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Der bundesweite Girls’Day findet an der Freien Universität bereits seit 2002 statt – hier am Fachbereich Physik.

© Olga Jarugski

Zentrale Frauenbeauftragte im Interview: „Die Gleichstellung ist nicht erreicht“

24 Jahre war Mechthild Koreuber in ihrem Amt an der Freien Universität – ein Gespräch über Möglichkeiten, Erfolge und Herausforderungen.

Von
  • Carsten Wette
  • Kerrin Zielke

Frau Koreuber, wenn wir auf Ihre universitären Anfänge blicken: Sie haben Mathematik und auch Philosophie, Geschichte und Politikwissenschaft studiert – und einige Jahre in der Wissenschaft gearbeitet. Warum haben Sie sich 1999 dem Amt der zentralen Frauenbeauftragten zugewendet?

An der Freien Universität begannen Anfang der 1980er-Jahre mit mir relativ viele Frauen ein Studium der Mathematik, an die 40 Prozent der Studierenden in den Anfangsvorlesungen waren weiblich. Doch die meisten sahen sich als künftige Lehrerinnen. Als Diplomstudentin irritierte mich das ebenso wie die Beobachtung, dass nahezu alle Lehrenden männlich waren. Diese Situation verschärfte sich bei meinem Wechsel als wissenschaftliche Mitarbeiterin an die Technische Universität Berlin und in die Informatik. So war ich schon als Studentin und ebenso als Wissenschaftlerin frauenpolitisch engagiert. Während des Studiums initiierte ich eine Frauengruppe Mathematik und die Einrichtung von Frauentutorien, ich habe mich viel mit der Geschichte von Frauen in Mathematik und Informatik beschäftigt, war Frauenbeauftragte in der Informatik und Mitglied im Frauenrat der Technischen Universität. Da war der Schritt zur Hauptberuflichkeit als zentrale Frauenbeauftragte nicht weit und eine konsequente Folge meines politischen Engagements.

Was würden Sie als Mathematikerin sagen: Gibt es eine Art Formel für erfolgreiches Handeln als Frauenbeauftragte?

Wenn es sie denn gäbe, so wären gewisse Grundhaltungen Teil dieser Formel: Geradlinigkeit und Verlässlichkeit des eigenen politischen Handelns, Zugewandtheit gegenüber den unterschiedlichen Kulturen in einer Universität – und natürlich Humor. Als Wissenschaftlerin vertraue ich der Kraft des guten Arguments. Als Politikerin – und das Amt der Frauenbeauftragten ist ein politisches Amt – musste ich oft genug erkennen, dass ich mich darauf nicht verlassen konnte, sondern es auch an der Universität galt, sich im Gefüge unterschiedlicher Machtinteressen zu behaupten, um dem Anliegen der Geschlechtergerechtigkeit Geltung zu verschaffen.

Vor welchen Herausforderungen stehen Frauenbeauftragte an Universitäten heute?

Es scheint heute die Vorstellung vorzuherrschen, die Gleichstellung der Geschlechter sei im Wesentlichen erreicht, und Förderprogramme seien nicht mehr notwendig. Dieser Irrglaube ignoriert die Tatsache, dass Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ein strukturelles Problem ist und es neben einer weiterhin notwendigen individuellen Förderung von Frauen auch der Veränderung traditioneller Machtstrukturen an Hochschulen und im Wissenschaftssystem bedarf. Überlagert wird dieses Thema zudem von der Debatte zu Diversität: Diversity und Gender scheinen in Konkurrenz zueinander zu stehen; sie laufen Gefahr, im Ringen um Ressourcen und Gestaltungsmöglichkeiten gegeneinander ausgespielt zu werden. Das ist fatal und für beide Themenfelder kontraproduktiv, denn beide sind gleichermaßen wichtig, nicht nur an Universitäten.

In Ihrer Amtszeit haben Sie Probleme sexueller Belästigung, Diskriminierung und Gewalt an der Hochschule zu einem Thema gemacht: Was haben Sie und Ihre Mitstreiterinnen erreicht?

Sich dem Themenfeld sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt (SBDG) zuzuwenden, ist für Frauenbeauftragte selbstverständlich. Dabei geht es zunächst um die gute Beratung von Betroffenen und Beobachtenden. Hier haben mein Team und ich von Beginn an auf die Qualifizierung der dezentralen Frauenbeauftragten gesetzt, die häufig die ersten Ansprechpersonen sind. So ist das Thema SBDG auch Bestandteil des zweijährigen, 2010 etablierten Weiterbildungsprogramms „FUTURA – Qualifikation für ein genderkompetentes Handeln im Beruf“, das die meisten Frauenbeauftragten der Freien Universität durchlaufen. Gemeinsam mit weiteren Stellen der Freien Universität haben wir ein Netzwerk geschaffen, die heutige „Arbeitsgruppe gegen sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt“. Sie führt rechtliches Wissen und über die Jahre erworbene Erfahrung ihrer Mitglieder aus der Beratung von Einzelfällen zusammen. Darauf aufbauend wurde unter anderem die 2020 beschlossene „Richtlinie zum Umgang mit sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt“ entwickelt. Darüber hinaus wird dieses Thema durch vielfältige Aktivitäten etwa beim „Tag gegen Gewalt gegen Frauen“ in die universitäre Öffentlichkeit gebracht, auch um deutlich zu machen, dass derartiges Verhalten nicht geduldet wird und Konsequenzen nach sich zieht.

Die langjährige zentrale Frauenbeauftragte Mechthild Koreuber.

© Michael Fahrig

Die Mehrzahl der Studierenden an der Freien Universität sind Frauen. Wo steht die Hochschule bei der Zahl der Professorinnen?

Der Frauenanteil an Professuren ist von neun Prozent im Jahr 1999 auf jetzt 40 Prozent angestiegen, bundesweit stehen wir an der Spitze. Die Besetzung von Professuren zu begleiten, ist eine wesentliche Aufgabe der Frauenbeauftragten – an Fachbereichen und Zentralinstituten sowie auf zentraler Ebene. Mein Ziel war es, Gleichstellungsaspekte systematisch in die Berufungsverfahren zu integrieren und damit einen Beitrag für Transparenz und Chancengerechtigkeit zu leisten. Die Frauenbeauftragten sind an den Berufungsverfahren beteiligt, schreiben Stellungnahmen und bewerten die Verfahren unter diesen Aspekten. Auch die Entwicklung des Berufungsleitfadens der Freien Universität, der in jedem Verfahrensschritt Gleichstellungsaspekte benennt, ist mit unserer Beteiligung entstanden. Wichtig sind auch die überaus erfolgreichen Förderprogramme für W2- und Juniorprofessuren, die die Berufungsfähigkeit von Wissenschaftlerinnen stärken.

Mit Gästen der Universität Cape Coast (v. l. n. r.): Genevieve Adkupo, Mechthild Koreuber, Gülay Çağlar, Georgina Yaa Oduro, Akua O. Britwum.

© Azra Iman Kiss

Die Freie Universität ist eine sehr vielfältige Organisation – und so groß wie eine Kleinstadt, wie Sie immer wieder betonten. Wie konnten Sie als zentrale Frauenbeauftragte Brücken schlagen zwischen den dezentral organisierten Teilen?

Netzwerke zu bilden, ist die Antwort, und das mir wichtigste Netzwerk sind die Frauenbeauftragten an den Bereichen. Eine Herausforderung bei meinem Amtsantritt 1999 bestand darin, dass den nebenberuflichen Frauenbeauftragten zeitliche, finanzielle und strukturelle Ressourcen zur Verfügung gestellt wurden und sie angemessen an Entscheidungswegen beteiligt wurden, zum Beispiel über die Dekanatssitzungen. Als zentrale Frauenbeauftragte war es mir besonders wichtig, die unterschiedlichen Fachkulturen zu verstehen und ihre besonderen Bedingungen in die Konzepte von Frauenförderung und Gleichstellungspolitik einzubeziehen. Hierzu zählte etwa, das Plenum der Frauenbeauftragten zu stärken und ein Konzept für die Fortbildung der nebenberuflichen Kolleginnen zu entwickeln, das heutige Programm FUTURA.

Worüber freuen Sie sich, wenn Sie auf Ihre Zeit im Amt zurückblicken?

Von Beginn an war es mir ein Anliegen, Geschlechterforschung zu fördern. Die Möglichkeiten als Frauenbeauftragte sind vielfältig: Genderaspekte können in Studienordnungen oder Ausschreibungstexte integriert, Konferenzen oder Projekte initiiert werden. Gemeinsam mit dem Margherita-von-Brentano-Zentrum haben wir eine Art Werkzeugkasten aufgebaut, die Toolbox Gender und Diversity in der Lehre. Immer galt es, die Möglichkeiten in den Fachbereichen und Disziplinen zu entdecken. Dies ist ein Stück weit auch in den Naturwissenschaften gelungen. Besonders freue ich mich über die Arbeitsstelle Gender Studies in der Mathematik und die Professur für Wissenschafts- und Geschlechtersoziologie in der Physik. Diese sind in Deutschland einzigartig.

Szene aus dem Stück „Mathematische Spaziergänge mit Emmy Noether“. Am 11. Mai um 17 Uhr wird es in Kooperation mit dem Wiener Portraittheater erneut am Institut für Mathematik der Freien Universität (Arnim­allee 3–5) aufgeführt. 

© Sandra Schüddekopf

Sie haben sich vor einigen Jahren Ihrer Disziplin Mathematik wieder zugewandt und im Jahr 2015 promoviert. Ein alter Traum?

Schon während meines Studiums hat mich die Geschichte der Mathematik beschäftigt, es war aber nicht möglich, in Mathematikgeschichte an der Freien Universität ein Diplom zu erwerben. So habe ich diese Interessen durch Vorlesungsreihen, Tutorien und Seminare hier und später an der Technischen Universität weiterverfolgt, dort auch durch meine Mitarbeit im Projekt „Sozialgeschichte der Informatik“. Mein Interesse galt insbesondere den Frauen in diesen Disziplinen; heute würde man von Geschlechterforschung sprechen. Zugleich faszinieren mich der Prozess des Entstehens von Mathematik und die Veränderung mathematischer Zugangsweisen. Diese Fragestellungen verbinden sich in meiner Promotion, denn meine historische Forschungsperspektive ist zugleich Geschlechterforschung, Wissenschaftstheorie und Kulturgeschichte. Und ja, mit meinem Buch über die Mathematikerin Emmy Noether und ihre Schule habe ich mir einen alten Wunsch erfüllt.

Haben Sie einen Lieblingsort an der Freien Universität?

Mein lichtdurchflutetes Büro mit seinem Blick auf Bäume und Garten in einem schönen Backsteinhaus in Dahlem war mir immer lieb. Ein besonderes Gebäude ist der Henry-Ford-Bau, der für mich mit vielen Erinnerungen verbunden ist: die ersten Dahlemer Frauentage, Konferenzen zu Themen der Gleichstellung, die mehr oder gelegentlich auch weniger aufregenden Sitzungen des Akademischen Senats und die Festveranstaltungen zur Vergabe des Margherita-von-Brentano-Preises, den die Freie Universität für außergewöhnliche Leistungen in Gleichstellung oder Geschlechterforschung verleiht. Mein persönliches Highlight ist die Uraufführung des Theaterstücks „Mathematische Spaziergänge mit Emmy Noether“ am 6. Juni 2019, dem 100. Jahrestag ihrer Habilitation.

Das Interview führten Kerrin Zielke und Carsten Wette.

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