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Auch der Nationalpark Unteres Odertal war vom Tiersterben betroffen.

© dpa/Patrick Pleul

Kaum Fische, viel Salz: Ökologen warnen vor erneutem Odersterben

Eine wissenschaftliche Befischung und Probenahme auf der Oder im November zeigt, dass sich das Tiersterben vom Sommer wiederholen könnte, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden.

Nach der ersten Routinebefischung der Oder nach dem Tiersterben im Sommer berichten Forschende vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin von einem weiterhin alarmierenden Zustand des Gewässers.

Insgesamt wurde deutlich weniger Fisch gefangen, einige typische Arten fehlten ganz. Wasseranalysen zeigen zudem, dass die Salzkonzentration nach wie vor deutlich zu hoch ist. Das Tiersterben könnte sich bei steigenden Temperaturen wiederholen und die Restbestände gefährden. Von einer Erholung der Oder könne definitiv keine Rede sein, teilte das IGB mit.

Nicht nur weniger Fische, sondern auch Muscheln und Schnecken stark dezimiert

Seit 23 Jahren und mindestens dreimal im Jahr befischen Forschende vom IGB die Oder, um den aktuellen Zustand der Fischbestände sowie kurz- und langfristige Veränderungen zu erfassen. Die Routinebefischung am 29. November dieses Jahres war die erste große Bestandsaufnahme in der Strommitte der Oder nach dem Massensterben von Fischen, Muscheln und anderen Weichtieren im Sommer dieses Jahres.

Bei der Befischung setzt das Forschungsteam ein Schleppnetz in zwölf je einen Kilometer langen Flussabschnitten auf einer insgesamt 37 Flusskilometer langen Strecke ein. Im Sommer waren die Bestände über alle Arten hinweg drastisch reduziert worden. Das gilt auch für wichtige Arten wie Zope und Rapfen, die für dieses Fließgewässer-Ökosystem typisch sind. Von ihnen wurde nun kein einziges Exemplar gefangen — und auch nur sehr wenige Güstern gingen ins Netz.

Auch ein paar größere Laichfische von Blei, Hecht und Zander gingen den Forschenden ins Netz, sie hatten vermutlich in den verbliebenen unbelasteten Nebengewässern Zuflucht gefunden.

© IGB

Insgesamt fingen die Forschenden nur die Hälfte der Fische im Vergleich zum Durchschnitt der Vorjahre. Auch Muscheln und Schnecken, die bei der Befischung gelegentlich im Netz landen, aber nicht routinemäßig erfasst werden, waren dieses Mal kaum vorhanden.

„Die Muscheln wurden durch die Oder-Katastrophe um die Hälfte ihrer Biomasse reduziert“, schätzt der Ökologe Christian Wolter. Sie seien die wichtigsten Filtrierer im Ökosystem und eine Nahrungsgrundlage für die Fische. „Es wird noch sehr lange dauern, bis die Bestände wieder aufgebaut sind, denn Muscheln sind nicht so mobil, um zügig aus Refugien wieder einzuwandern“, so Wolter.

Salzgehalte immer noch viel zu hoch, Einleitungen nicht vermindert

Messungen der Leitfähigkeit des Flusswassers während der Befischung zeigten, dass die Salzgehalte immer noch deutlich zu hoch sind. Am Pegel Frankfurt Oder liegt die Leitfähigkeit seit Mitte November bei über 1.900 Mikrosiemens pro Zentimeter, zum Zeitpunkt der Beprobung am 30. November lag der Wert bei über 2000 und damit über der Messbereichsgrenze. In der Unteren Oder lag sie bei über 1.400, obwohl das Wasser dort durch den Zufluss der Warthe bereits verdünnt ist.

„Unsere chemischen Analysen zeigen ein sehr ähnliches Ionenprofil wie im Sommer“, sagt Tobias Goldhammer vom IGB-Chemielabor. Der Hauptbestandteil der Salzfracht ist weiterhin Natriumchlorid - übliches Kochsalz. Die Forschenden gehen davon aus, dass Einleitungen stark salzhaltigen Wasser weiter flussaufwärts unvermindert weitergehen.

Ausbau der Oder würde Niedrigwasser verstärken

Zudem ist der aktuelle Durchfluss mit 130 Kubikmetern pro Sekunde höher als im August 2022, als er bei 85 Kubikmetern pro Sekunde lag. Das Salz wird nun also in einer größeren Wassermenge transportiert. „Das bedeutet, dass die tatsächlichen Salzfrachten jetzt sogar noch größer sind als im Sommer“, sagt Wolter. Es sei daher dringend notwendig, die Einleitgenehmigungen bis April 2023 von „Frachten“ auf „Konzentrationen“ umzustellen und einen ökologisch verträglichen Grenzwert auf wissenschaftlicher Basis festzulegen.

Andernfalls bestünde ein hohes Risiko, dass sich die Katastrophe wiederholt – und zwar prinzipiell in jedem Sommer wieder. Im August hatten die Forschenden des IGB hohe Konzentrationen der Brackwasseralge Prymnesium parvum im Fluss nachgewiesen, die starke Giftstoffe bilden kann. Die giftige Alge hatte sich aufgrund des hohen Salzgehalts, hoher Nährstoffkonzentrationen, Niedrigwasser und warmen Wassertemperaturen massenhaft entwickelt.

Im Sediment der Oder sind bereits Dauerstadien der Brackwasseralge nachgewiesen worden. Diese können erwachen, sobald wieder geeignete Lebensbedingungen vorhanden sind. „Das Einzige, was aktuell für eine Massenentwicklung noch fehlt, sind wärmere Temperaturen“, sagt Wolter.

Die IGB-Forschenden empfehlen wie im Sommer flussbauliche Maßnahmen zur Vertiefung und Verbreiterung der Oder zu stoppen. Der Ausbau der Oder würde das Einsetzen und die Dauer von Niedrigwasserständen fördern, die auch das Algenwachstum begünstigen. Schnellerer Abfluss führe zudem zu Tiefenerosion. „Die Wasserspiegel in den Auen würden dann bei geringeren Durchflüssen noch weiter absinken und die Landschaft entwässern“, erläutert Wolter.

Er rät daher dringend: „Es ist jetzt wichtig, alles zu tun, um das Ökosystem Oder zu schützen, damit möglichst viele Tiere überleben.“ Das bedeute auch, Lebensräume wieder zu renaturieren und stoffliche Einträge deutlich zu senken. Der Verursacher der Salz-Einleitung ist unbekannt. Bundesumweltministerin Steffi Lemke drängt darauf, dass polnische Behörden ihn identifizieren.

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