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Solarzellen liegen auf einem Ziegeldach.

© dpa/Sebastian Gollnow

Einschätzung von Experten: Photovoltaik-Kapazität jährlich um ein Viertel steigerbar

In Deutschland hatte Solarstrom im Rekordmonat Juni 2022 einen Anteil von 20 Prozent an der Stromerzeugung. Eine Expertengruppe sieht weltweit immenses weiteres Potenzial für die Photovoltaik.

Auf immer mehr Dächern in Deutschland und anderen Ländern sind Photovoltaik-Anlagen zu sehen. Weltweit sollte nach dem Vorschlag eines internationalen Expertenteams eine Steigerung der Kapazität um etwa 25 Prozent jährlich angestrebt werden, um bis 2050 eine installierte Leistung von 75 Terawatt (TW) zu erreichen.

Dieses Ziel sei ehrgeizig, aber durchaus gut erreichbar, heißt es im Beitrag der mehr als 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Fachjournal «Science». Das Wachstumspotenzial der Photovoltaik (PV) sei in der Vergangenheit durchweg unterschätzt worden.

In den letzten 50 Jahren habe sich die Produktion - von einem sehr niedrigen Ausgangswert - jährlich und die kumulative Kapazität alle drei Jahre verdoppelt, erläutern die Experten um Andreas Bett, Direktor des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE), und Nancy Haegel vom National Renewable Energy Laboratory (NREL) in Golden (Colorado). Die Herstellungskosten der PV-Anlagen hätten sich mit jeder Verdopplung der Gesamtproduktion um etwa ein Viertel verringert.

Im Jahr 2022 sei mit einer weltweit installierten Leistung von mehr als einem Terawatt ein wichtiger Meilenstein erreicht worden. Doch entfalle auf PV mit vier bis fünf Prozent im Jahr 2022 derzeit nur ein kleiner Teil der Stromerzeugung. Dabei biete die Technologie eine der wenigen Optionen, die im Kampf gegen die Klimakrise schnell und kosteneffektiv umgesetzt werden könnten.

Verzerrter Blick ist bedenklich

Die Expertenrunde sieht die Gefahr, dass das Potenzial der Photovoltaik unterschätzt und in der Folge unzureichend genutzt werden könnte. PV sei ein Schlüsselelement bei der Abkehr von fossilen Energien in großem Maßstab, sind die Fachleute von Instituten, Unternehmen und EU-Kommission überzeugt. Aus Deutschland waren neben dem ISE unter anderem Forschende des Forschungszentrums Jülich und des Helmholtz-Zentrums Berlin sowie der Universitäten in Freiburg und Marburg beteiligt.

Bei Plänen für die Zukunft werde von Entscheidern die rasante Wachstums- und Veränderungsrate im PV-Bereich oft nicht anerkannt, heißt es in «Science». Es mangele an fortlaufender Neubewertung des Potenzials. Unterschätzt wird nach Ansicht der Experten auch, wie stark die Kosten für PV-Technik sinken werden - während für andere Möglichkeiten wie CO2-Abscheidung und -Speicherung sinkende Kosten und ein schnelles Wachstum angenommen würden, obwohl ihre Realisierung noch nicht einmal begonnen habe.

Dieser verzerrte Blick sei insofern bedenklich, da Pläne für 2025 oder 2035 nicht nur den Weg bis 2050 vorgäben, sondern auch weit darüber hinaus künftige Optionen einschränkten. Die Expertinnen und Experten sehen es deshalb als wichtig an, direkt ein Ziel wie 75 Terawatt installierte PV-Leistung in den Blick zu nehmen.

Für den PV-Gesamtwert summierte das Team die Bestände und geschätzten Neuinstallationen und zog die Kapazität der vor mindestens 25 Jahren installierten Anlagen ab - eine solche Betriebszeit wird oft angenommen. Zum Erreichen dieses Ziels müssten die hohen PV-Wachstumsraten der vergangenen Jahrzehnte fortgesetzt werden, so die Autorinnen und Autoren. Strategien zum Ausgleich der Schwankungen bei der Sonneneinstrahlung müssten erarbeitet werden - wie etwa eine Kombination mit Windkraft. Erhebliche Herausforderungen bei Entwicklung und Produktion seien zu bewältigen.

Das sei aber machbar - schon in den vergangenen Jahren hätten technologische Verbesserungen und grundlegende Fortschritte in der Materialchemie sehr rasch den Weg vom Labor in die Massenproduktion gefunden. Jüngsten Analysen zufolge dauere es inzwischen nur noch drei Jahre, bis der durchschnittliche Zell-Wirkungsgrad in der Massenproduktion den eines neuen Rekordhalters aus dem Labor erreiche.

Damit PV nachhaltig sei und bleibe, müsse bei bestimmten Rohstoffen - etwa dem Silberverbrauch - nachgesteuert werden, gibt das Expertenteam auch zu bedenken. Der heutige Silberverbrauch liege bereits bei zehn Prozent der weltweiten Produktion. Auch müssten PV-Hersteller fortlaufend an ihrem Energie- und Wasserverbrauch sowie den von ihnen verursachten CO2-Emissionen arbeiten. Nachhaltiges Design und Recycling seien wichtige Themen.

Nötig sei zudem eine Dezentralisierung der Herstellung. Zum einen, um die Logistikkosten und die damit verbundenen Emissionen einzuschränken, zum anderen, weil bei einer zu starken Konzentration in einem einzigen Land das Risiko für Einschränkungen und Unterbrechungen zu hoch sei.

Das Vorgehen in den nächsten Jahren sei entscheidend, heißt es in «Science». Die Photovoltaik biete enormes Potenzial, benötige aber kontinuierliche politische Unterstützung, etwa, um Unternehmen Marktsicherheit zu geben. Die Weichen für künftige Entwicklungen im Energiebereich würden jetzt gestellt. Darum sei ganz bedeutend, Entscheidern klarzumachen: «Abwarten ist keine Option.»

In Deutschland waren im November 2022 auf Dächern und Grundstücken 2,5 Millionen Photovoltaikanlagen mit einer Nennleistung von insgesamt 63,7 Gigawatt installiert, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) im März mitgeteilt hatte. Demnach nahm die Zahl der Anlagen gegenüber November 2021 um 14 Prozent zu, die installierte Leistung um 13 Prozent.

Auch der Anteil der Photovoltaik an der Stromerzeugung insgesamt stieg: Mit fast 12 Prozent des eingespeisten Stroms von Januar bis November 2022 hat er Destatis zufolge einen neuen Höchstwert erreicht. Von Januar bis November 2021 waren es gut 9 Prozent. Bisheriger Rekordmonat für Solarstrom in Deutschland war der Juni 2022 mit gut 7,6 Terawattstunden und einem Anteil von 20 Prozent an der Stromerzeugung insgesamt.

Nach den Destatis-Daten stammten etwa 87 Prozent der 2022 importierten Photovoltaik-Anlagen aus China. In Deutschland stieg demnach insbesondere die Produktion von Solarmodulen für Photovoltaikanlagen in den vergangenen Jahren deutlich. Von Januar bis September 2022 seien rund 2,9 Millionen Solarmodule zum Absatz im In- oder Ausland produziert worden - 44 Prozent mehr als in den ersten drei Quartalen 2021. (dpa)

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