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Kältereize wie beim Formen eines Schneeballs werden im Gehirn anders verarbeitet als Wärme.

© imago/Christoph Reichwein (crei)

Wie das Gehirn Wärme und Kälte erkennt: Hirnregion für Temperaturwahrnehmung gefunden

Die Existenz einer Hirnregion eigens für die Temperaturwahrnehmung war lange umstritten. Nun haben Berliner Forschende eindeutige Hinweise gefunden.

Wenn wir Dinge berühren, nehmen auch ihre Temperatur wahr. Dafür ist eine ganz bestimmte Region des Gehirns verantwortlich, berichtet ein Forschungsteam um James Poulet vom Max Delbrück Center im Fachmagazin „Nature“.

Die Forschenden haben im hinteren Teil der Inselrinde einen thermischen Kortex mit Nervenzellen gefunden, die Kälte oder Wärme registrieren. Die Existenz eines speziellen Zentrums für die Temperaturwahrnehmung war zuvor umstritten.

„Das Gehirn und seine Funktionsweise zu verstehen, gehört zu den ganz großen Fragen der Wissenschaft“, wird Poulet in einer Mitteilung des Max Delbrück Center zitiert. Die sensorische Wahrnehmung sei ein guter Ansatzpunkt, sich den Antworten zu nähern.

Wenn ein Mensch sich bewegt, verarbeitet das Gehirn die von den Sinnesorganen übermittelten Informationen und konstruiert daraus die bewusste Wahrnehmung der Umwelt. Das geschieht vor allem in der gefalteten äußeren Schicht des Gehirns, dem Kortex.

Unterschiedliche Signalwege

Wenn die Haut mit Kälte in Kontakt kommt, reagieren die Zellen im primären somatosensorischen Kortex, hatten Poulet und seine Kolleg:innen zuvor in einer Studie herausgefunden. Deshalb haben sie erwartet, dass auch Wärme in dieser Region des Gehirns verarbeitet wird.

Das Team testete diese Hypothese bei Mäusen. Sie setzten die Vorderpfoten der Tiere milden Temperaturen aus. Mithilfe von bildgebenden Verfahren analysierten sie, welcher Teil des Gehirns auf Veränderungen der Hauttemperatur reagierte.

Es zeigte sich, dass statt des primären somatosensorischen Kortex Nervenzellen in einer anderen Hirnregion aufleuchteten: in der hinteren Inselrinde. „Der bisher nur schwer greifbare thermische Kortex befindet sich anscheinend in der hinteren Inselrinde, wie unsere Studie zeigt“, sagt Mario Carta. Manche der Neuronen antworteten nur auf Kälte, andere nur auf Wärme. Und viele reagierten auf beides, erklärt Mikkel Vestergaard. Carta und Vestergaard sind die beiden Erstautoren der Studie.

Die Reaktion auf Wärme und Kälte läuft unterschiedlich ab. Die für Wärme zuständigen Neuronen sprachen auf die absolute Temperatur an, während die für Kälte zuständigen Neuronen auch Temperaturunterschiede registrierten. Die Reaktionen auf Kälte waren schneller, sie ließen außerdem schneller wieder nach. „Das legt nahe, dass es unterschiedliche Signalwege für die Wahrnehmung von Kälte und Wärme gibt“, sagt Vestergaard.

Um zu beweisen, dass die Inselrinde für die Temperaturwahrnehmung unentbehrlich ist, trainierten die Wissenschaftler:innen Labormäuse darauf, kühle oder warme Temperaturen mit ihrem Verhalten anzuzeigen. Das Team nutzte Optogenetik, um die Inselrinde vorübergehend auszuschalten, während die Mäuse dem jeweiligen Reiz ausgesetzt waren. Erst wenn die Inselrinde wieder normal reagieren konnte, empfanden die Mäuse auch wieder Wärme oder Kälte.

Künftig will das Team um Poulet den ganzen Weg der Temperatur von der Haut über das Rückenmark in den Thalamus und schließlich zum Kortex analysieren. „Wir wollen wissen, wo und wie die Informationen zur Temperatur an den unterschiedlichen Stationen repräsentiert sind und wie sie sich entlang des Weges verändern“, sagt er.

Eine weitere Frage hat sich aus der Studie ergeben: Warum reagiert der primäre somatosensorische Kortex auf Kälte, aber nicht auf Wärme? Eine These ist, dass diese Region eher für die Wahrnehmung komplexer Texturen zuständig ist – zum Beispiel, wenn sich etwas klamm, glatt oder metallisch anfühlt. „Vielleicht helfen Informationen über Kälte, komplexe Oberflächenstrukturen zu unterscheiden“, sagt Poulet. Doch es bedürfe weiterer Versuche, das wirklich zu verstehen. „Es ist faszinierend, aber noch recht unklar.“ (Tsp)

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