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Der BUND fordert, laute Motorräder als „Freizeitlärm“ einzustufen und zu begrenzen.

© imago images/Stefan Zeitz

Raser, Bahnen, Flugverkehr: Berliner sollen Lärm melden – doch Besserung ist kaum in Sicht

Berliner Bürger können sich jetzt am Aktionsplan gegen Lärm beteiligen. Der Straßenverkehr ist mit Abstand das größte Problem, obwohl Abhilfe möglich wäre.

In Karolinenhof nervt ein „Ford Mustang mit gepimptem Auspuff“, in Müggelheim der Fluglärm vom BER, an der Wexstraße die A100 ohne Schallschutz, in Zehlendorf „permanentes Hupen am Teltower Damm“. In Schöneberg klagt jemand generell über „Autoprolls und Raser“, in Adlershof wird die neue Tram für laut befunden, in Neukölln moniert jemand Hundegebell.

Am Wannsee stört das Quietschen der S-Bahn, in Treptow wird trotz Tempo 30 gerast und zur Oberspreestraße in Spindlersfeld hat jemand notiert: „Es ist nicht zum Aushalten: Nachts wird die Musikanlage aufgedreht und man will zeigen, was das eigene Gefährt imstande ist zu leisten. Tagsüber rattern und quietschen Lkw über die Straße, aggressives Pkw-Gehupe und brummender Stau. Krankenwagen alle fünf Minuten, Motorräder jeglicher Art rasen vorbei.“

Diese zehn von bisher rund 400 Meldungen zum nächsten Lärmaktionsplan zeigen die Bandbreite, in der sich Berliner:innen von Lärm belästigt fühlen. Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) hatte zum Mitmachen aufgerufen, „um aufzuzeigen, wo es aktuell weiteren Handlungsbedarf gibt“. Bis zum 9. August werden Hinweise gesammelt; im zweiten Halbjahr sollen Fachdialoge folgen, nächstes Jahr wird der „Lärmaktionsplan 2024 bis 2029“ öffentlich ausgelegt.

Lärm erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Würde der Senat das Problem konsequent angehen, wäre die Stadt eine andere, wie Zahlen aus der Verwaltung zeigen. Demnach sind allein wegen des Straßenverkehrs tagsüber rund 466.000 und nachts sogar 591.000 Berliner:innen in ihren Wohnungen potenziell gesundheitsschädlichem Lärm ausgesetzt. Die Zahlen sind gegenüber älteren Statistiken noch gestiegen, weil die jetzt angewandten EU-weit einheitlichen Kriterien strenger sind als die früheren. Mit deutlichem Abstand folgt auf den Straßenverkehr Lärm an Bahnstrecken, für den allerdings das Eisenbahn-Bundesamt zuständig ist.

Problematischer Straßenbahn- und U-Bahn-Lärm betrifft tags rund 16.000 und nachts 28.000 Anwohner. Industrie und Gewerbe spielen in Berlin für die Nachbarschaft beim Lärm überhaupt keine Rolle, ebenso wenig der Flughafen BER. Bei dem dürfte die Statistik allerdings verzerrt sein, weil die Ruhephasen zwischen den dröhnenden Flugzeugen den mittleren Lärmpegel drücken.

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Dezibel mehr werden als doppelt so laut empfunden.

Als Grenzen für Handlungsbedarf gelten die vom Umweltbundesamt empfohlenen Werte von 65 Dezibel tags und 55 Dezibel nachts. Bei höheren Lärmpegeln sei nach „medizinisch gesicherter Erkenntnis“ mit deutlich mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu rechnen. Laut der aktuellen Berliner Lärmkartierung sind fast 100.000 Menschen in Berlin tagsüber sogar Pegeln von mehr als 70 Dezibel ausgesetzt. Als Faustregel gilt, dass sich der empfundene Lärm pro zehn Dezibel mehr verdoppelt.

Die Stadtautobahn gehört zu den schlimmsten Lärmquellen in Berlin.

© imago/Schöning

Obwohl die Probleme seit Jahrzehnten bekannt und konstant sind, ist Besserung kaum absehbar. Ein Hauptgrund dürfte sein, dass Lärmschutz – im Unterschied zu sauberer Luft – in der EU nicht einklagbar ist, also keine verbindlichen Grenzwerte gelten. An Bahntrassen und Autobahnen ergeben sich Ansprüche auf Lärmschutz nur, wenn die Strecken grundsaniert oder neu gebaut werden.

Im urbanen Straßenverkehr stehen die auf Optimierung des Autoverkehrs ausgelegte Straßenverkehrsordnung und die politischen Prioritäten dem Gesundheitsschutz entgegen: Zusammen mit dem Radweg-Moratorium hat die neuerdings CDU-geführte Verkehrsverwaltung auch restriktivere Kriterien für die Anordnung von Tempo 30 auf Hauptstraßen verkündet. Dabei kommt eine Metastudie des Umweltbundesamtes zu dem Schluss, dass dieses Limit den subjektiven Lärm für Anwohner deutlich senkt und die Kapazität von Straßen nicht verringert.

Die neue Prioritätensetzung der Verkehrsverwaltung ist ein Grund für den Umweltverband BUND, zu reger Beteiligung an der Lärmaktionsplanung aufzurufen: „Vor allem nachts brauchen Menschen Erholung“, sagt BUND-Verkehrsreferent Martin Schlegel. Angesichts der Gesundheitsrisiken „darf die Spitze der Verkehrs- und Umweltverwaltung nicht politische Ziele über den Gesundheitsschutz stellen“. Das bisherige Tempo-30-Konzept für die Nächte sei ein entscheidender Punkt im Entwurf des Lärmaktionsplans. Bisher gelte das nächtliche Limit nur auf rund einem Viertel des 1550 Kilometer langen Hauptstraßennetzes.

Außerdem fordert der BUND, Krach von Motorrädern als Freizeitlärm einzustufen, der sich leichter reglementieren lasse. „Denn die viel zitierte Krankenschwester fährt eher mit dem Rad oder dem öffentlichen Verkehr zur Arbeit.“

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