millionen Lehrer seien Rolfs zufolge rund zwölf Millionen Tests pro Woche nötig. Centogene selbst könne pro Tag bis maximal 75.000 bis 100.000 Tests durchführen. „Wir bräuchten also etwa 50 bis 100 weitere Labore, die nach unserem Verfahren in das Testen einsteigen.“ Dies, sagt Rolfs, sei mit Blick auf die in Deutschland vorhandenen Laborressourcen kein Problem. „Das Testverfahren ist keine Raketenwissenschaft, man braucht auch keine teuren, ungewöhnlichen Maschinen oder ausgewählte Materialien.“

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Mit Unterstützung des Verbands der Akkreditieren Labore in der Medizin (ALM) kann Rolfs allerdings nicht rechnen. Bereits vor einem Monat bezeichnete der Verband, der die Interessen der niedergelassenen Labormediziner vertritt, in einer Stellungnahme „industrielle Angebote“ als „unethisch und unsolidarisch“.

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Gegenüber Tagesspiegel Background verschärft ALM-Geschäftsführerin Cornelia Wanke die Kritik. „Mir erschließt sich kein medizinisch sinnvolles Konzept hinter dem Vorgehen von Centogene“, sagte sie. „Wissenschaftlich ist nicht erwiesen, dass das massenhafte Testen von Schülerinnen und Schülern etwas bringt. Dazu braucht es sinnvolle Teststrategien, die es mit den Fachärzten und Verantwortlichen vor Ort zu erarbeiten gilt, wie es die Mitglieder des ALM beispielsweise im Bereich einiger Pflegeeinrichtungen aktuell erproben.“ Die akkreditierten Labore hätten, betont Wanke, „eine medizinische und ärztliche Verantwortung, die es zu beachten gilt. Alles andere ist rein ökonomisches Handeln.“

Centogene-Chef Rolfs hingegen hält Tests an allen Schulen und Kitas für den einzig gangbaren Weg. Bis zur Entwicklung eines ersten Impfstoffes gebe es zur massenhaften und regelmäßigen Testung keine Alternative, wolle man das Land wieder hochfahren, sagt er. Seien die Tests erst einmal an allen Schulen und Kitas etabliert und die Verbreitung des Virus damit im Blick, könnte die Testfrequenz schnell reduziert werden, „sicherlich auf alle zwei, später vermutlich auch auf alle vier Wochen“.

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