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Am Samstag wurden die Offshore-Windkraftanlagen in Borssele und Egmond aan Zee für vier Stunden abgeschaltet.

© dpa/Christian Charisius

„Eine internationale Premiere“: Niederlande stellen Windräder zum Schutz von Zugvögeln kurzzeitig ab

Millionen von Zugvögeln fliegen zweimal pro Jahr über Nord- und Ostsee und werden durch Windparks gefährdet. Die Niederlande nutzen nun ein Modell, das den Termin präzise vorhersagt.

Der Ausbau der Windenergie auf Nord- und Ostsee stellt nach Ansicht von Biologen eine zunehmende Gefahr für Zugvögel dar. Die Niederlande haben nun zu deren Schutz erstmals Windräder in ihren Windparks vor der Küste gestoppt.

Am Samstag wurden die Offshore-Windkraftanlagen in Borssele und Egmond aan Zee für vier Stunden abgeschaltet, da ein massiver Vogelzug über der Nordsee vorhergesagt worden sei, teilte die Regierung am Montag mit.

„Das ist eine internationale Premiere“, sagte der niederländische Energieminister Rob Jetten. Nirgendwo sonst auf der Welt würden Windparks im Meer zum Schutz der Vögel abgeschaltet. Die Regierung wolle die Auswirkungen von Windparks auf die Natur so gering wie möglich halten.

Modell sagt Vogelzug zwei Tage im Voraus vorher

Voraussichtlich ab Herbst 2023 sollen die Windparks nach der nun laufenden Pilotphase häufiger abgeschaltet werden, hieß es weiter. Um Vögeln einen sicheren Durchzug zu ermöglichen, sollen die Windparkbesitzer die Geschwindigkeit der Windturbinen während der vorhergesagten nächtlichen Zugzeit auf maximal zwei Umdrehungen pro Minute reduzieren.

Diese sehr langsame Geschwindigkeit sei „für uns und die Vögel“ fast wie ein völliger Stillstand, erklärte Pieter ten Bruggencate, Sprecher des Wirtschafts- und Klimaministeriums. Auch künftige Windparks müssen sich an die Maßnahme halten, deren Wirksamkeit ständig überprüft werde, erklärte die Regierung weiter.

Ende 2022 hatte ein Doktorand der Universität Amsterdam ein Modell präsentiert, das unter anderem Wetterdaten nutzt – es sagt den Vogelzug zwei Tage im Voraus vorher.

Das soll dem Netzbetreiber Tennet Zeit geben, die Stabilität des Hochspannungsnetzes zu gewährleisten und die Abschaltung der Turbinen einzuleiten.

Vogelschutzexperte Tim van Oijen sagte der Regierungsmitteilung zufolge: „Zweimal im Jahr, im Frühjahr und im Herbst, ziehen in manchen Nächten Millionen von Vögeln über die Nordsee.“ Wegen der zunehmenden Zahl von Windparks dort sei es äußerst wichtig, dass dieser Ausbau minimale Auswirkungen auf das Ökosystem der Nordsee habe.

Zweimal im Jahr, im Frühjahr und im Herbst, ziehen in manchen Nächten Millionen von Vögeln über die Nordsee.

Tim van Oijen, niederländischer Vogelschutzexperte

Auch in Deutschland stellt der geplante starke Ausbau der Windenergie auf Nord- und Ostsee nach Ansicht von Biologen eine zunehmende Gefahr für Zugvögel dar. Vor den deutschen Küsten stehen derzeit 22 Windparks in der Nord- und drei in der Ostsee, mit einer Leistung von zusammen 8,1 Gigawatt.

Bis 2030 sollen es 30 Gigawatt sein, bis 2045 soll die Gesamtleistung laut dem zum Jahresanfang in Kraft getretenen Windenergie-auf-See-Gesetz auf mindestens 70 Gigawatt gesteigert werden.

Wissenschaftler vom Forschungs- und Technologiezentrum Westküste der Christian-Albrecht-Universität zu Kiel untersuchten die Reaktionen von Großen Brachvögeln und Meeresgänsen auf Windräder während ihres Vogelzuges aus dem Wattenmeer nach Nordwest-Russland.

Auch 30 Ringelgänse wurden für eine Studie mit Sendern versehen.
Auch 30 Ringelgänse wurden für eine Studie mit Sendern versehen.

© dpa/Daniel Bockwoldt

Für die internationale Studie fingen die Forscher 143 Brachvögel, 30 Ringelgänse und 87 Nonnengänse ein und versahen sie mit kleinen Sendern. Sechs Jahre lang lieferten die GPS-Geräte Bewegungsdaten, wie Studienleiter Philipp Schwemmer am Dienstag auf dem Meeresumwelt-Symposium des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrografie in Hamburg berichtete.

Die Aufzeichnungen ergaben, dass etwa 70 Prozent der Brachvögel vor den Turbinen aufstiegen oder ihren Kurs änderten und so den Anlagen auswichen. „Dies ist zunächst eine gute Nachricht, weil somit ein Großteil der Tiere offenbar Kollisionen vermeidet“, erklärte Schwemmer.

Er fügte aber hinzu: „Circa 30 Prozent der Brachvögel durchqueren Windparks ohne Reaktion.“ Das berge ein Risiko für die Tiere. Der Große Brachvogel zählt zu den im Bestand bedrohten Arten.

Bei den Meeresgänsen zeigten die Daten einen klar definierten Zugkorridor zwischen der deutschen Ostsee, Südschweden und dem Finnischen Meerbusen, den die Tiere an nur wenigen Tagen im Jahr auf ihrem Weg nach Nordsibirien nutzen. Ob Meeresgänse ebenfalls den Windparks ausweichen, sei noch unklar. Allerdings fliegen rund 90 Prozent der Tiere in Höhe der Windräder.

Schwemmer plädierte dafür, diesen Korridor bei der Planung von Offshore-Anlagen zu berücksichtigen oder die Anlagen an den wenigen Tagen mit Vogelzug abzuschalten. Die Studie soll demnächst in der Fachzeitschrift „Journal of Environmental Management“ erscheinen. (dpa, AFP)

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