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Protest am Montag vor dem Abgeordnetenhaus: Linke und Grüne versuchten per Antrag, den Unis ein freiwilliges Bemühen um mehr Dauerstellen bis April 2025 abzuringen. Dies scheiterte.

© Eva Murašov

Senat verschiebt Uni-Novelle auf 2025: Postdocs warten weiter auf Dauerstellen

Die Novelle des Berliner Hochschulgesetzes, nach dem die Unis Postdocs Dauerstellen schaffen müssen, wird erst ab April 2025 greifen. Das beschloss jetzt der Wissenschaftsausschuss. Der Mittelbau protestiert.

„Faire Arbeitsbedingungen sehen anders aus!“ So kritisiert Julia Dück, Verdi-Sprecherin für den akademischen Mittelbau, am Montag vor dem Abgeordnetenhaus die aktuelle Beschäftigungssituation an den Unis, die viele Promovierte als prekär erleben. Wer in der Wissenschaft arbeitet und noch keine Professorin ist, müsse derzeit „von einem befristeten Vertrag zum nächsten hechten“, so Dück auf der Protestaktion, zu der die Oppositionsparteien Linke und Grüne mit Verdi und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mobilisiert haben.

Der Anlass: Die schwarz-rote Regierung will Berliner Unis erst ab April 2025 per Hochschulgesetz darauf verpflichten, Postdocs verbindliche Anschlusszusagen für eine Dauerstelle zu machen. Der alte Senat hatte den Start für Oktober dieses Jahres vorgesehen. Doch in der Sitzung vom Montag beschließt der Ausschuss mit Stimmen der Regierungsparteien eine Änderung am Gesetzestext, die die Frist um knapp zwei Jahre verlängert. Ein Versuch von Linken und Grünen, den Unis per weiterem Änderungsantrag zumindest noch ein freiwilliges Bemühen um mehr Dauerstellen bis April 2025 abzuringen, scheitert.

Die Betroffenen sind empört über den Aufschub: Das macht die kleine Kundgebung mit rund 40 Teilnehmenden deutlich. Nicht nur litten die Forschenden aufgrund der Unsicherheit unter psychischer Belastung, lautet die Kritik. Unter dem System leide neben der Chancengleichheit zudem auch die Qualität der Wissenschaft, sagt GEW-Sprecherin Laura Haßler auf der Demo. „Wer Angst hat, keinen neuen Vertrag zu bekommen, stellt auch weniger kritische Fragen“, Anpassung fördere keine Innovation.

Alle wollen Veränderung, doch Senat will mehr Zeit

Zwar ist man sich auch im Abgeordnetenhaus darüber einig, dass es bessere Perspektiven für Nachwuchswissenschaftler:innen braucht. Schließlich brachte die Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) die entsprechende Passage in der Gesetzesnovelle für die Unis vor gut zwei Jahren mit auf den Weg: damals noch als wissenschaftspolitische Sprecherin ihrer Partei zusammen mit Linken und Grünen. Doch über das Wie herrscht weiter großer Diskussionsbedarf – und der Senat will mehr Zeit.

Wissenschaftler:innen aus dem Berliner Mittelbau demonstrieren mit Verdi, der GEW und Tobias Schulze (Die Linke) vor dem Abgeordnetenhaus für mehr Langzeitverträge in der Wissenschaft.

© Eva Murašov

Zudem scheinen Mittelbau-Vertreter:innen besorgt, dass Schwarz-Rot auf Druck der CDU das Postdoc-Gesetz nicht nur aufschieben, sondern am Ende womöglich ganz kippen könnte. Marcel Hopp, der wissenschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, versucht diese Sorgen auszuräumen.

Der Senat wolle zum einen abwarten, was das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) auf Bundesebene für die Befristung von Postdocs künftig vorsehe. Zum anderen wolle man sicherstellen, dass die Neuregelung auf einem „rechtlich sicheren Boden stehe“. Ob verbindliche Anschlusszusagen per Berliner Gesetz verfassungswidrig sind, darüber gibt es verschiedene Ansichten. Eine Klage der ehemaligen HU-Präsidentin Sabine Kunst hierzu liegt noch beim Verfassungsgericht.

Ein Rattenschwanz an Folgen

Wie komplex die Umsetzung des strittigen Postdoc-Paragrafen in jedem Fall ist, wird durch die Beiträge der Gäste aus der Wissenschaft klar, die zur Anhörung eingeladen wurden. Ein Problem, das sowohl FU-Präsident Günter M. Ziegler wie Jule Specht, Psychologie-Professorin an der Humboldt-Uni, ansprechen, ist folgendes: Bislang bringen Professor:innen oft ihre eigenen Postdocs mit, wenn sie an eine Uni berufen werden.

Dies wäre nach dem neuen Modell, dem zufolge die Postdocs nach erfolgreicher Qualifizierung selbst als Profs an der Uni bleiben, nicht mehr möglich. Anders als vielerorts im Ausland ist es in Deutschland bei Profs üblich, das Kernteam bei Uniwechsel mitzunehmen.

Wir stehen vor einem Strukturwandel und wissen nicht, ob er wieder zurückgepfiffen wird.

Jule Specht, Professorin an der Humboldt-Universität

Ziegler, der den beschlossenen Aufschub bis 2025 befürwortet, kritisiert an der Gesetzesnovelle: Berlin entstehe so ein Standortnachteil. Er kenne bereits jetzt Fälle, in denen Berufungen nach Berlin „wegen der Unklarheit der Postdoc-Phase gescheitert sind“.

Jule Specht betonte, im Ausschuss nicht für die HU, sondern für sich als Professorin zu sprechen. Sie sieht die weitere Verzögerung der Anschlusszusagen eher kritisch. Die HU hat mit einem sogenannten „Zwei-Pfade-Plus-Modell“ schon einen konkreten Weg skizziert, wie die Uni die Novelle umsetzen könnte. Doch nun warte man in Ungewissheit: „Wir stehen vor einem Strukturwandel und wissen nicht, ob er wieder zurückgepfiffen wird.“

Als Lösung für das Problem, dass Profs nach der neuen Regel nicht mehr ihre Teams mitnehmen könnten, schlägt Specht vor, diese dafür mit verringertem Lehrdeputat nach Berlin zu locken. „Das wäre eine elegante Lösung: Auch um zu vermeiden, dass die jeweiligen Fachbereiche mit mehr Dauerstellen plötzlich viel mehr Studierende annehmen müssen.“ Die Verordnungen, die Lehrumfang, Studienkapazitäten und Stellenarten an Unis regeln, muss man sich wie einen langen Rattenschwanz vorstellen – denn mit mehr Festangestellten müssten Unis auch mehr Lehre und eben mehr Studienplätze anbieten.

Der Ball liegt nun also bei der Senatsverwaltung: Damit die Unis einen Rahmen haben, um faire Arbeitsbedingungen für den Mittelbau bis 2025 umzusetzen, müsse man sich zunächst an den Verordnungen zu Mitarbeitern, zum Lehrdeputat und zu den Studienkapazitäten abarbeiten.

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