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Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey lässt sich vom technischen Leiter Arne Schleunitz die Produktion von Chips erklären. Das gelbe Licht im Reinraum schützt die Chemikalien.

© dpa/Jens Kalaene

Backrezepte für die Chipfertigung: Berliner Chemiefirma profitiert vom Boom der Halbleiterindustrie

Das Unternehmen Micro Resist Technology aus Köpenick gilt als „Hidden Champion“. Auch, weil kaum jemand versteht, was sie dort machen. Beim Besuch von Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey ging es daher öfter ums Plätzchenbacken.

Am Ende einigen sich Chemikerin Gabi Grützner und Politikerin Franziska Giffey (SPD) auf das Plätzchenbacken als Erklärmetapher: So ein Chip wäre dann mit einem individuell dekorierten Weihnachtskeks zu vergleichen. Beim Hightech-Unternehmen Micro Resist Technology aus Köpenick, das Grützner vor 30 Jahren gründete, fertigen sie den Backteig, aus dem Konzerne wie Infineon oder Intel ihre Spezialkekse für den jeweiligen Anwendungszweck herausstechen.

Der Backteig ist dabei alles andere als profan. Micro Resist ist ein forschungsintensives Hochtechnologieunternehmen, was man auch daran erkennt, dass die Produktionsmengen gering sind. Weniger als eine Tonne der Spezialchemikalien verlassen jedes Jahr das Unternehmen im Innovationspark Wuhlheide, dem ersten und zugleich letzten Gründerzentrum der DDR, ins Leben gerufen im Mai 1990 auf dem ehemaligen Gelände des Ministeriums für Wissenschaft und Technik.

Am Montag besuchte Wirtschaftssenatorin Giffey (SPD) das kleine Unternehmen mit 55 Mitarbeitern, einem der „Hidden Champions“ aus Berlin. „Was sie hier tun, ist extrem innovativ, das denkt man gar nicht, wenn man so lauschig herfährt in die Wuhlheide.“ Der Innovationspark liegt am Rande der waldreichen Wuhlheide, abseits der sonstigen Hightechquartiere Berlins.

Ein Wafer, also eine Siliziumscheibe, ist in der Chipfertigung quasi das Backblech.

© picture alliance/dpa/Sebastian Kahnert

Der Zeitpunkt des Besuchs war gut gewählt. Im Sommer will die umtriebige Chefin und Gründerin des Unternehmens, Gabi Grützner, den Staffelstab an ihre Kollegen im Führungstrio weiterreichen. „Ich liebe mein Unternehmen, ich liebe meine Kollegen, aber man muss auch mal loslassen.“ Seit 30 Jahren sei sie ohne Unterbrechung aktiv gewesen. Grützner, Mutter von vier Kindern, wird dieses Jahr 66.

Aufbau der Chipindustrie in Europa

Weil die EU beschlossen hat, eine eigene leistungsfähige Chipindustrie aufzubauen, rechnet auch Micro Resist mit mehr Aufträgen. „Das ist eine riesen Chance für uns“, sagt Grützner. Ein Grundstück für den Ausbau des Standorts sei bereits gesichert.

In den Reinräumen von Micro Resist gelten nicht ganz so strenge Vorschriften wie bei der Konkurrenz. Hier werden keine Chips produziert, die später auch funktionieren müssen. Das „Plätzchenbacken“ bei Micro Resist dient eher der Kontrolle, ob der Teig auch richtig angerührt wurde.

Gabi Grützner ist seit 30 Jahren Geschäftsführerin des Unternehmens. Im Sommer will sie die Firma an ihre Kollegen übergeben.

© Kitty Kleist-Heinrich TSP

Weil die flüssigen Substanzen sehr lichtempfindlich sind, müssen bestimmte Wellenlängen herausgefiltert werden, im Ergebnis dominiert ein gelber Farbton in den Laboren. Giffey und ihr kleiner Tross erhalten einen Intensivkurs über Fertigungsverfahren in der Mikro- und Nanotechnologie.

Eigentlich funktioniere alles so ähnlich wie bei der Belichtung eines hochempfindlichen 400er-Films in alten Kameras, sagen die Chemiker. Nur eben noch viel kleiner, feiner und empfindlicher.

Werk für Fernsehelektronik wird wiederbelebt

Grützner war vor Kurzem beim niederländischen Konzern ASML in Eindhoven zu Besuch, dem führenden Unternehmen für die Ausrüstung von Chipfabriken, das vor allem in Berlin expandieren will. Dabei erfuhr sie, dass der Chipausrüster einen Standort im ehemaligen DDR-Werk für Fernsehelektronik in Oberschöneweide aufbauen will, genau dort, wo Grützner nach ihrem Chemiestudium in Jena gearbeitet hatte.

„Das ist doch der geheime Bau gewesen, dort war die Elektronenstrahlanlage, da durfte zu DDR-Zeiten keiner rein“, erinnert sie sich. Aber Grützner durfte, weil sie dort zeitweise zu tun hatte. „Das stand jetzt so viele Jahre leer, und jetzt kommen die und beleben das mit dem, was ich früher gemacht habe, da habe ich mich so darüber gefreut, da standen mir die Tränen in den Augen.“ Grützner kümmerte sich damals um neuartige optoelektronische Bauelemente, kurz Leuchtdioden.

Ich habe den Eindruck, dass wir in den 90er und 2000er Jahren viel mehr gereist sind. Man muss wissen, was in den Ländern los ist.

Gabi Grützner, Geschäftsführerin von Micro Resist Technology

Eigentlich wollten sie und ihre Kollegen nach der Wende ihre Forschungspatente an große Player wie Hoechst und Ciba-Geigy verkaufen, erzählt Grützner, aber die lehnten ab und rieten zu einer Unternehmensgründung. 1993 startete sie mit Hilfe einer großzügigen Innovationsförderung des Bundes, die das Beratungsunternehmen VDI/VDE/IT vermittelt hatte.

Von der internationalen Geschäftswelt hatte Grützner als forschende Chemikerin keine Ahnung, aber sie war bereit, sich alles anzueignen und herumzureisen, um zu lernen. „Man muss reisen, reisen, reisen, man muss willig sein zu reisen. Ich habe den Eindruck, dass wir in den 90er und 2000er Jahren viel mehr gereist sind und der Wille zu reisen viel größer war als es jetzt der Fall ist. Man muss doch wissen, was in den Ländern los ist.“

Kooperation mit Google bei „virtueller Brille“

Standortvorteil Berlins seien nach wie vor die vielen Forschungseinrichtungen und die gute duale Ausbildung. Dennoch formuliert Grützner auch Wünsche: Das Thema Exportkontrolle sei wegen der komplexen internationalen Sanktions-Vorschriften inzwischen ein Bereich, den man nicht mal so nebenbei erledigen könne. Das sollte etwa bei der Logistik-Ausbildung an der Hochschule in Wildau integriert werden.

Kooperationen seien ganz wichtig, sagt Grützner. Neues entstünde nur gemeinsam mit vielen unterschiedlichen Partnern. Derzeit arbeitet Micro Resist zusammen mit Google an einer „virtuellen Brille“, die ergänzende Daten ins reale Sichtfeld des Trägers schreibt. „Wir müssen Kooperationen schaffen. Ich wünsche mir einen Mikro-Nano-Systemkongress für Berlin.“

Was Frauenförderung in den naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen anbelangt, hinterlässt Grützner ein gemachtes Haus. Unter den 55 Mitarbeitern sind derzeit 28 Frauen und 27 Männer. Im Führungstrio ist das Verhältnis aktuell 2:1.

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