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Berlins Rettungsdienst kann seine Aufgaben nicht erfüllen.

© IMAGO/Sabine Gudath

„Bedingt einsatzbereit“: Rechnungshof fordert 1000 Stellen für Berlins Rettungsdienst

In diesem Jahr prangern die Prüfer nicht nur Steuerverschwendung an. In der Krise bei der Feuerwehr attestiert der Rechnungshof der Innenverwaltung Versäumnisse.

Die Berliner Feuerwehr ist nur „bedingt rechtzeitig einsatzbereit“. Das hat der Rechnungshof in seinem Jahresbericht festgestellt. In dem Bericht, der am Mittwoch vorgestellt wurde, fordert der Rechnungshof „dringend Veränderungen“, damit die Feuerwehr die Berliner ausreichend schützen kann.

Anhand der Einsatzzahlen von 2018 haben die Prüfer einen Bedarf errechnet: Nötig seien 66 weitere Rettungswagen und 24 Noteinsatzfahrzeuge, die rund um die Uhr besetzt werden können. Dafür braucht es 1000 zusätzliche Mitarbeiter – mindestens. Nach einer Tiefenanalyse, die bislang fehlte, wären es rechnerisch sogar 1600, wenn etwa Aufgaben wie Reinigung und Beladung der Fahrzeuge mit Material berücksichtigt werden.

Seit 2018, dem Jahr der Datengrundlage, ist die Belastung aber weiter gestiegen. Bislang sind 140 Rettungswagen möglich, wegen Personalmangel sind aber teils nur 70 besetzt. Hinzu kommen 23 Notarztwagen. Wegen des Mangels wird an fast jedem Tag der Ausnahmezustand ausgerufen, teils können nach Notrufen minutenlang keine Wagen losgeschickt werden.

Der Rechnungshof hat nun genau nachgerechnet, nicht wie sonst wegen Steuerverschwendung – sondern weil der Rettungsdienst eine Kernaufgabe des Staates ist. Das von Feuerwehr und Innenverwaltung gesteckte Ziel, in 90 Prozent der Einsätze binnen zehn Minuten nach Eingang des Notrufs beim Patienten einzutreffen, wird nicht eingehalten.

Die Berliner Feuerwehr kann das vorgegebene Schutzziel nicht annähernd einhalten.

Jahresbericht des Rechnungshofes Berlin

Nur 55 Prozent der Einsätze erfüllten 2018 die Maßgabe, 2021 waren es nur noch 49 Prozent. Im Schnitt liegt die Eintreffzeit bei elf Minuten, ohne Bundeswehrretter und Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) lag die Feuerwehr 2021 bei fast zwölf Minuten. „Die Berliner Feuerwehr kann das vorgegebene Schutzziel nicht annähernd einhalten“, heißt es im Jahresbericht des Rechnungshofes.

Grund für die Überlastung: Die Zahl der Einsätze der Rettungswagen hat sich von 2010 bis 2019 nahezu verdoppelt, bei den Notarztwagen beträgt der Anstieg sogar 70 Prozent. Der Rechnungshof räumt auch mit einer Vermutung auf, die von Politik, Verantwortlichen und Notärzten angeführt wurde: Die Alterung der Gesellschaft und die Einwohnerzahl sind laut den Prüfern kein Grund für die explodierenden Einsatzzahlen. So blieb der Anteil der 60- bis 90-Jährigen nahezu konstant, die Zahl der Einwohner stieg bei Weitem nicht so rasant wie die Zahl der Einsätze.

Versäumnisse der Innenverwaltung

Laut Rechnungshof gibt es auch Probleme dabei, freie Stellen zu besetzen. Weil zwei Fünftel der Mitarbeiter in den nächsten zehn Jahren in Rente gehen, verschärft sich das Problem weiter. Zudem prangern die Prüfer massive Versäumnisse in der Innenverwaltung an, auch wenn Innensenatorin Iris Spranger (SPD) das Problem erkannt und zur Chefsache erklärt hat. Doch bisherige Lösungsansätze gegen steigende Einsatzzahlen verpufften laut Rechnungshof, es gebe noch nicht einmal Konzepte dazu. Selbst der Personalbedarf sei nicht richtig errechnet worden.

Weiteres Beispiel: Es gibt einen Beirat für den Rettungsdienst, in dem Ärztekammer, Kassenärzte und Krankenversicherungen sitzen. Bereits seit 2005 diskutierte der Beirat den Anstieg der Einsatzzahlen – Ergebnisse brachte er nicht, weil die Innenverwaltung unter Führung von SPD und zeitweise der CDU das Gremium dafür kaum genutzt und nicht entschieden geführt hat.

Zudem haben Innenverwaltung und Feuerwehr nicht umfassend geprüft, in welchen Bereichen sie den Rettungsdienst anders organisieren könnten. Dazu zählt etwa eine Leitstelle, die reine Krankentransporte koordiniert. Oder, wie der Rechnungshof bereits 2011 forderte, dass eingeschränkte Mitarbeiter die Rettungswagen reinigen und neu bestücken.

„Seit Jahren stellen wir die Frage, warum sich die Einsatzzahlen trotz gleichbleibender Anzahl an Notrufen derart entwickeln. Das Märchen vom demografischen Wandel als Hauptursache für den Anstieg der Einsätze hat ausgedient“, sagte Lars Wieg, Landeschef der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft. „Was wir leider beobachten, ist, dass die Ärztliche Leitung wenig dazu beiträgt, die Situation zu verbessern.“

Die Feuerwehr brauche mehr Personal. „Aber auch unter Berücksichtigung altersbedingter Abgänge wäre es unseriös zu behaupten, dass der angegebene Bedarf in den nächsten fünf Jahren auch nur im Ansatz gedeckt wäre“, sagte Wieg. „Dazu gehörten auch Liegenschaften, Fahrzeuge und entsprechende Logistik. Es bleibt die wichtigste Frage zu klären: Warum haben wir so viele Einsätze?“

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