zum Hauptinhalt
„Manche Straftäter beenden schon vor Haftantritt ihre Beziehungen“.

© Gestaltung: Katrin Schuber/ Tagesspiegel, Foto: mauritius images/Alamy Stock Photos/Valeriy Kachaev

Seelsorgerin über Liebeskummer im Gefängnis: „Manche Straftäter beenden schon vor Haftantritt ihre Beziehungen“

Christina Ostrick als Seelsorgerin in der JVA Tegel. Im Podcast spricht sie über Beziehungsstress von Insassen, Briefe von Singlefrauen und „Tabakdiskussionen“.

Seit zwölf Jahren arbeitet die evangelische Pfarrerin Christina Ostrick als Gefängnisseelsorgerin in der JVA Tegel. Dort ist sie Vertrauensperson für Menschen, die wegen Mordes, Vergewaltigung oder anderer schwerer Straftaten inhaftiert sind.

In der neuen Folge des Tagesspiegel-Podcasts „Tatort Berlin“ berichtet die 51-Jährige ausführlich von den Herausforderungen ihres Berufs im geschlossenen Männervollzug – und von den Sorgen sowie Wünschen der Inhaftierten.

Frau Ostrick, Sie führen bis zu sechs Gespräche pro Tag, im Durchschnitt jeweils eine Stunde lang. Welche Themen tragen die Inhaftierten an Sie heran?
Oft geht es um konkrete Alltagsprobleme des Gefängnislebens oder auch Ängste davor, wie es nach der Entlassung weitergeht. Oder sie leiden unter Beziehungsstress, zum Beispiel: „Meine Frau meldet sich nicht mehr, ich erreiche sie nicht, die möchte sich trennen.“

Was raten Sie da?
Ich frage erstmal nach Details. Dann stellt sich manchmal heraus, dass die Männer einfach viel zu häufig anrufen, das grenzt schon ans Stalken, und diese Gespräche sind für die Frauen auch nicht sehr angenehm...

Christina Ostrick ist evangelische Pfarrerin und Gefängnisseelsorgerin in der JVA Tegel. Hier erzählt sie von den Herausforderungen ihres Berufs im geschlossenen Männervollzug.

© Gestaltung: Katrin Schuber/Foto: Sebastian Leber/Tagesspiegel

In Tegel können die Insassen nur über das Flurtelefon nach draußen telefonieren – zu den Zeiten, in denen kein Einschluss ist. Auf jedem Flur hängt ein Gerät, das müssen sich jeweils bis zu 30 Männer teilen.
Dort gibt es natürlich keine Privatsphäre, schon wegen der Warteschlange. Weil die Inhaftierten denken, dass sie sich vor den anderen Männern in jeder Situation stark und hart zeigen müssen, drucksen sie am Telefon gehemmt herum, wollen nichts von sich preisgeben und löchern stattdessen ihre Frauen mit Fragen. Da kann ich die Angerufenen gut verstehen. Ich würde an deren Stelle auch nicht ans Telefon gehen, wenn ich den Eindruck habe, ausgefragt zu werden und Vorhaltungen zu bekommen.

Was bringt noch Beziehungsstress?
Zugespitzt gesagt: Der Insasse denkt, für seine Frau sei das Leben draußen total leicht, weil sie frei herumlaufen kann – nur ihm gehe es schlecht, und deshalb müsse sie doch bitte alle seine Wünsche erfüllen. Und die Frau denkt: Weil er diesen Mist gebaut hat, hängt nun draußen alles an ihr, und er muss sich drinnen um überhaupt nichts kümmern. Das ist eine Konstellation mit viel Konfliktpotential. Dazu kommt dann noch die Angst der Insassen, ihre Frau könnte fremdgehen.

Weil er in Haft keine Kontrolle über sie hat?
Weil ihm die Nähe und die Berührungen so fehlen und er daraus schlussfolgert, ihr müsse es doch genauso gehen, also suche sie sich die Berührungen jetzt sicher woanders. Um sich diese ganzen Sorgen zu ersparen, beenden manche Straftäter, die bereits Gefängniserfahrung haben, schon vor Haftantritt ihre Beziehung.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

In unserem Podcast sprechen wir auch über das Phänomen, dass Schwerverbrecher in Haft viel Post von Singlefrauen in Freiheit bekommen – und über die Gründe dafür. Spoiler: Dass sich diese Frauen vom puren Bösen angezogen fühlen, halten Sie für keine plausible Theorie. Wie gehen denn die Inhaftierten mit den Avancen um?
Sie antworten mit emotionalen, ausgeschmückten Liebesbriefen, gern in reichlich verzierten Umschlägen. Von denen bekomme ich auch einige gezeigt.

Werden Sie da ebenfalls um Rat gebeten?
Also ich helfe jetzt nicht beim Verfassen poetischer Texte. Aber wenn Männer wissen wollen, ob bestimmte Passagen ihres Briefes verständlich sind und nicht zu neuen Missverständnissen führen, schaue ich gern drauf und mache auch Formulierungsvorschläge.

Können aus diesen Romanzen Beziehungen entstehen, die auch nach der Entlassung halten?
Ich bin da leider skeptisch. Die Frauen kennen ja nur den Mann, der ihnen so schöne, aufwändige Liebesgedichte geschrieben und bei Besuchsterminen alle Aufmerksamkeit geschenkt hat. Draußen gibt er sich dann vielleicht nicht mehr so viel Mühe.

Die JVA verfügt auch über eine „Liebeszelle“, also die Möglichkeit, dass die Partnerinnen für drei Stunden zu Besuch kommen und dann ungestört sind.
Der offizielle Name ist „Langzeitsprechraum“, und tatsächlich geht es dort weniger wild zu, als sich das Außenstehende vielleicht vorstellen. Manchmal kochen die beiden einfach zusammen. Oder die Kinder sind dabei, und die Familie ist für ein paar Stunden vereint.

Selbst wenn Inhaftierte mir ein Verbrechen ankündigen, müsste und würde ich das für mich behalten.

Christina Ostrick, Gefängnisseelsorgerin und Pfarrerin

Fällt es Ihnen als Seelsorgerin leicht, ein Vertrauensverhältnis zu den Inhaftierten aufzubauen?
Ja, denn sie wissen, dass ich der Schweigepflicht unterliege und das sehr ernst nehme.

Auch wenn die Inhaftierten Ihnen Verbrechen gestehen, die ihnen noch gar nicht zugeordnet wurden?
Ja. Selbst wenn sie mir ein Verbrechen ankündigen, das sie in der JVA begehen wollen, müsste und würde ich das für mich behalten. Meine Aufgabe sehe ich dann natürlich auch darin, im Gespräch zu bleiben und darauf hinzuwirken, dass die Person ihren Plan nicht in die Tat umsetzt. Wenn Inhaftierte mir von solchen Plänen erzählen, ist es für sie auch ein Ventil. Darüber zu sprechen, baut Druck ab. Das hilft schon.

Was frustriert Sie in Ihrem Job?
Wenn ich merke, dass Inhaftierte zu mir kommen, aber gar nicht das Angebot der Seelsorge nutzen wollen, sondern glauben: Wenn ich zur Pfarrerin gehe, dann bekomme ich Tabak. Als wäre die Kirche dafür verantwortlich, dass die Gefangenen etwas zu rauchen haben. Diese Gespräche sind eher unerfreulich. Ich nenne das „Tabakdiskussionen“.

Aber Sie dürfen diakonische Gaben verteilen.
Ich weiß nicht, wie viele Hundert Päckchen Tabak ich schon gekauft habe. Im Laden werde ich für eine starke Raucherin gehalten, dabei rauche ich selbst überhaupt nicht. Also ja, wir dürfen Zigaretten verteilen oder Kaffee oder Briefmarken. Auch dies hilft, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.

Spielt es in den Gesprächen eine große Rolle, dass Sie evangelische Pfarrerin sind?
Nun, dass ich „von der Kirche“ bin, und ich eine Vertrauensperson bin, ist die Grundlage dafür, dass sie mich ansprechen. Mir persönlich ist es erstmal egal, an was oder ob ein Inhaftierter glaubt. Ich bin nicht zum Missionieren dort. Über Gott rede ich dann, wenn der Inhaftierte ihn anspricht, oder ich weiß, dass er den Gottesdienst besucht. Ein Bibelspruch, den viele Inhaftierte im Kopf haben, ist „Auge um Auge“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false