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Im Sommer rieseln Sedimente auf den Grund des Crawford Lake in Ontario, Kanada, deren Schichtung sich weit in die Vergangenheit erkennen lässt.

© Anthropocene Working Group

Geologen sehen Anthropozän angebrochen: Der Crawfordsee soll Startpunkt für ein neues Zeitalter sein

Es ist der Beginn einer neuen geologischen Epoche und ein See in Kanada zeige dies am besten an, sagen Fürsprecher. Doch die Diskussion um das Anthropozän ist noch nicht abgeschlossen.

Seit Jahrtausenden greift der Mensch ins System Erde ein: Indem er Wälder rodet, Flüsse kanalisiert, Landwirtschaft betreibt. Seit dem Beginn der Industrialisierung ist der Einfluss zunehmend größer geworden, man denke an Tagebaue, Staudämme und Millionenstädte, die selbst aus dem All erkennbar sind.

30 Billionen Tonnen Material hat der Mensch der Erde entnommen und neu verarbeitet, zu Häusern, zu Maschinen. Auf jeden Quadratmeter Oberfläche kommen im Schnitt 50 Kilogramm Technofossilien, also Materialien, die dem Naturkreislauf entzogen wurden und zu neuen Produkten zusammengefügt wurden, darunter ein Kilogramm Beton.

Neue Kapitel der Erdgeschichte

Wir befänden uns im „Anthropozän“, hatte der Chemienobelpreisträger Paul Crutzen um die Jahrtausendwende erklärt, dem „Zeitalter des Menschen“. In den Geisteswissenschaften und der Kultur wurde der Begriff rege aufgegriffen. In den Geowissenschaften herrschte dagegen Skepsis vor. Sollte wirklich die Epoche des Holozän, die vor 11.700 Jahren begann, beendet und das Anthropozän formal in der Geologischen Zeittafel eingeführt werden? Genau das könnte demnächst geschehen.

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Seit 2009 haben Geoforscherinnen und Geoforscher der „Anthropocene Working Group“ darüber diskutiert, ob eine Umbenennung nötig sei, wann die Epoche beginnen soll und an welchem Ort der Wechsel mustergültig erkennbar ist. Schnell waren sie sich einig, dass eine Umbenennung sinnvoll sei.

Von einer Plattform aus bohrten Forschende der Brock University in die Sedimentablagerungen am Grund des Sees.

© Brock University, Stephen Leithwood

Etwas länger dauerte es, sich auf einen Beginn festzulegen: Die Mitte des 20. Jahrhunderts als Zeit der „Großen Beschleunigung“ als die Eingriffe und deren Folgen rapide zunahmen. Nun haben sie auch den Ort benannt, an dem der Übergang von Holozän zu Anthropozän klar erkennbar ist: den Crawfordsee in Ontario, Kanada), oder genauer: in den Sedimenten an dessen Grund.

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Für jeden Beginn einer geologischen Epoche muss es einen solchen Referenzort geben, wo beispielsweise anhand von Fossilien in den Ablagerungen klar ist: Hier begann ein neues Kapitel der Erdgeschichte. „Global Boundary Stratotype Section and Point“, GSSP, heißt das sperrig im Fachjargon. Zuweilen sagt man auch „Golden Spike“, wenn dort buchstäblich ein golden schimmernder Nagel in die betreffende Schichtgrenze eingeschlagen wird – was bei den eingefrorenen Seesedimenten sogar möglich wäre.

Asche, Stickstoff und Plutonium

Für das Anthropozän gab es anfangs zwölf Kandidatenorte, darunter Sedimente in der Beppu-Bucht der japanischen Insel Kyūshū und des Sihailongwan Sees in China, einen Eisbohrkern aus der Antarktis und ein Hochmoor im polnischen Riesengebirge. Für die jeweiligen Orte argumentieren die einreichenden Teams, dass die Schichten gut ausgeprägt und bestimmte geochemische Marker, etwa Plutonium oder Stoffeinträge aus Industrie und Landwirtschaft, klar erkennbar seien.

Wie die Anthropozän-Arbeitsgruppe am Dienstag mitteilt, hat sie sich für den Crawfordsee entschieden. Er ist knapp 24 Meter tief, habe eine stabile Wasserschichtung, so dass die Sedimente am Boden ungestört abgelagert werden. „Jedes einzelne Jahr ist da zu erkennen“, sagt Francine McCarthy von der Brock Universität und stimmberechtigtes Mitglied der Arbeitsgruppe. Im warmen Sommer werden Kalzitminerale ausgefällt, die herabrieseln und alljährlich eine markante weiße Lage bilden. Wie Baumringe.

Feinarbeit zwischen den Zeitaltern: Eine Forscherin der Brock University entnimmt Sedimentproben aus dem Bohrkern.

© Brock University, Stephen Leithwood

In den Schichten, so McCarthy, sei anhand von Laboranalysen klar zu erkennen, wie der Aschegehalt aus Industrieanlagen deutlich steigt, ebenso Stickstoff-Isotope, deren Eintrag auf vermehrten Düngereinsatz zurückzuführen ist. Vor allem aber sei ab den frühen 1950er-Jahren das Isotop Plutonium-239 nachweisbar – eine globale Signatur von Kernwaffentests.

Im nächsten Schritt will die Arbeitsgruppe einen Antrag formulieren, um das Anthropozän in die offizielle Geologische Zeittafel aufzunehmen. Der muss in drei übergeordneten Gremien bis hinauf zur Internationalen Union der Geowissenschaften eine Mehrheit gewinnen. Ob das gelingt, ist offen.

Botschaft der Ablagerungen

Kritiker wie Philip Gibbard von der Universität Cambridge argumentieren, dass es für die praktische Arbeit nichts nütze, um 1950 das Holozän willkürlich zu beenden und die folgenden Ablagerungen dem Anthropozän zuzuordnen. Er meint, die Verfechter wollten vielmehr eine politische Botschaft, einen Weckruf, senden – was diese nicht abstreiten.

Sollten sie bei den folgenden Abstimmungen die nötigen Mehrheiten bekommen, könnte es schließlich im August 2024 so weit sein. Dann wird in Busan (Südkorea) der Internationale Geologische Kongress abgehalten. Dort wäre final über den Antrag zu entscheiden.

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