zum Hauptinhalt
Die künstlerische Darstellung zeigt wie der Gletschermann „Ötzi“ nach einer Genomanalyse zu Lebzeiten ausgesehen haben könnte.

© Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology/dpa

Mumie mit Migrationshintergrund: Ötzis Vorfahren kamen aus Anatolien

Leipziger Forscher analysieren das Genom dieses frühen Menschen aus der Kupferzeit. Sie finden heraus, woher Ötzi kam, wie er aussah und was mit seinen Haaren war.

Von Stephan Schön

Mehr als 30 Jahre hat der Gletschermann sein eingefrorenes Geheimnis bewahrt. Dutzende Wissenschaftler, Kriminologen, Künstler und Archäologen versuchten ein Bild davon zu rekonstruieren, wie Ötzi einst ausgesehen hat. Alle lagen sie mit ihren Mutmaßungen daneben.

Weder lange zauselige Haare noch ein zotteliger Bart waren vorhanden. Keine blauen Augen und auch keine helle Haut. Es sind Fehlspekulationen, sagt der Archäogenetiker Johannes Krause. Mit seinem Team am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie hat er das Genom der Gletschermumie neu analysiert. Besser und exakter als alle Versuche zuvor.

Mit diesem Resultat: Ötzi hatte anatolische Vorfahren und dunkle Haut. Zudem wohl eine Glatze. Die Gene zeigen außerdem eine Veranlagung zu Diabetes Typ 2 und Übergewicht, was jedoch dank seines gesunden Lebensstils wahrscheinlich nicht zum Tragen kam. Die Ergebnisse veröffentlichte Krause gemeinsam mit Albert Zink, Leiter der Mumienforschung am Eurac Research in Bozen und weiteren Forschenden in der Fachzeitschrift „Cell Genomics“.

Verunreinigte DNA-Proben

Schon einmal, 2012, wurde Ötzis Erbgut komplett von einem internationalen Forschungsteam analysiert. Johannes Krause war zu jener Zeit noch auf die Neandertaler spezialisiert. Als Doktorand hatte er beim Leipziger Nobelpreisträger Svante Pääbo studiert.

Seit 2012, als Ötzis Genom zum ersten Mal sequenziert wurde, haben sich die Technologien enorm weiterentwickelt.
Seit 2012, als Ötzis Genom zum ersten Mal sequenziert wurde, haben sich die Technologien enorm weiterentwickelt.

© Südtiroler Archäologiemuseum/EURAC/Marco Samadelli-Gregor Staschitz

Der Archäogenetiker Krause traute der älteren Analyse nicht. Da stimme etwas nicht, berichtet er im Gespräch über seine damaligen Zweifel. Heutige Europäer tragen unter anderem die Gene der Jäger und Sammler von vor Zehntausenden Jahren in sich. Die frühere Analyse hatte bei Ötzi außerdem einen Anteil von 7,5 Prozent ausgemacht, die von Viehnomaden aus der südeurasischen Steppe stammen sollten. Doch Ötzi lebte in den Südalpen, lange bevor die Steppenhirten in Europa ankamen.

Johannes Krause wollte daher dem Ötzi noch einmal in die Gene schauen, im Vertrauen auf die Präzision seiner Technologie in den Reinsträumen des Leipziger Instituts. 2016 konnte er schließlich mit seinen Bozener Kollegen eine Probe aus dem Knochen bekommen. 30 bis 40 Milligramm Knochen zwar nur, aber die reichten. „Wir wissen heute durch Analysen, dass die von uns untersuchte DNA nur von einer einzigen Person stammt.“ Bei der Analyse von 2012 muss es dagegen eine Verunreinigung mit heutiger menschlicher DNA gegeben haben. Viele der damaligen Schlussfolgerungen sind daher nicht mehr haltbar.

Ötzi hatte keine Borrelien-Infektion wie bisher angenommen, und litt auch sonst nicht unter Infektionskrankheiten. Doch im Vergleich mit seinen Zeitgenossen stammte ein Großteil seines Erbguts – 91,4 Prozent – von Einwanderern aus Anatolien, die die in Europa unbekannte Landwirtschaft mit sich brachten. Nur 8,6 Prozent stammen von europäischen Wildbeutern. Und wie zu erwarten nichts von eurasischen Steppenhirten.

Auch der Zeitpunkt der Ankunft von Ötzis Urahnen in Europa lässt sich nun genetisch bestimmen. Sie müssen demnach 50 Generationen vor ihm hier angekommen sein, vor 6800 Jahren, 1500 Jahre vor seinen Lebzeiten. Wenn sich aber in 50 Generationen so gut wie nichts am Erbgut verändert hat, dann lässt das nur einen Schluss zu: Die anatolischen Frühbauern haben sich kaum mit den hier schon siedelnden Menschen vermischt. „Aber wir finden auch keinerlei Anzeichen von Inzucht“, berichtet Johannes Krause. „Diese Gruppe umfasste offenbar mehrere tausend Individuen, die eine Fortpflanzungsgemeinschaft gebildet haben.“

Aus Anatolien eingereist

Inzwischen hat man sehr viele Genome von Menschen aus der Kupferzeit analysiert. Ein Vergleich zeigt, wie außergewöhnlich Ötzi ist: Unter hunderten frühen europäischen Menschen, die zur selben Zeit wie Ötzi lebten und deren Genome zur Verfügung stehen, hat Ötzi die meisten bäuerlichen Ahnenanteile. „Genetisch sieht er so aus, als seien seine Vorfahren direkt aus Anatolien gekommen“, erklärt Johannes Krause. Ötzis Hauttyp, schon in der ersten Genom-Analyse als mediterran bestimmt, war noch dunkler als bisher angenommen. „Es ist der dunkelste Hautton, den man in europäischen Funden aus derselben Zeit nachgewiesen hat“, erklärt Albert Zink, der Anthropologe aus Bozen.

Wie aber können die Wissenschaftler auf eine Glatze bei Ötzi schließen? Auch das steht in den Genen. Ötzis Gene zeigen eine sehr starke Veranlagung zur Glatzenbildung, sagt Zink. „Das ist ein relativ eindeutiges Ergebnis und könnte auch erklären, warum bei der Mumie fast keine Haare gefunden wurden.“

Die Gletschermumie liegt im Südtiroler Archäologiemuseum, das auch eine Rekonstruktion des lebenden Ötzis mit heller Haut und langen Haaren enthält. Eine Anpassung der Rekonstruktion ist nach Aussage des Museums bis auf Weiteres nicht geplant.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false