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Sylvie Roelly ist Wahrscheinlichkeitstheoretikerin. Ihr Fachgebiet sei „keineswegs so isoliert und eingestaubt, wie man uns gerne andichtet“.

© Uni Potsdam

Mathematikerin Sylvie Roelly: Sie sucht nach den Regeln im Zufall

In der Finanzwelt, in der Biologie, in der Epidemiologie, in der Kommunikation: Überall sind Mathematiker gefragt, sagt Sylvie Roelly von der Uni Potsdam. Sie berechnet Wahrscheinlichkeiten.

Mit 39 Millionen Euro auf der hohen Kante hätte wohl jeder ausgesorgt. Die allermeisten Menschen verdienen über das ganze Leben nicht annähernd so viel, aber es gibt eine verlockende Möglichkeit: Lotto spielen.

Das Glück bei 6 aus 49 versuchen? Sylvie Roelly würde das wohl nie machen: „Die Wahrscheinlichkeit bei einmal spielen zu gewinnen, liegt bei 1 zu 14 Millionen.“ Und wenn sie ein ganzes Jahr lang jede Woche spielen würde? Wann würde sie dann gewinnen? Das hat sie ausgerechnet: „Die Antwort verrate ich jetzt aber nicht, denn das ist wirklich deprimierend.“

Sylvie Roelly ist Mathematikerin und Professorin für Wahrscheinlichkeitstheorie an der Universität Potsdam. Sie sucht nach der Ordnung in dem, was auf den ersten Blick erstmal nach Chaos erscheinen mag, nach den Regelmäßigkeiten im Zufall, die sie anhand weniger Informationen errechnet. Etwa die durchschnittliche Wartezeit an der Bushaltestelle bei einem Verkehrsstau.

„Man hat viele mathematische Mittel, um eine präzise Abschätzung zu treffen. Aber es ist eben dann doch eine Schätzung, also kann es sein, dass man in der Realität dann länger auf den Bus wartet“, lacht Roelly. Dennoch findet sie es spannend, das ungreifbar Erscheinende in einem möglichst präzisen Rahmen einzufangen. Aber das mache sie nicht zur besseren Lottospielerin. „Gerade, weil wir das ausrechnen können, sind wir Wahrscheinlichkeitstheoretiker vielleicht doch vorsichtiger als andere und fallen nicht auf die Versuchung rein.“

Wer glaubt, dass Wahrscheinlichkeitstheorie nur im Glücksspiel ihre lebensnahe Anwendung findet, wird von der Französin eines Besseren belehrt. Ihr Fachgebiet sei „keineswegs so isoliert und eingestaubt, wie man uns gerne andichtet“, sagt Roelly. In der Finanzwelt, in der Biologie, in der Epidemiologie, in der Kommunikation: überall seien Mathematiker und Mathematikerinnen gefragt.

Überall sind Mathematiker gefragt, sagt Roelly

Aber gibt es von letzteren so viele? In Deutschland sei man sehr weit davon entfernt von einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis, kritisiert die gebürtige Französin. Und überhaupt nerve sie es als fünffache Mutter, dass suggeriert wird, es gäbe nur die Karriere oder die Familie: „Es erdet zu wissen, dass es wichtigeres als die Arbeit gibt. Und genauso tut es, auch den Kindern, gut, neben der Familie auf der Arbeit etwas aufzubauen. So ist das Leben doch viel reicher!“

Die Professorin spricht zukünftige Rechengenies an: So organisiert sie Tagungen für Schüler:innen, die gemeinsam mit Mathematiker:innen von der Universität forschen. „Junge Menschen können noch die ganze Wundertüte der Mathematik entdecken, die in der Schule gar nicht geöffnet werden kann.“ Sie hofft, dass Schüler und besonders Schülerinnen lernen, dass die Mathematik die Brücke in andere Bereiche ist.

Mathematik kenne eben keine Grenzen, sagt die Professorin: „Innerhalb von fünf Minuten kann ich mich dank der Mathematik Forschenden auf der ganzen Welt extrem nah fühlen.“ Dank international universeller Zeichen habe sie sogar Freundschaften nach Kuba, Kolumbien oder nach Osteuropa geschlossen. „Immer wenn ich in Kiew landete, dachte ich, in einem früheren Leben habe ich hier bestimmt gelebt. Reichtum in der Wissenschaft ist viel mehr als die reine Forschung“, philosophiert Roelly.

Das zieht sich durch ihre gesamte Arbeit. Einmal veranstaltete sie mit dem Institut für Jüdische Studien das Seminar „Mathematik und rabbinisches Denken im Mittelalter“. Es sei wichtig, die historischen und kulturellen Perspektiven und Auswirkungen auf die Kunst der Zahlen zu verstehen. Wie man nach all dem nicht neugierig sein könnte, fragt die Wahrscheinlichkeitstheoretikerin. Das müssen angehende Mathematiker:innen wohl für sich selbst beantworten. Jedenfalls kann Glücksspiel da nicht mithalten.

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