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In Lichtenberg, Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf sind derzeit mehr als 130 hausärztliche Sitze unbesetzt.

© Monet - stock.adobe

„Langsames Sterben der Praxen“: KV Berlin warnt vor hausärztlicher Unterversorgung

Zum Auftakt der Honorarverhandlungen mit den Krankenkassen hat die KV Berlin die ambulante Versorgungslage in der Hauptstadt vorgestellt. Sie warnt vor Engpässen.

Die Berliner Praxisärzt:innen sollten mehr Unterstützung von ihrer Landesregierung erhalten, das hat die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin am Dienstag gefordert. Der Vorstandsvorsitzende Burkhard Ruppert schlug vor, pro Bezirk eine Ansprechperson zu benennen, die niedergelassene Ärzte bei der Suche nach bezahlbaren und barrierefreien Praxisräumen hilft. Außerdem forderte er finanzielle Hilfen; eine konkrete Summe nannte er nicht.

Hintergrund ist, dass die KV Berlin laut Ruppert „ein langsames Sterben der Praxen“ befürchtet. Der Lobbyist ist selbst Inhaber einer Kinderarztpraxis. Derzeit sei die Versorgungslage „noch ganz gut“, allerdings fehlten in drei Ostbezirken schon heute mehr als 130 Hausarztpraxen. Aufgrund langer Wartezeiten gebe es dort „eine gefühlte Unterversorgung“.

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offene Hausarztsitze gibt es derzeit in drei Berliner Ostbezirken.

Ruppert wird als Mediziner bald in Rente gehen, viele seiner Kolleg:innen ebenfalls: Inzwischen ist die Hälfte der Ärzt:innen in Berlin 55 Jahre und älter. Der Anteil an über 60-Jährigen ist bei den Hausärzt:innen mit 36 Prozent besonders hoch – 249 von ihnen sind sogar über 70.

„Die Alterspyramide steht auf dem Kopf“, sagte Christiane Wessel, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KV Berlin. Weil dazu mehr Ärzt:innen in Teilzeit arbeiteten, warnte die Gynäkologin mittelfristig vor einem „Verlust an Ärztezeit“. Man müsse jetzt gegensteuern, sagte auch Ruppert: „Uns läuft die Zeit davon. Das Schlimme ist: Es bekommt keiner mit. Man realisiert es erst, wenn die Leute meckern und sagen, sie fänden keinen Arzt.“

Krankenkassen betrieben „Praxisbashing“

Die Pressekonferenz veranstaltete die KV Berlin zum Start der Honorarverhandlungen mit den gesetzlichen Krankenkassen. Die Honorare entscheiden darüber, wie viel Geld eine Praxis einnimmt, sie sind so etwas wie das Bruttoeinkommen.

Burkhard Ruppert ist der Vorstandsvorsitzende der KV Berlin.

© dpa/Sebastian Gollnow

Die Vertreter:innen der KV Berlin kritisierten, dass der so erzielte Reinertrag zu gering sei, um die laufenden Kosten – dazu zählen Kredite, Mitarbeitende und Energiekosten – auskömmlich zu bezahlen. „Es geht nicht darum, Spitzenverdienern mehr Geld zuzuschieben, sondern um eine stabile und planbare Finanzierung der Praxen“, sagte Ruppert. Die Kassen haben in der ersten Verhandlungsrunde 2,1 Prozent mehr Honorar angeboten. Das Angebot bezeichnete Wessel als „Praxisbashing“, es zeuge von „Ignoranz und Arroganz“.

Es geht nicht darum, Spitzenverdienern mehr Geld zuzuschieben, sondern um eine stabile und planbare Finanzierung der Praxen.

Burkhard Ruppert, Vorstandsvorsitzender der KV Berlin

Der durchschnittliche Reinertrag belaufe sich laut Kassen auf 210.000 Euro, dies unterscheidet sich nach Arztgruppen mitunter beträchtlich. Ruppert sagte, den Praxisärzt:innen bliebe davon etwa ein Drittel – das mache diese zwar zu Spitzenverdiener:innen, dafür führten sie aber ein „kleines mittelständisches Unternehmen“ und trügen eine hohe Verantwortung.

Kerstin Zeise, HNO-Ärztin und Mitinhaberin einer Praxis am Kaiserdamm, sagte, ihre Praxis erwirtschafte weniger Geld als das, was die Krankenkassen im Durchschnitt angeben. Sie führte als Beispiel für einen schlecht finanzierten Eingriff die Entfernung der Rachenmandeln bei Kindern an: Für diese OP erhalte sie rund 107 Euro. Dem seien Kosten in Höhe von rund 250 Euro gegenüberzustellen, darunter für Hygienemittel, die Voruntersuchung, das OP-Personal und die anschließende Rufbereitschaft.

Laut Zeise führten niedergelassene Ärzt:innen den Eingriff deshalb immer seltener durch. „Ich will nicht polemisch sein, aber eine Dauerwelle in einem deutschen Friseursalon kostet 120 Euro.“

Der Allgemeinmediziner Axel Baumgarten, der in Prenzlauer Berg in einer infektiologischen Praxis arbeitet, klagte ebenfalls über einen „herausfordernden und zermürbenden“ Alltag. Der Verwaltungsaufwand steige, das Praxispersonal müsse zu viele Formulare ausfüllen.

Er befürworte die sektorenübergreifende Zusammenarbeit mit Krankenhäusern, sehe sich als Niedergelassener aber „an der Nahrungskette immer weiter nach hinten gestellt“.

Während öffentliche Häuser, wie zum Beispiel die Charité und der landeseigene Vivantes-Konzern, Verluste machten, müssten er und seine Kolleg:innen gut wirtschaften. Die KV Berlin sieht dies als strukturelle Benachteiligung: Nach Meinung von Ruppert könnten die Kliniken Medizinische Fachangestellte (MFA) leicht abwerben – schlichtweg, weil sie mehr Lohn zahlten.

KV Berlin fordert Entbudgetierung

Wenig Geld bleibe den Praxis auch wegen der Budgetierung: „Seit mehr als 30 Jahren arbeiten die Kolleginnen und Kollegen mit gedeckelten Budgets. Im Durchschnitt erhalten die Berliner Praxen für 20 Prozent ihrer erbrachten Leistungen kein Honorar“, sagte Wessel.

Christiane Wessel (links), stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KV Berlin, Axel Baumgarten, Facharzt für Allgemeinmedizin, Burkhard Ruppert, Vorstandsvorsitzender der KV Berlin, und Kerstin Zeise, Fachärztin für HNO.

© dpa/Sebastian Gollnow

Die Kassen stellen ein jährliches Budget bereit, das sich an der Zahl der Versicherten und ihrem Gesundheitszustand orientiert. Die Kassenärztlichen Vereinigungen rechnen den Betrag auf die Fachgruppen und die einzelnen Ärzt:innen herunter: Dies ist der Grenzwert, bis zu dem jeder Behandlungsfall voll vergütet wird. Behandelt eine Praxis mehr Patient:innen als im Vorjahr oder mehr als andere Praxen, erhält diese nur eine abgestaffelte Vergütung.

Fiele die Budgetierung weg, dann ließen sich auch mehr Ärzt:innen im Osten nieder, sagte Ruppert: „Man hätte auf einen Schlag 2000 Patienten.“ Die KV Berlin forderte deshalb die Entbudgetierung aller ärztlichen Leistungen: Das, was geleistet werde, solle auch bezahlt werden.

Die KV ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Alle 9000 Praxisärzt:innen, die gesetzlich Versicherte versorgen, müssen ihr angehören. Die KV verwaltet die Honorare der Krankenkassen und regelt die ambulante Versorgung.

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