zum Hauptinhalt
Ein Stieglitz sitzt auf einem Zweig in Solms, Hessen.

© Ottfried Schreiter/imago

Bis zu 150 Euro für einen Stieglitz: Illegaler Vogelhandel ist ein lohnendes Geschäft - die Behörden schauen oft weg

Nur gezüchtete Wildvögel dürfen in Deutschland verkauft werden, doch nicht alle Händler halten sich daran. Manipulierte Fußringe helfen, sie zu überführen

Am frühen Morgen des 3. März 2016 klingeln Ermittler bei den Vogelhändlern Karl und Hans L. In Wirklichkeit heißen die beiden anders. Die Männer füttern gerade ihre Vögel. Karl L. ist ganz offiziell Vogelhändler. 1999 hat er das Geschäft von seinem Vater Hans übernommen, der ihm immer noch hilft.

Hunderte heimische Wildvögel finden die Ermittler in der Halle des Betriebs; sie sitzen in großen Volieren und kleinen Käfigen. Allerweltsvögel wie der Stieglitz sind darunter, aber auch seltenere Arten wie der Pirol.

22 Arten sind es insgesamt; alle stehen nach dem Bundesnaturschutzgesetz unter besonderem Schutz. Es ist in Deutschland nicht grundsätzlich verboten, Wildvögel zu halten und zu verkaufen. Sie müssen aber aus einer Zucht stammen, also schon in Gefangenschaft geschlüpft sein. Vögel zu züchten ist aufwändig.

Die beiden Händler sind aufgefallen, weil sie auf Vogelbörsen überall in Deutschland zahlreiche Wildvögel anboten, die sie selbst gezüchtet haben wollten. Außerdem beschwerten sich Kunden immer wieder darüber, dass die Vögel aus dem Hause L. auffallend unruhig seien. Das deute darauf hin, dass den Tieren das Leben im Käfig fremd war, sagt eine Ermittlerin, die an der Razzia beteiligt war und anonym bleiben möchte.

Illegaler Wildtierhandel kommt direkt nach Waffen- und Drogenschmuggel

Vögel wie die, die bei den L.s entdeckt wurden, sind begehrt bei Wilderern und Hehlern. Für einen Stieglitz kassieren sie zwischen 50 und 150 Euro, für seltenere Arten noch deutlich mehr. Weltweit kommt der illegale Wildtierhandel mit einem Volumen von zwischen acht und 20 Milliarden US-Dollar auf Platz drei hinter Waffen- und Drogenschmuggel.

Das Risiko für die Kriminellen ist klein: „In Deutschland haben selbst überführte Vogelfänger oder Vogelhändler eine gewisse Chance, mit einer Einstellung oder einer sehr geringen Geldbuße davonzukommen“, sagt Axel Hirschfeld. Er ist Sprecher des „Komitees gegen den Vogelmord“, eines unabhängigen Vereins, der sich gegen Vogeljagd und illegalen Vogelfang in ganz Europa engagiert.

Ein junger Pirol in Spanien bei einem Ausflug.
Ein junger Pirol in Spanien bei einem Ausflug.

© imago images/blickwinkel

Der Biologe Hirschfeld kennt den Fall der Vogelhändler L. Er hält ihn für ungewöhnlich; nicht nur wegen des Umfangs der beschlagnahmten „Ware“, sondern weil die Behörden von sich aus aktiv geworden seien. Viel häufiger kämen Hinweise von Vereinen wie dem Komitee. Regelmäßig checkt Hirschfeld in ehrenamtlicher Detektivarbeit die Verkaufsplattformen im Internet. Auf seinem Computer hat Hirschfeld Fälle und Großverfahren aus praktisch allen Regionen Deutschlands gespeichert. Der Stieglitz ist der am häufigsten gehandelte einheimische Singvogel, sagen Experten.

„Jeder geklaute Vogel fehlt in seinem Lebensraum“

In Deutschland leben geschätzt um die 80 Millionen Vögel. Knapp 300 Arten brüten hier regelmäßig, 130 Wasservogelarten kommen alljährlich zum Rasten und zum Überwintern. Der Dachverband Deutscher Avifaunisten erfasst, wie sich die Populationen entwickeln. Die des Stieglitzes ist demnach in den letzten 24 Jahren des Berichtszeitraums um 70 Prozent zurückgegangen. Erst seit 2013 weist die Bestandskurve wieder leicht nach oben.

Vor allem die intensive Landwirtschaft macht es Arten schwer, die wie der Stieglitz in der offenen Landschaft leben. Weil Insekten durch Ackergifte schwinden, finden die Vögel weniger proteinreiche Nahrung für ihre Küken. Ob die Wilderei die Vogelbestände bedroht oder nicht – das sei allerdings die falsche Frage, findet Axel Hirschfeld: „Jeder geklaute Vogel fehlt in seinem Lebensraum. Ganz egal, ob selten oder nicht - ein Stieglitz gehört in die Natur und nicht in einen Käfig.“

Manipulierte Metallringe als Zeichen für die Ermittler

Wer Vögel züchtet, muss den frisch geschlüpften Küken geschlossene Metallringe über den Fuß ziehen. Darauf ist eine Nummer eingraviert, aus der hervorgeht, in welchem Jahr das Tier geschlüpft ist. Für jede Art ist die Größe vorgegeben, damit der Ring eng anliegt und sich nicht mehr entfernen lässt, wenn der Vogel ausgewachsen ist.

Darum sind die Artenschutzringe momentan für Ermittler der wichtigste Ansatzpunkt, um Wilderer und Hehler zu überführen. Denn die Kriminellen helfen nach: Sie weiten die Ringe, zwängen sie dem Vogel über den Fuß und drücken sie wieder zusammen. Die Manipulation hinterlässt oft Spuren.

Es gibt viele Fälle von Wilderei und Hehlerei in Deutschland. Wie viele es genau sind, wisse allerdings niemand, sagt Franz Böhmer, beim Bundesamt für Naturschutz zuständig für Artenschutz. Zwar gebe es beim Bundeskriminalamt ein Meldesystem zur Umweltkriminalität. „Dort wird illegaler Vogelhandel nach unserer Kenntnis aber nicht in vollem Umfang erfasst.“

Dieser Text erschien zuerst bei Riffreporter.

Viele Fälle gelangten außerdem nicht als Artenschutzverstoß, sondern als Tierschutzverstoß in das Register. Folglich erscheint das Ausmaß des kriminellen Vogelfangs und Vogelhandels viel kleiner, als es tatsächlich ist. Biologe Hirschfeld sagt: „Ich gehe von einer niedrigen sechsstelligen Anzahl von Tieren aus, die in Deutschland jedes Jahr der Natur entnommen werden, um sie als angebliche Nachzuchten zu verkaufen oder auf irgendeine andere Weise, zum Beispiel als Präparate, zu Geld zu machen.“

Polizeieinheiten, die auf Artenschutz spezialisiert sind?

Nach Ansicht Hirschfelds fehlen in Deutschland Polizeieinheiten, die auf Artenschutz spezialisiert sind. In Zypern, Malta oder in Italien gibt es sie. Dort verfolgen spezielle Umweltpolizisten Vogeljäger und illegale Händler.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Zurück in der Vogelhandlung L., am Morgen des 3. März 2016: Nach der Hausdurchsuchung beginnt für die Fahnder die Fleißarbeit. Der Vogelhändler streitet ab und leugnet, verstrickt sich in Widersprüche. Die Beweisaufnahme ist aufwändig. Die Ermittler schauen sich jeden einzelnen Vogel an. Später untersucht ein Sachverständiger ihre Ringe unter dem Mikroskop.

Er findet typische Verformungen und Risse. Viele Vögel in der Halle sind in einem schlechten Zustand. Einige haben Abschürfungen an den Beinen oder verheilte Brüche – Anzeichen dafür, dass ihnen jemand als ausgewachsene Tiere Ringe darüber gezwängt hat. Sie haben Kopfverletzungen, die typisch sind für Wildvögel im Käfig: Sie fliegen häufig gegen die Gitter und verletzen sich dabei.

All das vermerken die Beamten im Protokoll und fotografieren es. Schließlich beschlagnahmen die Beamten fast 450 Tiere. Hans L., der Vater des Vogelhändlers, verurteilt das Amtsgericht zu anderthalb Jahren Haft, seinen Sohn Karl belegt das Landgericht nach der Berufung mit einem Jahr Gefängnis. Beide Strafen sind zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem verbieten ihnen die Gerichte, weiter mit heimischen Singvögeln zu handeln.

Joachim Budde

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false