zum Hauptinhalt
Wie attraktiv bleibt Deutschland für Spitzenforscher nach einer Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes?

© imago images/VWPics/Edwin Remsberg via www.imago-images.de

Umstrittene Reform: Deutschland nicht vom internationalen Talentepool abkoppeln

In der Diskussion um eine Reform der Zeitverträge von Wissenschaftlern muss der internationale Wettbewerb um Spitzenforscher berücksichtigt werden. Ein Gastbeitrag des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft.

Von Martin Stratmann

Unter dem Hashtag #ichbinHanna läuft derzeit eine intensive politische Debatte zu Arbeitsbedingungen und Karriereperspektiven für promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Politik sieht sich zum Handeln gezwungen, da die Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) 2016 eben nicht – wie erhofft – zu einer dauerhaften Begrenzung aufeinanderfolgender zeitlich befristeter Kettenverträge geführt hat. Deren Ursache ist aber vor allem eine Folge der im Vergleich zur niedrigen Grundfinanzierung steigenden Drittmittelfinanzierung zahlreicher Wissenschaftseinrichtungen.

Die Vorschläge sind zu kurz gedacht, wenn man Wissenschaftskarrieren im internationalen Kontext betrachtet. 

Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft

Aktuell diskutiert werden striktere Regelungen und zeitlich deutlich enger befristete Verträge insbesondere in der Postdoc-Phase. Diese soll frühzeitiger zur Weichenstellung genutzt werden in eine entweder akademische Laufbahn mit dem Ziel einer Festanstellung oder aber in eine Karriere außerhalb der Wissenschaft. Die Vorschläge würden einige der Kritikpunkte aus der #ichbinHanna-Bewegung direkt adressieren – und sind trotzdem zu kurz gedacht, wenn man Wissenschaftskarrieren im internationalen Kontext betrachtet.

Als Wissenschaftsstandort konkurriert Deutschland mit internationalen Wettbewerbern in Europa, USA und China um den besonders talentierten Nachwuchs. Die Postdoc-Phase dient den an einer Wissenschaftskarriere Interessierten dabei zum Sammeln internationaler Erfahrungen und zur Erarbeitung eines eigenen international sichtbaren Wissenschaftsprofils.

Verzicht auf Brain Gain droht

Unser Ziel muss es sein, in dieser Phase möglichst vielen hochtalentierte Forschenden ein international ausgerichtetes attraktives Angebot in Deutschland zu machen, um sie so an unsere Forschungseinrichtungen zu holen. Verlässlichkeit bedeutet in diesem Sinne, dass Raum und Zeit für innovative Ideen und hochrangige Publikationen gegeben sind, denn nur diese erzeugen Sichtbarkeit und eine internationale Reputation.

Eine Engführung der Postdoc-Phase mit zeitlichen Befristungen, die dafür nicht mehr den nötigen Raum geben, würde eine enorme Hürde für den Austausch mit dem weltweiten akademischen Arbeitsmarkt darstellen. Ein Postdoc in Deutschland würde dann nicht mehr ausreichen, um sich für eine Professur im Ausland zu qualifizieren und den talentierten Nachwuchs in andere Länder treiben. Im Ergebnis würde Deutschland auf ein erhebliches Maß an Brain Gain verzichten, was in einer Zeit zunehmenden Fachkräftemangels unverantwortlich wäre. In der Max-Planck-Gesellschaft kommen 80 Prozent aller Postdocs aus dem Ausland.

Natürlich ist es nicht jedem Postdoc gegeben, wissenschaftliche Durchbrüche zu erzielen und sich damit für eine akademische Karriere zu qualifizieren. Das muss durch ein begleitendes professionelles Mentoring frühzeitig erkannt und alternative Wege, z.B. in der deutschen Industrie eröffnet werden. Verlässliche Karrierewege sind damit nicht rein akademisch, sondern vielgestaltig!

Zeitgemäße Balance

Denjenigen aber, die sich während der Postdoc-Phase für eine Wissenschaftskarriere qualifizieren, muss ein ein rascher Aufstieg in unabhängige Positionen ermöglicht werden. Hier gilt: „No shoe fits all“. In Abhängigkeit vom Forschungsgebiet und der individuellen Fragestellung müssen Postdocs ihre Forschung zu internationaler Sichtbarkeit führen und sich so für den internationalen Arbeitsmarkt qualifizieren. Dabei ist der Tenure Track kein Allheilmittel! Ein Fokus nur auf Tenure Track würde die Durchlässigkeit des erfolgreichen deutschen Wissenschaftssystems in Frage stellen und gleichzeitig zum Beispiel die Nachwuchspolitik der Max-Planck-Gesellschaft auf die Förderung des Eigenbedarfes beschränken.

Das wäre kontraproduktiv. Denn die MPG bildet eine Vielzahl junger, hochtalentierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in innovativen Forschungsfeldern aus, die später angesehene Tenure-Stellen national wie international erlangen. Die Weiterentwicklung des WissZeitVG wird also nur dann erfolgreich sein, wenn ihr die zeitgemäße Balance zwischen Wissenschaftsfreiheit und Arbeitsplatzsicherung gelingt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false