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Im Rahmen des internationalen „Basic Income March“ gingen am 19. September weltweit Menschen für das Grundeinkommen auf die Straße, auch nahe des Berliner Alexanderplatzes.

© picture alliance/dpa

Experiment zum Grundeinkommen: Was wäre, wenn ...?

Was ändert sich, wenn Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten? Ein dreijähriges Experiment soll es messen.

Selten ist es so beliebt gewesen, sich als Versuchskaninchen zu melden: Eine Million Bewerbungen nach nur drei Tagen verzeichneten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Pilotprojekts Grundeinkommen. Mindestens 120 Menschen werden 1200 Euro im Monat erhalten, drei Jahre lang, einfach so. Sie müssen dafür nichts weiter tun, als alle sechs Monate einen Fragebogen auszufüllen.

Wirken 1200 Euro im Monat befreiend oder machen sie träge?

Das Geld fließt ohne Gegenleistung, hat aber einen Zweck: Die Studie soll belastbare Antworten auf Fragen liefern, um die in der Debatte zum bedingungslosen Grundeinkommen schon seit Jahren gestritten wird. Was macht es mit Menschen, wenn ihnen die Mittel zum Leben einfach geschenkt werden? Wirkt es befreiend, oder macht es sie träge? Gehen sie arbeiten oder genießen sie die freie Zeit?

„Die meisten Argumente und Modellrechnungen basieren auf Klischees. Wir wollen sie auf den Prüfstand stellen“, sagt Jürgen Schupp. Der Soziologieprofessor an der Freien Universität ist einer der wissenschaftlichen Leiter der neuen Feldstudie. Über das Grundeinkommen, sagt er, wird in der Forschung schon lange diskutiert, in den 1970er-Jahren kam die Idee eines universellen Bürgergeldes auf. Als Wählerinnen und Wähler in der Schweiz im Sommer 2016 bedingungslose 2500 Schweizer Franken mit großer Mehrheit ablehnten, war das für die Verfechter des Grundeinkommens kein Rückschlag. Seither wächst das Interesse stetig, in der Forschung besonders unter jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sagt Jürgen Schupp. In Deutschland sind Befürworter und Skeptiker Umfragen zufolge in zwei etwa gleich große Lager gespalten.

Das Grundeinkommen würde eine Billion Euro jährlich kosten

In der Wirtschaftswissenschaft überwiegt weiterhin die Skepsis. Vielen gilt ein Grundeinkommen als schlicht unfinanzierbar. Sollen alle Deutschen monatlich 1200 Euro erhalten, kostet das mehr als eine Billion Euro im Jahr – ein gutes Drittel des deutschen Bruttosozialprodukts und deutlich mehr, als Bund, Länder und Kommunen insgesamt an Steuern einnehmen. Das heißt nicht, dass eine Finanzierung unmöglich wäre. Den Kosten stünden auch mögliche Ersparnisse gegenüber, beispielsweise beim Steuerfreibetrag und bei zahlreichen derzeit gewährten Transferzahlungen. Unterstützer des Grundeinkommens haben rund 20 unterschiedliche Modelle vorgelegt, die von einer Erhöhung der Mehrwertsteuer bis zu einer Vermögenssteuer reichen. Es ist eine Menge Geld – „aber wenn eine Gesellschaft das Grundeinkommen finanzieren will, dann wird sie einen Weg finden“, sagt Jürgen Schupp. Kein Finanzierungsmodell kann jedoch aufgehen, wenn viele Menschen aufhören zu arbeiten, wie die Skeptiker fürchten. Gleichzeitig ist das Grundeinkommen die hohen Kosten wohl kaum wert, wenn die Vorteile nicht eintreten, die sich Befürworter davon versprechen. Bislang fehlt der Debatte eine gesicherte empirische Grundlage. Es gibt zwar bereits Forschung zum Grundeinkommen: zum Beispiel zu der Öldividende, die alle Bewohner Alaskas als jährliche Einmalzahlung erhalten, oder eine kürzlich abgeschlossene Studie mit Erwerbslosen in Finnland. „Wir fangen nicht bei null an“, sagt Jürgen Schupp.

Erste Studie zu existenzsicherndem Einkommen

Das Pilotprojekt Grundeinkommen ist aber die erste Studie, die die Effekte eines existenzsichernden Grundeinkommens auf Menschen im erwerbsfähigen Alter systematisch erfassen soll. Dazu wird der nun schon millionenstarke Pool der Bewerberinnen und Bewerber auf einen verallgemeinerbaren Ausschnitt der deutschen Gesellschaft verkleinert werden; das Los wählt daraus die gut 120 Rezipienten des Grundeinkommens aus. Hinzu kommen 1380 weitere Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer, die der Versuchsgruppe möglichst ähnlich sind. Diese „statistischen Zwillinge“ füllen für die Dauer von drei Jahren dieselben Fragebögen aus, erhalten dafür aber nur eine Aufwandsentschädigung. Es ist fast wie ein Experiment im Labor: So lässt sich nicht nur messen, was sich verändert, sondern auch, ob das Grundeinkommen wirklich den Unterschied macht. „Wir machen Grundlagenforschung mit den besten Methoden, die der empirischen Sozialwissenschaft zur Verfügung stehen“, sagt Jürgen Schupp.

1,7 Millionen Euro jährlich aus Spenden

Eine Besonderheit des Pilotprojekts ist die Finanzierung. Statt aus Steuergeldern stammt das im Experiment ausgezahlte Geld – immerhin 1,7 Millionen Euro pro Jahr – von knapp 150.000 Einzelspendenden an den Verein Mein Grundeinkommen, der sich für die Idee einsetzt und die Studie initiiert hat. Es ist damit eine ungewöhnliche Kooperation. Jürgen Schupp sieht sie als Zeichen eines Kulturwandels, der oft mit dem Schlagwort Citizen Science benannt wird. „Die Wissenschaft begibt sich aus ihrem Elfenbeinturm heraus und arbeitet mit der Bürgergesellschaft auf Augenhöhe zusammen.“ Wissenschaftliche Standards werden dabei strikt eingehalten: Das Forschungsteam erhält von dem Verein keine Bezahlung und arbeitet an seinen Forschungsinstituten unabhängig.

Im Pilotprojekt soll erfasst werden, ob und wie viel die Studienteilnehmer arbeiten gehen, ob sie sich weiterbilden oder selbstständig machen. Es geht auch um den Alltag: Sehen die Menschen fern, lesen sie Bücher, gehen sie auf Partys? Und schließlich auch darum, wie es ihnen geht – sind sie mit ihrem Leben zufrieden? Machen sie sich Sorgen über die Zukunft? „Das sind klassische Fragen, die auch in anderen Studien über viele Jahre gestellt werden“, sagt Jürgen Schupp. Zum Beispiel im Sozio-oekonomischen Panel, kurz SOEP, das der Soziologe seit mehreren Jahrzehnten mitgestaltet und auch in den Jahren 2011 bis 2017 als dessen Direktor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) leitete. Aus dem SOEP weiß man, welche Veränderungen über drei Jahre typisch sind und welche eher aus der Reihe fallen. Außerdem lässt es erste Vermutungen aufstellen: Gefragt, was sie mit einem plötzlichen Geldgeschenk in Höhe von 10.000 Euro machen würden, sagt im SOEP nur eine Minderheit, dass sie den Betrag gleich ausgeben würde, die meisten würden ihn zur Seite legen. Wenn sich das in der Feldstudie bestätigt, hieße das, dass ein Grundeinkommen als Konjunkturmaßnahme wenig taugt. Es könnte dennoch wichtige Effekte entfalten: „Wichtiger als das Geld selbst ist möglicherweise das Sicherheitsgefühl, das es vermittelt“, sagt Jürgen Schupp.

Auch die Gesundheit wird robuster

Ein solches Sicherheitsgefühl ist ein zentrales Argument für den Verein Mein Grundeinkommen. Der Verein verlost schon seit Jahren einjährige, spendenfinanzierte Grundeinkommen und hat viele Berichte gesammelt: von Menschen, die sorgenfreier leben, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen und deren Gesundheit robuster wird. Für den Sozialwissenschaftler Jürgen Schupp haben die Berichte zwar nur anekdotische Evidenz, bilden aber eine plausible Grundlage für Hypothesen: „Die Sorge vor sozialem Abstieg kann die Gesundheit beeinträchtigen. Und Risiko muss man sich leisten können.“

Läuft es nach Plan, wird das Pilotprojekt in drei Jahren viele Thesen bestätigen oder widerlegen können.

Jonas Huggins

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