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Jan-Martin Wiarda

© Tagesspiegel/Nassim Rad/Tagesspiegel

„Wiarda will’s wissen“: Forschungsministerium lässt zukunftsweisenden Posten unbesetzt

Bei der Entwicklung wichtiger Technologien droht Deutschland den Anschluss zu verlieren, auch aufgrund einer umstrittenen Personalentscheidung im zuständigen Ministerium.

Eine Kolumne von Jan-Martin Wiarda

Vor ein paar Tagen erst war es der neue Fraunhofer-Präsident Holger Hanselka, der warnte: In wesentlichen Zukunftstechnologien von der Künstlichen Intelligenz über die Robotik bis zur Energiespeicherung befänden sich „sämtliche Schlüsselspieler außerhalb von Deutschland und, in den meisten Fällen, Europas“.

Deutschlands Technologierückstand wird größer, die Innovationskrise drückt das Wachstumspotenzial der Wirtschaft. Die einzige Lösung: mehr angewandte Forschung, mehr Innovation. Und die Zeit drängt. Umso irritierender ist, dass die Führung der diesbezüglichen Schlüsselabteilung im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit bald drei Monaten unbesetzt ist. Wer im BMBF-Organigramm unter Abteilung 5, „Forschung für technologische Souveränität und Innovationen“ nachschaut, fand dort noch am Freitag die Buchstaben „N.N.“, verbunden mit dem Hinweis auf eine kommissarische Leitung.

Noch mehr zum Augenreiben ist, dass Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger die bisherige Abteilungsleiterin, die Informatikerin Ina Schieferdecker, Anfang Juni von einem Tag auf den anderen abberufen hatte, ohne eine Nachfolge in der Hinterhand zu haben. In einem an alle BMBF-Mitarbeiter verschickten Schreiben teilte Stark-Watzinger mit, dass sie die Absicht habe, „die Abteilung inhaltlich und personell neu aufzustellen“, verbunden mit einem eigenartig vagen Hinweis auf das „zweite Jahr der Zeitenwende“.

Was nach strategischer Weitsicht klingen sollte, wirkte in Kommunikation und Umsetzung so erratisch, dass Stark-Watzinger durch ihren Verzicht auf einen geordneten Übergang nicht nur eine Rufschädigung der als untadelig geltenden Schieferdecker in Kauf nahm. Zusätzlich brachte sie neue Unruhe in ein Ministerium, das sich nach reichlich Ruckelei gerade an die neue FDP-Hausleitung zu gewöhnen schien.

Aktionismus im BMBF

Als Stark-Watzinger im Dezember 2022 zwei andere Abteilungsleiter-Posten neu besetzte, standen die Nachfolger immerhin schon fest. Wenn auch Überraschung verursachte, dass Stefan Müller zum Leiter der Nachhaltigkeitsforschungs-Abteilung ernannt wurde, zu dem Zeitpunkt stellvertretender Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion in Hessen, wo Stark-Watzinger Partei-Landesvorsitzende ist und dieses Jahr gewählt wird. Müllers Landtagsthemen bis dahin: Innenpolitik, Sport und Verwaltungsreform. 

Manche vermuteten, für die Wissenschaftlerin Schierdecker werde zeitnah der nächste Parteifreund Stark-Watzingers folgen. Doch deutet die fortdauernde Vakanz darauf hin, dass bei der Abberufung vor zwölf Wochen in der BMBF-Chefetage weniger Planung im Vordergrund stand als Aktionismus. Und der wachsende Frust einer Ministerin, die sich in der deutschen Erneuerungskrise als Innovatorin inszenieren wollte, während sich zentrale Ministeriumsprojekte wie die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) immer weiter verzögerten.

Anstatt durch strategisch-konzeptionelle Akzente aufzufallen, hatte Stark-Watzinger im ersten Jahr ihrer Amtszeit mit Vorwürfen zu kämpfen, sie wolle im Gegenzug für die DATI-Ausgaben bei den Geistes- und Sozialwissenschaften einsparen. Und dann waren da schräge Statements wie ihre später deutlich relativierte Prognose, in gut zehn Jahren werde es das erste deutsche Fusionskraftwerk geben, was nicht nur bei Fusionsexperten Kopfschütteln auslöste.

Immerhin: Zuletzt zeigt Stark-Watzinger sich tatsächlich geschickter darin, Akzente zu setzen in öffentlichen Debatten zu neuen Züchtungstechniken, zu grünem Wasserstoff oder zur KI. Und den Start von zwei DATI-Pilotmodulen konnte sie auch verkünden.

Doch wo bleibt die versprochene Neuausrichtung der Abteilung 5? Wo bleibt die neue Person, die dies verkörpern soll? Deren Namen ebenso wenig bekannt ist wie der Zeitpunkt, zu dem sie endlich einsteigt. Weiß zumindest die Ministerin die Antworten?

Wenn ja, so behält sie dieses Wissen weiter für sich und spielt kommunikativ auf Zeit. Man könne „zu einzelnen Personalien aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Angaben“ machen, hieß es zunächst aus der BMBF-Pressestelle. Erst auf Nachfrage teilte eine Sprecherin dann mit: „Die Nachbesetzung ist derzeit in Vorbereitung und soll in Kürze erfolgen.“

Unterdessen hat die Ministerin für diesen Montagmorgen zu einer hybriden Personalversammlung eingeladen, Überschrift „BMBF direkt: Ausblick 23“. Zum Ende der parlamentarischen Sommerpause soll es um einen „Blick auf unsere Arbeitsschwerpunkte in der zweiten Jahreshälfte sowie im nächsten Jahr“ gehen. Es wäre verwunderlich, wenn dann nicht endlich auch die Zukunft der Zukunftsabteilung 5 zur Sprache käme.

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