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Zurück zur Innovation: 50er Jahre: Bikinihaus wird wieder Modehaus

Einst war das Bikinihaus Treffpunkt der Modewelt. Der futuristische Bau bot den perfekten Kreativraum für die zuvor vom Spittelmarkt vertriebene Industrie für Damenoberbekleidung.

Mitte der Fünfzigerjahre musste alles ganz schnell gehen. Ost-Berlin betrieb seit 1950 die administrative und funktionale Spaltung der Stadt. An eine gemeinsame Stadtplanung in der Wiederaufbauphase war nicht mehr zu denken. „Berlin muss ein Schaufenster der Freiheit, aber auch ein Schaufenster des wirtschaftlichen Wohlstands werden“, hatte der erste Regierende Bürgermeister von West-Berlin, Ernst Reuter, 1949 verkündet. Dafür benötigte West-Berlin ein eigenes Stadtzentrum.

Eine entscheidende Rolle sollte bei der Etablierung einer neuen City West das „Zentrum am Zoo“ mit dem Bikinihaus spielen. Der benachbarte Bahnhof Zoologischer Garten, als Durchgangsstation mit vier Fern- und zwei S-Bahngleisen wahrlich nicht dafür prädestiniert, wurde zum Zentralbahnhof der Halbstadt. Der Zoo musste Gelände für einen ordentlichen Bahnhofsplatz mit Vorfahrten und Busbahnhof abgeben – den heutigen Hardenbergplatz. Der Breitscheidplatz wurde enttrümmert und neu organisiert. Man richtete sich auf mehr Verkehr ein. Statt des Kreisverkehrs rings um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche führte man die Straßenzüge Kurfürstendamm/Tauentzienstraße und Budapester Straße tangential am Platz vorbei. Dann galt es, den Platz am Südrand des Zoogeländes, wo vor dem Krieg Hans Poelzigs Geschäftshaus mit dem Capitol- Kino und der Gourmenia-Palast gestanden hatten, mit Architektur neu zu fassen. 1956 begann der 24 Millionen D-Mark teure und mithilfe des Marshall-Plans finanzierte Bau des „Zentrums am Zoo“ (später Zoobogen genannt).

Die Welt der Mannequins

Die vom Spittelmarkt in Mitte vertriebene Industrie für Damenoberbekleidung sollte am Breitscheidplatz für ihre Geschäftsräume einen neuen Standort bekommen. Die Baupläne für die Welt der Mannequins lieferten die erfolgreichen Berliner Architekten Paul Schwebes und Hans Schoszberger, die zuvor unter anderem das Kempinski und das Defaka, später das Hotel Berlin, das Hilton und das Telefunken-Hochhaus bauten. Die baukünstlerische Haltung der Architekten war kompromisslos und entsprach der Maßgabe für das Bauvorhaben. Die Architektur sollte Modernität ausstrahlen, den Kaiserpomp und den tausendjährigen Albtraum, der dann doch nur zwölf Jahre gedauert hatte, vergessen machen. Der Blick ging in die USA und nach Skandinavien, dort standen die Vorbilder dieser leichten, eleganten Baukunst, denen man nacheiferte.

Es war diese Moderne des International Style, die man zur selben Zeit auch auf der Bauausstellung Interbau im Hansaviertel einübte. Deutlich kommt beim Zentrum am Zoo der Wille zum Ausdruck, die Blockrandfixierung des 19. Jahrhunderts einerseits und die Monumentalität und imperiale Axialität des Neoklassizismus der NS-Zeit andererseits zu überwinden. Das geschah durch eine künstlerisch verstandene Baukörperkomposition, wie es die russischen Konstruktivisten der zwanziger Jahre oder die De-Stijl-Architekten in Holland handhabten. Der Stadtraum wird mit Wandscheiben unterschiedlicher Dimension gegliedert und gefasst. Das 16-geschossige Huthmacher-Haus am Hardenbergplatz wendet sich als Kopf des Ensembles nach Westen und markiert den Auftakt der City West.

Breitscheidplatz und Bikinihaus

Der Zoo-Palast (entworfen von Gerhard Fritsche) als geschlossener, skulptural geformter Baukörper bildet einen Kontrast im Arrangement der Baukuben und hat Gelenkfunktion, denn das Hochhaus ist gegenüber der Achsrichtung der weiteren Kuben verdreht. Die städtebauliche Funktion einer Randbebauung des Breitscheidplatzes erfüllt die 180 Meter lange Scheibe des Bikinihauses. Dessen zweigeschossiger Unterbau verlängert sich Richtung Osten und knickt entlang der Budapester Straße ab. Eine zurückgesetzte, zehngeschossige Hochhausscheibe und ein flaches Parkhaus bilden den östlichen Abschluss der in ihrer Volumetrik austarierten Komposition.

Als das Ensemble 1989 durch ein Kugelkino ergänzt wurde, geriet die Komposition freilich etwas aus dem Gleichgewicht. Gemeinsames Merkmal der Bauten sind die ungemein feingliedrigen Strukturen des Tragwerks und der größtenteils verglasten Fassaden. Abweichend vom Erscheinungsbild des damals gängigen Rasterstils haben sich die Architekten bemüht, die Monotonie der Fassadenraster durch detailreiche Rhythmik der Fensterteilungen mit unterschiedlichen Farbgebungen sowie durch Vor- und Rücksprünge zu vermeiden. „Piloti“ hat Le Corbusier die Rundstützen genannt, mit denen sich Häuser, dem Licht entgegen, vom Erdboden abheben sollten.

Der Zweiteiler mit dem "nabelfreien" Durchblick

Schwebes und Schoszberger haben sich solcher Piloti bedient, um den Baukuben Leichtigkeit zu geben. Und in der Erdgeschosszone boten die Piloti die Möglichkeit, wettergeschützte Kolonnaden mit vielfältigen Läden und Restaurants einzurichten und dem Komplex auf diese Weise urbane Lebendigkeit zu geben. Das hat von Anfang an funktioniert, trotz der attraktiveren Ladenzone südlich des Platzes vom Kurfürstendamm zum Tauentzien. Beim Bikinihaus gingen die beiden Architekten freilich einen Schritt weiter und öffneten auch das zweite Obergeschoss und machten aus dem Haus einen Zweiteiler mit „nabelfreiem“ Durchblick zum Zoo, Bikini genannt. Soll man es beklagen, dass das „Alleinstellungsmerkmal“ des eleganten Baus in den 70er Jahren aufgegeben wurde, indem das Luftgeschoss geschlossen und dort die Staatliche Kunsthalle eingebaut wurde? Immerhin hat man versucht, die Wirkung des Luftgeschosses durch einen Rücksprung und eine dunklere Fassade nicht ganz in Vergessenheit geraten zu lassen. Mit dem 1991 verfügten Denkmalschutz war es ohnehin lange Zeit nicht weit her. 1997 wurde zwar der Ensembleschutz gerichtlich bestätigt, die Architektur jedoch befreit.

Was das bedeuten kann, ist am Huthmacher-Haus abzulesen, das eine neue Aluminiumfassade erhielt, was sein Gesicht merklich verändert, ja vergröbert hat. Das Bikinihaus war der Star am Platze. Mit seinen Nachbarn, dem Europa-Center, dem Eden-Haus, dem (inzwischen abgerissenen) Schimmelpfeng-Haus und dem Victoria-Haus bildete es den neuen wirtschaftlichen Kristallisationskern der Weststadt und prägte gemeinsam mit Egon Eiermanns 1960 gebauten Kaiser- Wilhelm-Gedächtniskirche und der signifikanten Turmruine das Bild des West- berliner Stadtzentrums. Ein Bild, das sich in jüngster Zeit mit neuen Hochhäusern nachhaltig verändert – ob zum Guten, ob also die neuen städtebaulichen Ausrufezeichen gemeinsam ein harmonisches Ensemble bilden können, ist zumindest umstritten.

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