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Kerstin Zimmer (Linke) und Kevin Hönicke (SPD).

© Die Linke Lichtenberg/ Bezirksamt Lichtenberg

Berlin-Lichtenbergs BVV-Vorsteherin Kerstin Zimmer: „Stadtrat Hönicke hat mich nicht angebrüllt“

War der Brüllvorwurf von der Linken inszeniert? BVV-Vorsteherin Kerstin Zimmer berichtet, wie es ist, von Männern ihrer Partei zum Opfer gemacht und für einen Konflikt benutzt zu werden.

Frau Zimmer, ein Vorfall in der Bezirksverordnetenversammlung von Lichtenberg ist seit zwei Wochen das bestimmende Thema dort. Viele haben über sie geredet, aber wenige mit ihnen. Es ist Zeit, das zu ändern.
Allerdings.

Die Sitzung wurde unterbrochen. Denn Baustadtrat Kevin Hönicke von der SPD wird vorgeworfen, Sie in der BVV angebrüllt zu haben.
Ich habe nie die Formulierung „brüllen“ oder „schreien“ in den Mund genommen. Er hat nicht gebrüllt, ich habe immer nur gesagt, dass seine Worte für mich drohend und aggressiv waren.

Rekapitulieren wir kurz, was passiert ist. Die Sitzung lief, der Stadtrat war am Redepult.
Herr Hönicke hat gesprochen, er hatte mehrfach erwähnt, dass Norman Wolf, der Vorsitzende der Linksfraktion, nicht zur BVV kam, sondern lieber bei einer Veranstaltung von Sahra Wagenknecht war. Ich bat Herrn Hönicke, zur Sache zu reden, dann sagte er es noch drei, viel Mal. Bezirksbürgermeister Michael Grunst...

... ihr Genosse von der Linken …
… bat um eine Auszeit fürs Bezirksamt. Ich fragte: sofort? Er sagte: sofort. Dann habe ich vorsichtig versucht, die Rede zu unterbrechen. Aber als Herr Hönicke sagte, er habe einen Redebeitrag und rede weiter, war mir auch klar, dass er natürlich reden darf. Danach gab es die Auszeit. Daraus kam Herr Hönicke schnell wieder zurück und stellte sich vor mich.

Und dann?
Ich glaube, er war einfach sauer, dass der Bezirksbürgermeister um Unterbrechung gebeten hat.

Er hat mich nicht angebrüllt, er war aber drohend aggressiv. Ich will niemandem etwas Böses unterstellen, aber in meiner Fraktion war es dann ein Selbstläufer.

Kerstin Zimmer, BVV-Vorsteherin in Lichtenberg

Er beklagt, vom Bezirksbürgermeister auch bei anderen Gelegenheiten unterbrochen worden zu sein. Nun meinte Hönicke, dass Ihre Unterbrechung seiner Rede gegen die Geschäftsordnung der BVV verstößt.
Ja. Er hat gefragt, wo die Grundlage in der Geschäftsordnung ist, dass ich ihn unterbrochen habe. Wegen der Gesamtsituation wirkte es auf mich aggressiv und drohend. Dass Herr Hönicke auch mal laut wird, ist nicht unbekannt. Wir kennen uns viele Jahre, wir haben viel zusammen durchgemacht. Wir waren beide mal Fraktionsvorsitzende, als es gekriselt hat zwischen Linken und SPD, als wir immer versuchen mussten, die Fraktionen trotz aller Differenzen zusammenzubringen. Wir haben uns immer wieder zusammengerauft.

Zurück zum Verbalangriff. Was ist geschehen?
Er stand vor mir, also unter mir, weil wir als Vorstand erhöht sitzen. Er hat sich vor mir aufgebaut, er war sehr erregt. Es war keine nette Stimmung, in der er mich gefragt hat, wo die Grundlage in der Geschäftsordnung ist, ihn zu unterbrechen. Aufgrund seiner Körperhaltung, obwohl er unter mir stand, wirkte er auf mich aggressiv und bedrohlich.

Sie sind dann hinausgegangen, unter Tränen, wie es hieß. Später wurde die BVV-Sitzung wegen des Vorfalls abgebrochen.
Ich musste erstmal durchatmen, ich habe aber gemerkt, dass es mich emotional erwischt hat. Es ist aber falsch, dass ich nur wegen Herrn Hönicke in Tränen ausgebrochen bin. Ich hatte keinen guten Tag und war ohnehin emotional angeschlagen und angefasst. Die Fraktionen haben dann jeweils während der Unterbrechung gesprochen, sofort war das Wort Brüllen im Raum. Ich sagte immer, wahrscheinlich zu leise: Er hat mich nicht angebrüllt, er war aber drohend aggressiv. Ich will niemandem etwas Böses unterstellen, aber in meiner Fraktion war es dann ein Selbstläufer.

Warum sind Sie dann gegangen?
Ich bin nicht wegen Herrn Hönicke gegangen. Im Ältestenrat wurde besprochen, ob die Sitzung abgebrochen werden soll oder nicht. Die Situation war dann schon so hochgekocht, dass ich aufgrund meiner eigenen emotionalen Angefasstheit den Punkt hatte, dass ich diese Sitzung nicht mehr sachlich zu Ende führen kann. Das habe ich auch im Ältestenrat gesagt. Ich war überrascht, dass die Sitzung dann später tatsächlich abgebrochen wurde.

Dass ich benutzt worden bin, um den Konflikt mit Herrn Hönicke so extrem auszuschlachten, das war mir erst nicht bewusst.

Kerstin Zimmer, BVV-Vorsteherin in Lichtenberg

Linke-Verordnete machten den Vorfall per Twitter öffentlich. Ihre Fraktion forderte später Hönickes Rücktritt und sprach von einer verbalen Attacke mit Ihnen als Opfer. Sehen Sie sich als Opfer?
Opfer? Nein. Das ist ein schweres Wort, ich würde nicht Opfer sagen, weil ich glaube, es gibt einfach ganz viele Dinge, bei denen Menschen wirklich Opfer sind. Ich würde eher sagen, der Vorfall mit mir war für einige die Gelegenheit, den Konflikt mit Herrn Hönicke so kurz vor der Wahl noch einmal neu aufzumachen. Ich fühlte mich danach aber nicht gut mit dem, was ich alles über mich gelesen habe.

Womit haben Sie denn gerechnet?
Ich habe gedacht, nach zwei, drei Tagen wird Gras darüber wachsen, dann sind wir damit durch. Ich habe nicht damit gerechnet, wie es dann hochgekocht und weitergelaufen ist. Dass ich benutzt worden bin, um den Konflikt mit Herrn Hönicke so extrem auszuschlachten, das war mir erst nicht bewusst.

Waren Sie an der Pressemitteilung, in der Ihre Fraktion Hönickes Rücktritt gefordert hatte, beteiligt?
Die Pressemitteilung entstand ohne jede Kommunikation mit mir.

Sie haben sich dann vier Tage nach der BVV-Sitzung mit dem Stadtrat getroffen, am Ende haben Sie eine gemeinsame Erklärung herausgegeben. Wie kam es dazu?
Ich habe meine Fraktion vorher nicht in Gänze darüber informiert, ich wollte das Gespräch für mich. Nach allem, was an dem Wochenende war, wie in den sozialen Medien über den Vorfall berichtet wurde, wollte ich nicht, dass sich irgendjemand einmischt, der mir sagt, was ich zu tun und zu lassen haben. Ich bin volljährig, ich darf allein entscheiden, wann ich wie mit wem rede und was ich mache.

In ihrer gemeinsamen Erklärung mit Stadtrat Hönicke heißt es, Sie beide seien für die Beeinflussung des Wahlkampfs instrumentalisiert worden, die Lage sei von Dritten mit falschen Annahmen eskaliert worden. Das ist ein harter Vorwurf auch gegen Ihre Genossen.
Ich fühlte mich als Spielball. Wobei ich nicht weiß, ob es tatsächlich das Ziel war, mir bewusst dieses Gefühl zu geben – sondern den Vorfall für den Konflikt zu benutzen, ohne darüber nachzudenken, was es mit mir macht, ob ich das wollte und dass es diese Ausmaße für mich annimmt.

Es wurde kolportiert, sie seien unter Druck gesetzt worden für die gemeinsame Erklärung mit Herrn Hönicke.
Nein, ich wurde nicht unter Druck gesetzt. Ohne mich zu fragen, war für einige anscheinend klar, wie das abgelaufen sein muss. Es gab aber keinen Druck, Herr Hönicke konnte mich telefonisch auch gar nicht erreichen. Das Gespräch mit ihm wurde über andere vermittelt.

Herr Hönicke hat Sie laut der Erklärung „für den unsachgemäßen Umgangston“ und seine Lautstärke um Entschuldigung gebeten. Danach äußerten Ihre Genossen Zweifel, erklärten, sie hätten in der Fraktion alles ganz anders geschildert. Als Betroffene wurden sie infrage gestellt.
Ja, das habe ich zur Kenntnis genommen. Aber ich habe nie gesagt, dass Herr Hönicke mich angebrüllt hat. Vieles hat auch mit der Eigendynamik nach dem Vorfall in der BVV zu tun. Wer mich persönlich und länger kennt, der weiß, dass ich für die Gleichberechtigung aller Geschlechter kämpfe, wo wir noch lange nicht angekommen sind. Aber ich gehöre auch nicht zu den Menschen, die jeden Konflikt zwischen unterschiedlichen Geschlechtern gleich als Geschlechterkonflikt auslegen. Männer und Frauen können sich auch streiten und Konflikte haben, aber das ist nicht gleich ein Mann-Frau-Konflikt, sondern nur ein Konflikt zwischen Menschen.

Wären Sie mit dem Auftreten des Baustadtrats anders umgegangen, wenn Sie einen besseren Tag gehabt hätten?
Auf jeden Fall. Ich war extrem emotional an diesem Tag, auch wegen privater Ereignisse. Und ich war ein bisschen traurig, dass es vielleicht meine letzte BVV-Sitzung als Vorsteherin war, denn ich habe das bei allem Stress und Ärger wirklich gern gemacht. Aber niemand weiß, was nach der Wahl am Sonntag passiert. Alles zusammen genommen war dann der kurze Zwischenfall mit Herrn Hönicke der Tropfen, der alles zum Überlaufen gebracht hat. Ich bin auch nur ein Mensch, ich hatte keinen guten Tag. Menschlich hat mich Herr Hönicke in dem Moment enttäuscht, aber wir sind miteinander im Reinen und dazu stehe ich auch.

Sie sprechen Herrn Hönicke aber nicht frei, er hat sich doch nicht korrekt verhalten.
In unserer gemeinsamen Erklärung sagen wir nicht, dass das alles nicht so schlimm war. Sein Verhalten war nicht korrekt. Ich nehme ihm die Bitte um Entschuldigung aber wirklich ab, auch zu seinem Verhalten in den sozialen Medien nach der BVV. So wie er all die Konflikte zwischen SPD und Linke in dem Moment auf mich projiziert hat, haben einzelne Mitglieder meiner Fraktion an mir den Konflikt mit Herrn Hönicke hochgefahren.

Nochmal zu Ihrer Fraktion. Einige Ihrer Genossen – Männer – meinen, besser zu wissen, wie Sie den Fall erlebt haben müssen. Sie sollen mit der öffentlichen Reaktion auf den Vorfall überfordert gewesen sein und hätten die Situation einfach beenden wollen. Nur deshalb hätten Sie die Erklärung unterschrieben. Stimmt das?
Nein, ich fühlte mich nicht überfordert, aber einige öffentliche Reaktionen, insbesondere in den sozialen Medien, haben mich sehr erschreckt und auch emotional überfordert. Woher einige wissen wollen, wie es mir ging, erschließt sich mir nicht. Ich stand und stehe mit drei Personen seitdem im engen Austausch, denen ich vertraue. Das Gespräch mit Herrn Hönicke wurde von einer dieser drei Personen vermittelt, weil mir und anscheinend auch Herrn Hönicke daran gelegen war, wieder eine Grundlage für die weitere notwendige Zusammenarbeit zu schaffen. Ziel dieses Gesprächs sollte neben unserem Austausch auch sein, allen anderen die Grundlage für weitere ungerechtfertigte Mutmaßungen zu nehmen. Im Ergebnis des Gesprächs entstand die gemeinsame Erklärung. Zum Inhalt dieser Erklärung stehe ich weiterhin zu 100 Prozent.

Es wurde weiter gemutmaßt, es müsse irgendetwas faul sein, etwa weil Herr Hönicke eine Verschwiegenheitserklärung mit zum Gespräch gebracht haben soll.
Woher jene, die nicht dabei waren, das auch immer wissen wollen. Bis auf die das Gespräch vermittelnde Person waren ausschließlich von mir angefragte weitere Personen dabei. Herr Hönicke kam allein und hatte mir die freie Entscheidung überlassen, wen und wie viel Begleitung ich mitbringen möchte.

Und die Verschwiegenheitserklärung?
Die Verständigung zur Verschwiegenheit zu diesem Gespräch war für uns die Grundlage für ein sehr offenes und ehrliches Gespräch. Herr Hönicke hat weder die Verschwiegenheitserklärung noch eine vorbereitete gemeinsame Erklärung mitgebracht.

Unsere gemeinsame Erklärung ist erst vor Ort gemeinsam entstanden, im BVV-Büro. Und wenn wir offen und ehrlich miteinander reden wollen, dann muss klar sein, dass das Besprochene auch in diesem Raum bleibt. Und dass wir dann nur das Ergebnis, auf das wir uns verständigen, herausgeben. Was daran verdächtig sein soll, erschließt sich mir und den anderen, die bei dem sehr offenen und ehrlichen Gespräch dabei waren, überhaupt nicht.

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