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Der Hauhechel-Bläuling (Polyommatus icarus), auch Gemeiner Bläuling, lässt sich am besten auf ungedüngten, blütenreichen Wiesen beobachten.

© Viola Boxberger, CC-BY 4.0 

Chemie-Industrie forschte mit: Vage Beweislage zu Insektensterben

Studien zu Insekten in Europa analysieren häufig nur Trends der Bestandsentwicklungen – mit überwiegend negativen Ergebnissen. Eine aktuelle Auswertung versucht, Belastungen zu benennen, erfasst aber nicht alle, sagen Experten.

Landwirtschaft, Verstädterung und Klimawandel – eine Reihe von Studien deutet auf diese großen Treiber des Insektensterbens in Europa. Die sich rapide verändernden Landschaft bot über die Jahrzehnte immer weniger geeignete Lebensräume. Ebenso belegen Studien, dass Naturschutz zur positiven Entwicklung der Artenvielfalt führen kann.

Eine aktuelle Auswertung von Studien über mehrjährige Bestandsentwicklungen von zwei großen Insektengruppen benennt nun menschliche Aktivitäten als Ursachen der Veränderungen. Die Schlussfolgerung ist methodisch sauber, sagen an der Studie nicht beteiligte Expert:innen. Sie kritisieren jedoch, dass die Analyse den Einfluss von Pestiziden nicht ausreichend berücksichtigt und bringen das auch mit der Zusammensetzung des Autor:innenteams in Verbindung.

Daten zu Pestizideinsatz fehlen

Die Teammitglieder arbeiten mehrheitlich für die Chemie-Industrie, bemerkt Alexandra-Maria Klein, Professorin für Naturschutz und Landschaftsökologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Fünf der acht Forschenden sind bei Bayer, BASF oder Syngenta angestellt. Bei der Diskussion der Frage, was als Nächstes gemacht werden müsse, würde das nötige Engagement der Industrie in der Veröffentlichung aber nicht thematisiert. Landwirtschaftliche Chemikalien würden „nur sehr unterschwellig erwähnt“, sagte die Forscherin dem Science Media Center Deutschland.

„Spätestens seit 2017 schreit die Wissenschaft nach einem detaillierten Monitoring von Chemikalien, die in die Umwelt gelangen“, sagt Klein. Das ebenfalls eingeforderte bessere Monitoring von Insekten, fortlaufende Untersuchungen der Bestände und der Artenvielfalt, sei seither auf den Weg gebracht worden. Aber: „Ein Engagement der Chemieindustrie, Pestiziddaten der breiten Wissenschaft zur Verfügung zu stellen, habe ich noch nicht gesehen“, so die Wissenschaftlerin.

Laufkäfer und Schmetterlinge

Die Autor:innen um Quintana Rumohr vom „Research Institute for Ecosystem Analysis and Assessment“ an der RWTH Aachen haben 82 Studien ausgewertet, die über mindestens sechs Jahre die Entwicklung von Laufkäfern und von Schmetterlingen vor allem in landwirtschaftlich genutzten Gebieten in Deutschland, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich untersucht hatten.

Für die in den Studien beobachteten überwiegend negativen Trends waren für Laufkäfer wie für Schmetterlinge in gut einem Drittel der Fälle „generelle menschliche Aktivitäten“ Haupttreiber, berichtet das Team in der Fachzeitschrift „Plos One“. Dazu zählen etwa Landnutzungsänderungen, Verschmutzung und Veränderungen der Wasserverfügbarkeit. Ein weiteres Viertel der negativen Trends ging auf die Intensivierung der Landwirtschaft zurück. Der dritte wesentliche Faktor ist der Klimawandel, mit 15 Prozent der negativen Trends bei Laufkäfern und neun Prozent bei den Schmetterlingen. Die selteneren positiven Trends waren vor allem auf extensive Landwirtschaft und Naturschutzmaßnahmen zurückzuführen.

Bestäuber fehlen

Die Ergebnisse würden in der Veröffentlichung „vorsichtig und divers“ diskutiert, sagt Klein. Doch sie frage sich, warum die Industrie in eine solche Studie investiere, „anstatt dafür zu sorgen, dass die Wissenschaft eine bessere Datengrundlage über Umweltchemikalien bekommt“.

Roel van Klink vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung in Leipzig vermutet, dass die Unternehmen wissen wollten, welche Beweise es dafür gibt, dass ihre Pestizide die Ursache für den Rückgang der Insekten sind. Das zu belegen ist jedoch schwierig, wie auch die aktuelle Studie zeigt, da der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft mit weiteren Intensivierungsmaßnahmen kombiniert wurde, etwa vermehrtes Mähen, Düngen, Ernten und Pflügen. „Diese lassen sich in den verfügbaren Beobachtungsstudien nicht voneinander trennen, und alle wirken sich negativ aus“, sagt van Klink.

Klein bemängelt, dass bestäubende Insekten wie Bienen und Fliegen nicht berücksichtigt wurden, deren Rückgang oft mit Pestiziden in Verbindung gebracht werde. Seit 2009 seien dazu zahlreiche Studien veröffentlicht worden.

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