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Das Hauptgebäude des Forschungscampus Dahlem, zuvor war hier der Haupteingang zu den Sammlungen des Ethnologischen Museums.

© Staatliche Museen zu Berlin, Forschungscampus Dahlem

Forschungscampus Dahlem: Wo Museen neue Fragen stellen

Am Museumsstandort Dahlem entsteht ein Forschungscampus: Patricia Rahemipour und Alexis von Poser stellten ihn jetzt in der FU vor.

Von oben betrachtet wirkt der neue „Forschungscampus Dahlem“ der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) wie ein Insekt. Der Museumskomplex an der Lansstraße, in dem bis Anfang 2017 die Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst zu sehen waren, ähnelt aus der Vogelperspektive einem Käfer, mit Rückgrat, Herz, Kopf und Fühlern.

Es ist ein schwerfälliger Käfer zwischen Lans-, Taku-, Fabeckstraße und Arnimallee, bestehend aus dem Altbau und dem Neubau aus den 1960er Jahren von Fritz Bornemann. Lange Zeit war unklar, was mit den stark sanierungsbedürftigen Gebäuden passieren würde, wenn die Sammlungen ins Humboldt Forum ziehen - und mancher fragte sich, ob die Räume dann leer wären.

Forschung an Museen ist oft wenig sichtbar

Patricia Rahemipour, Leiterin Institut für Museumsforschung

Tatsächlich sind aber nur drei Prozent der Sammlungen des Ethnologischen Museums (EM) jetzt in Mitte zu sehen, der Rest lagert in Dahlem. Für das Museum für Asiatische Kunst (AKU) gilt Ähnliches. Was also geschieht im Südwesten Berlins? Nur das Museum Europäischer Kulturen (MEK) in der Arnimallee ist für das Publikum geöffnet. Aber der Käfer „Forschungscampus Dahlem“ beginnt immerhin sich zu bewegen und streckt seine Fühler aus - zu seinen Nachbarn und zur Öffentlichkeit.

Bei einem Aktionstag im Oktober 2022 konnten sich Interessierte im „Freiraum“ über die Pläne informieren.

© SPK/photothek.de/Thomas Trutschel

Was der Zusammenschluss aus sieben Einrichtungen der SPK vorhat, erklärten die beiden Sprecher Alexis von Poser und Patricia Rahemipour jetzt im Rahmen der Reihe „Forschung im Dialog“ des Dahlem Humanities Center (DHC) der FU - an einem Ort in unmittelbarer Nachbarschaft also, der den Titel „Forschungscampus Dahlem“ mit ebenso oder mehr Recht beanspruchen könnte.

Dass an Museen überhaupt geforscht wird, sei nach außen oft wenig sichtbar, sagte Patricia Rahemipour, Leiterin des Instituts für Museumsforschung der SPK. „Dabei wird sehr viel geforscht. Die Museen verfügen mit ihren Sammlungen über sehr viel Objektwissen und können neue Fragen an die Dinge stellen und an die Kulturen, aus denen sie stammen. In Dahlem lagert eine ungeheure Vielfalt an kulturellen Hinterlassenschaften und Praktiken.“

Sportliche Abkürzung: FC Dahlem

Wie wurden die Objekte verwendet, was bedeuten sie in ihren Herkunftskulturen heute, wie blicken Vertreter der Herkunftsregionen auf sie? Wie entsteht Wissen darüber, was wird hervorgehoben oder verdrängt, wie wird es verbreitet? Forschen, restaurieren, digitalisieren und öffentlich machen: Das sind die Ziele, die der Forschungscampus, gerne sportlich abgekürzt zu „FC Dahlem“, verfolgt.

Wie wird Wissen über Objekte produziert und verbreitet? Eine der Fragestellungen des FC Dahlem.

© SPK/photothek.de/Thomas Trutschel

Beteiligt sind sieben Einrichtungen der SPK: das Ethnologische Museum, das Museum für Asiatische Kunst, das Museum Europäischer Kulturen, das Institut für Museumsforschung, die Kunstbibliothek und das Rathgen-Forschungslabor der Staatlichen Museen zu Berlin sowie das Ibero-Amerikanische Institut.

Die Leitbegriffe, auf die sich alle sieben Einrichtungen einigen konnten und die auch im Logo auftauchen, lauten „Forschen, Wissen, Dinge und Kulturen“. Neben Objekten - jetzt lieber als „Dinge“ bezeichnet - soll auch das immaterielle Erbe, also Musikaufnahmen, Fotos, Filme oder Praktiken wie das Flechten innerhalb dieser Eckpunkte in den Blick genommen werden.

„Wir arbeiten verstärkt mit Partnern aus Herkunftsregionen, die stellen ganz andere Fragen und haben anderes Wissen“, berichtet Alexis von Poser, stellvertretender Direktor des EM. „Es ist wichtig Räume zur Verfügung stellen, damit dieses Wissen seinen Platz findet und gehört wird.“

Teilhabe gewährleisten, Forschung enthierarchisieren, kollaboratives Museum lauten hier die Schlagworte: Auch nicht-akademische Player, Vereine und Communities sollen einbezogen, Forschende aus Herkunftskulturen zu Gastaufenthalten eingeladen, Erfahrungs- und Traditionswissen ernstgenommen werden.

Ein ganz wesentlicher Aspekt sei darüber hinaus die Öffnung und Sichtbarmachung - und dafür eignet sich der Bornemann-Bau an der Lansstraße ganz wunderbar, mit seinem lichtdurchfluteten gläsernen Foyer und dem Vortragssaal im Untergeschoss. Vom Foyer ausgehend will sich der FC Dahlem mit seinen Aktivitäten immer weiter über das Gebäude ausbreiten - je nachdem was der laufende Sanierungsprozess gerade möglich macht.

Bereits eingerichtet ist der „Freiraum“ im unteren Bereich des Foyers vor dem großen Auditorium: Hier können sich die Teams der verschiedenen Einrichtungen des FC Dahlem unkompliziert treffen, eine wesentliche Voraussetzung für interdisziplinäre Zusammenarbeit, wie Rahemipour sagt.

Aber auch die Öffentlichkeit soll einbezogen werden: Teile der Depots sollen als Schaudepots begehbar gemacht werden, eine multidisziplinär arbeitende Ausstellungswerkstatt zum Thema „Zeit und Zeitlichkeit“ soll zeigen, wie unterschiedliche Kulturen auf dieses weltumspannende Thema blicken.

Einmal im Jahr lädt der FC Dahlem bereits seit 2019 zur Vortragsreihe „Berlin Southern Theory Lecture“ ein; bisher sprachen hier der senegalesische Autor Felwine Sarr, die indische Historikerin Prathama Banerjee, die afrobrasilianische Feministin Djamilia Ribero und zuletzt die französische Politikwissenschaftlerin Francoise Vergès (2022).

Aus der Vogelperspektive wirkt der Gebäudekomplex wie ein Insekt.

© SPK/photothek.de/Thomas Trutschel

Geplant sind regelmäßige „Forschungsfenster“: Zweimal im Monat soll das Foyer geöffnet werden, damit Interessierte den Fortgang der Arbeiten kennenlernen können.

Ansonsten ist der ganze Campus ein work in progress. Ein studentisches Team des TU-Fachbereichs Architektur hat Ideen entwickelt, wie die Räume, auch in Bezug auf die Außengelände, einladend gestaltet werden können. „Das waren tolle Ideen, aber da das Gebäude unter Denkmalschutz steht, werden wir die meisten nicht umsetzen können“, so Rahemipour. Dass sie selbst den fertigen Zustand noch während ihres Berufslebens erleben wird, erwartet sie nicht.

Bei einem - pandemiebedingt verzögerten - Aktionstag im Oktober vergangenen Jahres konnten sich Nachbarn und Interessierte ein erstes Bild machen. „Es kamen auch viele Menschen aus der Nachbarschaft, die uns erzählt haben, was sie mit diesem Gebäude verbinden, was sie hier erlebt haben“, sagt Patricia Rahemipour: Auch die Geschichte des Gebäudes, in dem zeitweise die Alten Meister und die Nofretete zu sehen waren, soll für den Forschungscampus Dahlem immer wieder Thema sein.

Die FU als strategischer Partner

Die FU-Vertreter:innen lauschten bei der Veranstaltung im DHC mit Interesse, was da in ihrer Nachbarschaft entsteht. „Begeistert“ sei sie von der Initiative, so die Kunsthistorikerin Karin Gludovatz, Sprecherin des DHC, eine „große Freude“ sei es, dieses work in progress zu verfolgen. Eine enge Zusammenarbeit werde angestrebt, bestätigte auch FU-Präsident Günter M. Ziegler.

Anita Traninger, Romanistik-Professorin, zweite Sprecherin des DHC und Leibniz-Preisträgerin 2023, sieht große Chancen darin, gemeinsam in Dahlem ein „extrem dynamisches Zentrum“ zu entwickeln: Sie warb dafür, „die Fühler mehr zueinander ausstrecken und diesen Raum stärker gemeinsam zu bespielen als das forschende Herz Berlins“.

Ein gemeinsames Projekt ist das geplante Graduiertenkolleg „Collections as Relations“: Hier sollen vor allem Forschende aus Herkunftsregionen sich dem Thema „Sammlungen als Beziehungen“ widmen, die Wissenschaftler:innen sollen von den Staatlichen Museen und der FU zusammen betreut werden.

Auch in einem anderen Punkt sind sich beide Player einig: Die jetzigen Straßennamen in der Umgebung - Lansstraße, Takustraße, Iltisstraße - passen nicht zu dem Projekt. Sie erinnern an einen Kapitän der Kaiserlichen Marine, ein Fort und ein Kanonenboot, von dem aus im Jahr 1900 ein chinesisches Fort zusammengeschossen wurde, und somit an ein dunkles Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte. Ein Antrag zur Umbenennung liegt dem Bezirk vor. „Wir unterstützen das sehr“, sagt FU-Präsident Ziegler ebenso wie Museumsmann Alexis von Poser - damit der Käfer nicht von alten Fesseln am Boden gehalten wird.

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