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Kaufhaus oder Maßschneider – ohne Verkäuferinnen und Verkäufer läuft das Geschäft nicht.

© Thilo Rückeis TSP

New Work ist schwierig im Handel : Den Umgang mit Menschen muss man mögen

Verdi fordert eine Erhöhung des Stundenlohns um 2,50 Euro. Welche Maßnahmen sonst noch dabei helfen, Mitarbeitende zu rekrutieren, erläutert ein Maßkonfektionär.

Ware einkaufen, Lager einräumen, Ware sortieren, Kund:innen beraten – jeden Tag ermöglichen uns Mitarbeiter:innen im Einzelhandel ein Einkaufserlebnis. Seit der Pandemie und den Lockdowns weiß jeder, wie trostlos ein Leben ohne Einzelhandel wäre. Und doch hat die Branche erheblich mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen.

In Berlin werden im Handel derzeit rund 1500 Ausbildungsplätze angeboten, hinzu kommen offene Stellen für ausgelernte Verkäufer:innen. Gesucht werden unter anderem „Quereinsteiger in Teilzeit 24 Std./Woche“ und „Aushilfen für Kasse und Verkauf“. Gegen ein freundliches Auftreten, Freude am Umgang mit Menschen und Flexibilität an Wochenenden, gibt es vielerorts einen sicheren Arbeitsplatz, Altersvorsorge und Prozente beim Einkauf.

Das Kauferlebnis pflegen

„Ich arbeite nach wie vor sehr gern als Verkäufer“, sagt Viktor Lis, Mitgründer des Maßschneiders „Rooks & Rocks“. Der Wahl-Berliner ist nach seinem Staatsexamen in Jura in den Einzelhandel gegangen. An seinem Beruf schätze er den Kontakt zu Menschen, die Abwechslung und das Gefühl, seine Kunden glücklich zu machen. „Wer bei uns kauft, will ein Erlebnis. Wir wollen, dass unsere Kunden sich wohlfühlen, und dass das Kauferlebnis nachhaltig ist.“

Dieser Wohlfühlfaktor habe sich herumgesprochen: Von den Schwierigkeiten, mit denen andere Unternehmen zu kämpfen haben, bemerkt Lis bislang nichts. Dennoch kennt er die Vorurteile gegenüber der Branche: „Einzelhandel ist für viele nicht attraktiv, weil es nicht zu den New-Work-Konzepten passt. Es gibt hier kein Homeoffice, man kann nicht digital arbeiten und ist den Launen der Kunden ausgesetzt.“

„Der Fachkräftemangel lässt sich kaum leugnen“, sagt Conny Weißbach, bei Verdi für den Handel in Brandenburg und Berlin zuständig. Die Gewerkschaft steckt seit Monaten in einer Tarifrunde, in der die Gehälter der deutschlandweit mehr als drei Millionen Beschäftigten im Einzelhandel verhandelt werden.

Geringe Stundenzahl

Verdi möchte die Stundenlöhne um 2,50 Euro erhöhen. „„Die Forderung klingt für viele erst mal komisch“, sagt Weißbach. „Tatsächlich ist es sinnvoll, hier über den Stundenlohn zu gehen, da viele Mitarbeiter:innen in Teilzeit beschäftigt sind“. Neben einem insgesamt niedrigem Entgelt-Niveau sei die geringe Arbeitszeit das größte Problem: „Die vertraglich zugesicherte Stundenanzahl im Einzelhandel ist oft unglaublich gering; teilweise sind es nur zehn Stunden pro Woche.“

Viele Beschäftigte könnten ihr Lebenshaltungskosten mit dem geringen Einkommen nicht decken. „Die Leute werden abgeworben, in Branchen wie den öffentlichen Dienst oder von der Deutschen Rentenversicherung“, sagt Weißbach. „Daher brauchen wir eine nachhaltige Entgelterhöhung.“

Gute Stimmung ist wichtig

Der Wettbewerbsdruck im Handel sei zuletzt über die Personalkosten ausgetragen worden, heißt es in einem Branchenbericht des Senats für Integration, Arbeit und Soziales aus dem Jahr 2021. „Der Einzelhandel steht für einen Alltag mit einem hohen Maß an Flexibilität und Interaktionsarbeit, bei der ich oftmals meine Gefühle verbergen muss – all das macht den Beruf herausfordernd“, beschreibt Weißbach die besonseren Anforderungen.

„Ohne Menschen, die dem Ganzen ihr Gesicht schenken, geht’s nicht. Da hilft auch kein Obstkorb oder Kickertisch.“ 

Viktor Lis, Gründer von Rooks & Rocks

Bei „Rooks & Rocks“ steuert man mit einer „Wohlfühlatmosphäre“ gegen. „Ohne Menschen, die dem Ganzen ihr Gesicht schenken, geht’s nicht. Da hilft auch kein Obstkorb oder Kickertisch.“ Damit sich sein Team wohlfühlt, setzt der Berliner auf offene Kommunikation. „Man muss als Chef Bedürfnisse erkennen und das Team teilhaben lassen.“ Wenn jemand drei Tage Überstunden gemacht habe, schicke er den oder sie auch mal für einen Tag nach Hause. „Die Stimmung im Team muss gut sein“, sagt Lis, „man muss da als Vorgesetzter immer ein offenes Ohr haben.“

Die meisten Mitarbeiter:innen seien mindestens fünf oder sechs Jahre dabei. Eine weitere Maßnahme, die gut beim Team ankommt, ist die Umsatzbeteiligung. „Rooks & Rocks“ hat 2012 die erste Filiale in Hamburg eröffnet. Seitdem sind weitere Geschäfte in Berlin, Hannover und Stuttgart hinzugekommen. „Wenn bei uns eine Stelle frei wird, verkünden wir das auf Instagram, auf Facebook und auf unserer Webseite“, sagt Lis.

In unserer Serie „Wer macht die Arbeit?“ schauen wir auf die Besonderheiten des Arbeitsmarktes in Berlin und Brandenburg.

© Tagesspiegel

Hilfreich bei der Suche nach Arbeitskräften sei das Arbeitsamt. „Wir sind in einem Portal angemeldet, über das wir regelmäßig Bewerberinnen zugeteilt bekomme“, sagt Lis. Bei der Arbeitsagentur habe er eine persönliche Ansprechpartnerin, die gezielt Personen einlade. Für die Rekrutierung hat Lis zudem noch einen Tipp: „Man sollte immer die Augen offen haben“, rät der Unternehmer anderen Einzelhändlern. „Wenn ich zum Beispiel essen gehe und mir der Service gut gefällt, lasse ich auch mal meine Karte da.“

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