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Wenn Wälder weltweit weniger stark von Menschen beansprucht würden, könnten sie Milliarden Tonnen Kohlendioxid aus der Atmosphäre ziehen.

© Julian Culverhouse

Klimaschützer mit Reserven: Wälder könnten mehr Kohlenstoff speichern

Wenn Wald weniger stark von Menschen beansprucht würde, könnte er Milliarden Tonnen Kohlendioxid aufnehmen – unter einer weiteren, bislang nicht erfüllten Bedingung.

Die Wälder der Erde könnten über 200 Milliarden Tonnen mehr Kohlenstoff binden als derzeit. Das entspricht in etwa dem Zwanzigfachen des globalen Ausstoßes von fossilem Kohlenstoff im Jahr 2022. Nach einer aktuellen Untersuchung, an der sich Hunderte Forschende weltweit beteiligt haben, hat die Wiederherstellung geschädigter Wälder größeres Klimaschutzpotenzial als neue Wälder zu anzupflanzen. Fachlaute warnen jedoch, dass dieses Potenzial kaum auszuschöpfen sei.

Das Forschungsteam, das seine Studie am Montag im Fachjournal „Nature“ veröffentlichte, weist darauf hin, dass Wälder kein Ersatz dafür sein können, den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern. „Unsere Ergebnisse unterstützen aber die Idee, dass die Erhaltung, Wiederherstellung und nachhaltige Bewirtschaftung verschiedener Wälder wertvolle Beiträge zur Erreichung der globalen Klima- und Biodiversitätsziele leisten können“, schreiben die Forschenden.

Kritik an vorheriger Arbeit

Dass Wälder Potenzial für Klima- und Artenschutz haben, ist lange bekannt. Allerdings ist umstritten, welche Menge des Treibhausgases Kohlendioxid die Pflanzen aus der Atmosphäre ziehen und damit den darin enthaltenen Kohlenstoff langfristig, über Jahrhunderte bis Jahrtausende, binden können. Die leitende Arbeitsgruppe um Thomas Crowther von der ETH Zürich hatte 2019 eine Abschätzung dazu veröffentlicht, die ein Potenzial durch Aufforstung von 205 Gigatonnen ergab. Dieses wurde von anderen Forschenden als deutlich zu hoch kritisiert.

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Milliarden Tonnen Kohlenstoff könnten wenig beanspruchte Wälder aus der Atmosphäre aufnehmen.

Für die aktuelle Studie hat das Team nun Daten kombiniert, die in Untersuchungen am Boden oder per Fernerkundung von Satelliten gesammelt worden waren. Bodendaten gelten teilweise als schwer auf andere Regionen übertragbar und Satellitendaten sind mit Unsicherheiten behaftet. Nach der aktuellen Kalkulation weichen die Ergebnisse aber nur um etwa ein Achtel voneinander ab, schreiben die Forschenden. Gegenwärtig speichern laut der aktuellen Studie Wälder, die bislang nicht zu Siedlungen oder Agrarflächen umgewandelt wurden, weltweit 226 Gigatonnen (Milliarden Tonnen) weniger Kohlenstoff als natürlich möglich wäre.

Dynamik vernachlässigt

139 Gigatonnen dieses Potenzials, knapp zwei Drittel, liegen in heutigen Waldflächen. Die 87 weiteren Gigatonnen könnten in Regionen gespeichert werden, in denen der Wald nur zum Teil erhalten ist, die aber kaum genutzt werden. „Diese Flächen eignen sich somit besonders gut, um sie zum Beispiel unter Schutz zu stellen und dadurch ihr natürliches Potenzial für die Speicherung von Kohlenstoff voll auszuschöpfen“, sagte der nicht an der Studie beteiligte Florian Zabel, Geograph an der Ludwig-Maximilians-Universität München, dem Science Media Center Deutschland. Das Klimaschutzpotenzial könnte somit mit „minimalen Landnutzungskonflikten“ umgesetzt werden, heißt es auch seitens der Studienautoren.

In Äthiopien wird im Schatten des Waldes Kaffee angebaut.
In Äthiopien wird im Schatten des Waldes Kaffee angebaut.

© Julian Culverhouse

Kritik müssen diese sich etwa von Christian Körner gefallen lassen. Der emeritierte Botanik-Professor an der Universität Basel unterstellt ihnen einen „weltfremden, statischen Waldbegriff“. Wälder seien dynamische Systeme. Jahrhunderte andauernder Aufbau wechsele mit plötzlichem Zusammenbruch durch Feuer, Wind oder Insekten. „Wälder, die dauerhaft einen maximalen Idealspeicher aufweisen, wie hier angenommen, gibt es nicht“, sagt Körner. Außerdem werde vernachlässigt, dass ein Zielkonflikt bestehe: „Wenn man eine Gigatonne Kohlenstoff in Waldbiomasse festlegt, kann man sie nicht gleichzeitig einsetzen, um fossile Rohstoffe zu ersetzen.“

Andererseits vermeiden die Auor:innen es, Flächen mit einzubeziehen, die derzeit als Grünland, Weide oder Acker genutzt werden oder die dicht besiedelt sind. Diese hätten theoretisch ein Potenzial von knapp über 100 Gigatonnen, aber die Wiederbewaldung ist dort unrealistisch. „Obwohl auch hier Potenziale vorhanden sind, zum Beispiel durch Agroforstwirtschaft oder Carbon Farming“, sagt Zabel.

In einer Pressemitteilung der ETH Zürich weisen die Autor:innen selbst auf eine weitere Einschränkung hin: Wenn die Emissionen nicht gesenkt werden, würden Dürren, Brände und die Erwärmung die Fähigkeit der Wälder bedrohen, Kohlenstoff aufzunehmen. Emissionsreduktionen und Naturschutz müssten zusammenwirken. „Wir brauchen die Natur für das Klima und wir brauchen den Klimaschutz für die Natur“, sagt Crowther.

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