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Hell Yeah, it´s rocket science.

© Robert Klages

Rover sollen Behausungen im All bauen: Berliner Unternehmen plant erste europäische Mondlandung

Sie verloren Geld an Elon Musk und gingen pleite. Nun will der Milliardär mit ihnen arbeiten: Wie die „Part Time Scientist“ zum „Luft und Raumfahrtunternehmen PTS“ wurden. Ein Rover ist bereits ein Filmstar.

Für André Radloff und sein Team ist der Mond nur einen kleinen Schritt entfernt – und doch unendlich weit weg. „Hell yeah, it’s rocket science“, steht auf Radloffs T-Shirt. Nerdalarm. Aber sein Unternehmen hat erfahren, dass Raumfahrt nicht nur eine Wissenschaft, sondern eine Wirtschaft ist. Wie ein Astronaut betritt er den großen Sandkasten, gefüllt mit hellgrauer Vulkanasche aus dem Elsass.

Diese wurde extra aus dem Nordosten Frankreichs ins graue Industriegebiet von Berlin-Lichtenberg gefahren, Plauener Straße 160b. In einem hohen, dunkelweißen Gebäude, zwischen Schrotthändlern und Kfz-Werkstätten, testet Radloffs Raumfahrt-Startup „PTS“ Rover für den Einsatz auf dem Mond. Die Fahrzeuge sollen dort Landebahnen und Behausungen errichten. Und um die Rover ins All zu bekommen, plant PTS die erste europäische Mondlandung.

Radloff nimmt ein Rad des Rovers Lunar Quattro ab und wirbelt damit etwas Asche auf, geht schnell zur Seite. Lange steht der Staub in der Luft der Halle und legt sich leise über die Mondlandefähre Alina neben dem Mondsandkasten.

PTS wurde von der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) ausgewählt, seine „Curium One-Mission“ noch in diesem Jahr mit dem Erstflug der Ariane 6 zu fliegen. Der Satellit „Curium One“ soll in der Erdumlaufbahn eine GPU-Verarbeitungsplattform betreiben und hochaufgelöste Fotos schicken.

2009 hatte ein Team namens „Part Time Scientists“ (PTS) den Rover Lunar Quattro ursprünglich für den Mondlandewettbewerb Google Lunar X-Prize entworfen. Bald nannte sich das Entwicklerteam PTScience und wollte den Rover in Zusammenarbeit mit Audi und Vodafone ins All bringen. Es sollte die erste private Mondmission auf den Spuren von Apollo 17 sein. Eine Raumfähre mit dem Rover an Bord sollte an der gleichen Stelle aufsetzen, wo Gene Cernan 1972 als letzter Mensch auf dem Mond gelandet war. Doch da PTS 2019 insolvent ging, blieben erst mal alle auf der Erde.

Der Audi Lunar Quattro wurde immerhin Teil des Audi-Werbefilms „Mission to the Moon“. Diesen sah Hollywoodregisseur Ridley Scott, der daraufhin beim damaligen PTS-Geschäftsführer Robert Boehme anrief. Im Film „Alien: Covenant“ unterstützt der Rover Maggie Faris beim Navigieren und Prüfen des unbekannten Geländes eines Planeten – und stand 2017 neben der Schauspielerin auf dem roten Teppich des Filmfestivals in Cannes.

War schon auf dem roten Teppich und im Alien-Film: Der Lunar Quattro
War schon auf dem roten Teppich und im Alien-Film: Der Lunar Quattro

© Robert Klages

Der Rover soll aber nicht nur schauspielern, sondern irgendwann tatsächlich auf dem Mond fahren. Dazu wurde er mit einer Fokus- und zwei Spektralkameras sowie einer Brennlinse ausgestattet. Nach den Vorstellungen von PTS sollen Rover in ein paar Jahren Mondstaub oder Weltraumschrott schmelzen und daraus dort Objekte herstellen können. Recycling im All oder: In-Situ Resource Utilization (ISRU).

Dazu hat PTS Frank Koch vom Unternehmen Orbital Recycling geholt. 24 Mitarbeitende aus rund zehn Ländern sind bei dem Unternehmen tätig, es wird Englisch gesprochen. Tom Haylock kam zum Beispiel aus Toronto, Gina Hwang aus New York und Adrien Chardon aus Toulouse.

Wer PTS mal vor Ort bei der Arbeit besuchen möchte, kann dies übrigens am 17. September am Tag der Offenen Tür tun, Plauener Straße 160b, 1. OG - wie PTS-CEO André Radloff dem Tagesspiegel exklusiv erzählte.

Aus Weltraumschrott sollen Mondbehausungen hergestellt werden

Erst vor Kurzem, 4. März 2022 gegen 13.25 Uhr mitteleuropäischer Zeit, fiel eine Raketenstufe von einer chinesischen Rakete des Typs Langer Marsch 3 (LM-3) auf die Mondrückseite.

Es ist nicht nur der Rover, den PTS entwickelt. Im Portfolio finden sich auch Kameras, die Aufnahmen vom All in nie da gewesener Qualität machen sollen. Erkennung von Weltraumschrott ist ein wichtiges Thema geworden. Die Rover sollen in der Lage sein, daraus beispielsweise Werkzeug herzustellen. Oder Fertigteile für Behausungen.

Denn es wird nicht mehr lange dauern, dann werden erste Menschen auf dem Mond oder im All leben, ist sich Radloff sicher. Im Großraumbüro liegen Computerplatinen herum, vom ungeschulten Auge nicht von dem Inneren einer Fernbedienung zu unterscheiden. Aber darauf befindet sich der Weg in den Weltraum, die Software, die Gerätschaften wie Kameras und Rover steuern soll. Fotografieren verboten.

Hier wird an der ersten europäischen Mondlandung gearbeitet.
Hier wird an der ersten europäischen Mondlandung gearbeitet.

© Robert Klages

„Die Weltraumbranche verändert sich im Moment massiv“, sagt Radloff. „Raketen können jetzt wiederverwertet werden. Damit wird eine Rakete eher zu einem Flugzeug. Dann kann man größere Massen bewegen.“ Radloff ist sich sicher, dass es bald private Forschungsstationen geben wird und Menschen auf dem Mars, auf dem Mond und in privaten Raumstationen leben. „Das ist greifbar, so etwas wird es in unserer Lebenszeit geben, da bin ich sicher“, sagt Radloff. „Und dafür wollen wir uns aufstellen.“

China, Russland, Europa: Kampf um die Rückkehr zum Mond

PTS steht daher nicht mehr für Part Time Scientists, sondern für Planetary Transportation Systems und hat sich darauf spezialisiert, Logistik für das Leben im Universum bereitzustellen. Eine Art Dienstleister im Weltraum. Um die Logistik in den Orbit zu bekommen, plant PTS Ende des Jahres eine eigene Satellitenmission und eben die erste europäische Mondlandung.

Neben den Milliardenprojekten von Elon Musk und Richard Branson, die die private Raumfahrt ermöglichen wollen, verfolgt China konkrete Pläne für ein Megamondprojekt mit russischer Beteiligung: Mitte der 2030er-Jahre soll eine permanent bemannte Mondstation unter der Oberfläche betrieben werden. Auch Russland und Japan haben Mondprogramme.

Europa will jedenfalls nicht nur zusehen, wie Länder anderer Kontinente Frauen und Männer auf dem Mond flanieren lassen. Josef Aschbacher, Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation (Esa), hatte zuletzt verkündet, dass die erste europäische Person noch bis 2030 auf dem Mond sein könnte.

Soll Fotos vom Mond machen und ist ein Filmstar: der Lunar Quattro.
Soll Fotos vom Mond machen und ist ein Filmstar: der Lunar Quattro.

© Robert Klages

Es herrscht eine Art Rennen um die Rückkehr zum Mond, bei dem nicht mehr nur Staaten, sondern eben auch milliardenschwere Privatpersonen den Ton angeben. Der Mond werde sich als neuer Wirtschaftsraum und neuer Kontinent auftun, sagte Aschbacher im November 2021 während einer Konferenz in Paris.

Der Traum eines eigenen Raketenstarts kommt für die Mitarbeiter von PTS jedenfalls wieder in greifbare Nähe. Dazu müssen die Raumfahrtexpert:innen aber zunächst irdische Dinge leisten. Für das sogenannte CLAM-Projekt wurde Patent angemeldet, und natürlich soll es später einmal im Weltall eingesetzt werden.

Durch Lasertechnologie kann die Fracht eines Lkw oder eines Schiffs live verfolgt werden. Es lässt sich überprüfen, ob noch alle Paletten am richtigen Ort stehen. In Echtzeit erhält man Auskunft über Lage, Zustand der Ware und Temperatur in den Containern. Radloff spricht über CLAM mit einer ähnlichen Begeisterung wie beim Mondrover. Es geht um Leistung, Speicherkapazität und Genauigkeit.

Ein Roverrad kostet ca. 3000 Euro.
Ein Roverrad kostet ca. 3000 Euro.

© Robert Klages

Das CLAM-Projekt soll Geld in die Kassen von PTS bringen, nachdem 2019 Insolvenz angemeldet wurde. Die Unternehmensgründer Robert Boehme und Arne Reiners hatten sich etwas zu sehr auf die Mondmission konzentriert und haben das Wirtschaftliche außer Acht gelassen. PTS hatte für eine Rakete von Musks Raumfahrtunternehmen SpaceX bereits 2 Millionen Euro (der insgesamt 60 Millionen Euro teuren Rakete) angezahlt. Mit der Insolvenz war die Anzahlung futsch.

Hier kommt Wolfram Simon-Schröter ins Spiel, nun CFO des Logistikunternehmens Zeitfracht. Dieses hat PTS übernommen und zurück in die Wirtschaftlichkeit geführt. Zugeschaltet per Videocall, erzählt Simon-Schröter, er habe den Jungs von PTS erst mal den Traum einer eigenen Rakete und einer Mondlandung nehmen müssen – nur, um ihnen diesen Traum dann zurückgeben zu können.

PTS-CEO André Radloff in Vulkanasche aus dem Elsass.
PTS-CEO André Radloff in Vulkanasche aus dem Elsass.

© Robert Klages

Als ihn der Insolvenzverwalter anrief und fragte, ob er Interesse an einer Mondlandung habe, fragte Simon-Schröter überrascht: „Willst du mich auf den Arm nehmen? Soll ich nach Texas fahren?“ Aber nein, Simon-Schröter fuhr samt Familie nach Berlin, stieg ein und machte André Radloff zum neuen Geschäftsführer. Dieser war kurz vor der Insolvenz bei PTS als kaufmännischer Leiter eingestiegen. Radloff hat zwar BWL in Bayreuth und Schweden studiert, Banken in Afrika gegründet und ist Hobbybergsteiger, interessierte sich aber seit dem Abitur für die Raumfahrt.

Derzeit ist PTS privat finanziert. „Zwei Gesellschafter finden sehr gut, was wir hier machen“, sagt Simon-Schröter. Vom Standort Berlin habe das Unternehmen keine Förderungen erhalten. „Klar, Berlin ist Hauptstadt und ist sexy, aber das allein reicht nicht.“ Nach der Insolvenz kam auch noch Corona. Doch die zukünftige ESA-Trägerraketenerweiterung der Ariane 6 wird von PTS-Computertechnik gesteuert. Der Jungfernflug verschiebt sich zwar seit 2020, ist nun aber für 2024 vorgesehen.

Steht noch in Berlin-Lichtenberg aber soll mal auf dem Mond landen.
Steht noch in Berlin-Lichtenberg aber soll mal auf dem Mond landen.

© Robert Klages

Simon-Schröter ist sicher: „Der Mensch wird und muss die Erde irgendwann verlassen. Es wird hier zu eng werden. Hinfliegen ist im Grunde kein Thema. Das Problem ist: Wie kann die lebensfeindliche Umgebung gemeistert werden? Das ist die Herausforderung. Dafür brauchen wir Daten, Daten, und nochmals Daten aus dem All. Man muss den Forschern auch die Möglichkeit geben können, dass es mal danebengeht. Der Totalschaden ist eigentlich die Regel.“

Simon-Schröter zieht einen Vergleich: „Elon Musks Jungs von SpaceX haben auch zahlreiche Raketen in die Luft gekriegt, bis sie eine davon wieder heruntergebracht bekommen haben. Das ist knochenharte Arbeit. Man muss den Misserfolg ertragen können. Man muss sagen, es geht sowieso schief, und wenn es funktioniert, dann um so besser.“

Für den Traum des eigenen Raketenstarts hat Zeitfracht den zivilen Teil des Flughafens Rostock-Laage übernommen, der 1984 für militärische Zwecke gebaut wurde. Die Flughafengesellschaft befindet sich schon lange in einer schwierigen finanziellen Lage. 2019 ging die Fluggesellschaft Germania insolvent, eine der wenigen Airlines, die vom Flughafen aus regelmäßig Flüge anboten. PTS testet auf dem Flughafen bereits die Rover für den Mondeinsatz. Wer mal so ein Gerät steuern möchte, kann über eine neu eingerichtet Website einen Slot buchen.

Nun will PTS hier einen Raketen-Horizontalstart hinlegen, wie es ihn in Europa bisher nicht gegeben hat. Eine unbemannte Rakete beispielsweise mit Mondlandefähre Alina und Rover Lunar Quattro an Bord soll unter ein Flugzeug geschnallt und von dort aus über der Ostsee in den Orbit gefeuert werden.

Zeitfracht will in Rostock ein neues Logistikzentrum bauen, in dem Luftfracht und Transport über die Straße eng verzahnt werden können. Es soll ein neuer Innovations- und Technologiestandort im Bereich Luft- und Raumfahrt sowie der erneuerbaren Energien aufgebaut werden. Und: Auch SpaceX soll bereits angefragt haben, ob man nicht was zusammen machen wolle.

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