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Wir sind wieder alle da, Ihr auch?Der Weihnachtscircus Roncalli.

© Roncalli

Jonglieren mit dem Wäscheständer: Der Roncalli-Weihnachtszirkus im Tempodrom

Bernhard Paul hält auch in widrigen Zeiten Kurs auf den guten alten Spaß in der Manege. Diesmal in einer schönen Paris-Kulisse.

Es steht „Roncalli“ über der Tür, aber ein Hauch von letzter „Wetten dass?“-Sendung liegt in der Luft. Bernhard Paul, der große österreichische Impresario, betritt mit mutmaßlich ernstem Blick hinter der getönten Brille die Manege und verkündet dem freudig versammelten Premieren-Publikum: „Es is ja net mehr so einfach, in der heutigen Zeit Zirkus zu machen.“ Was meint der Mann? Die schrecklichen Kriege und Krisen? Die schwarzen Haushaltslöcher, die uns alle zu verschlingen drohen? Nein: „Was man alles net mehr sagen und machen darf.“

Um Missverständnissen vorzubeugen, schiebt Paul noch „liebe Kinder und Kinder*innen“ hinterher. Und das erinnert dann doch an Thomas Gottschalks Abschied von der Wettcouch. An die gallige Rede von aufgeregten Aufnahmeleitern, denen er die Shitstorms ersparen möchte. Woher nur diese Egomigräne überall?

Dabei ist der 19. Original Roncalli Weihnachtscircus, der wieder im Tempodrom seine Türen öffnet, überhaupt keine unwoke Veranstaltung. Wenn man von einem etwas abgestandenen Schwiegermutter-Joke absieht, der dem amerikanisch-schweizerischen Comedy-Duo Full House zwischen eigentlich lustigen Nummern herauspurzelt. Oder von den knapp bekleideten Can-Can-Tänzerinnen, die nicht nach jeder Lesart für feministisches Empowerment stehen.

Klar, das Gute-alte-Zeiten-Flair, für das Roncalli bekannt ist, das herrscht schon vor. Im letzten Jahr war das Setting ein italienischer Marktplatz aus nicht näher bestimmter Vergangenheit, diesmal ist die Kulisse ein nostalgisch umwehtes Montmartre plus Eiffelturm.

Überhaupt soll es um Kunst gehen an diesem Abend, denn „der Circus und die Kunst haben sich schon seit je her gegenseitig beeinflusst“, wie Bernhard Paul im luxuriösen Programmbuch schreibt. Und er kannte sie ja alle, den Andy Warhol, den Leonard Bernstein, den Keith Haring. Wohl auch deswegen stehen anfangs jede Menge Staffeleien in der Manege, mit Bildern von Kaffee und Croissant und der roten Mühle. Es gibt außerdem viel Musik von den Beatles zu hören, die für Pauls ästhetische Sozialisation eine große Rolle spielten.

Einmal ist ein Schwarzweißfoto zu sehen, das die Fab Four in Paris zeigt, so schließen sich die Kreise. Aber ehrlich: Ob die High-Class Artistik und Clownerie, für die Roncalli bürgt, jetzt vor einer Bildergalerie vom Kottbusser Tor stattfinden würde, oder im Künstlerviertel siedelt – wäre das ein so großer Unterschied? Der Halbglatzen-Clown Anatoli zum Beispiel, der mit sägender Pumuckl-Stimme Mitmach-Schrecken verbreitet, scheint direkt der U8 entstiegen zu sein.

Einrad-Artistik mit 14 Rädern

Die meisten Nummern sind allerdings zum stressfreien Bewundern geeignet. Wie die Einrad-Artistik von Pavel Valla Bertini, eine Zahl, die man nicht zu wörtlich nehmen sollte, denn der Mann hat sich auch ein monströses Gefährt aus 14 übereinander montierten Rädern gebaut, mit dem er unter der Kuppel herumradelt. Oder die Hand-auf-Hand-Akrobatik der kolumbianischen Acero Brothers (Charly und Wuilder Acero), die vor allem auch Kopf-auf-Kopf-Kunststücke beherrschen, für die es Standing Ovations gab.

Oder die Show der Handstand-Balancier-Künstlerin Silke Pan, die ihre Karriere seit 2007 mit einem Leben im Rollstuhl zusammenbringt. Auch das schon erwähnte Duo Full House (Gaby Schmutz und Henry Camus) hat neben Comedy noch andere Zirkus-taugliche Fertigkeiten im Repertoire: Eine Jonglage mit Besen, Blumenstrauß, Perücke und Wäscheständer zum Beispiel.

Regisseur und Direktor Bernhard Paul verleiht – ebenfalls im Programmbuch – seiner Enttäuschung darüber Ausdruck, „dass Circus hierzulande – anders als in der restlichen EU – noch immer nicht als Kultur anerkannt ist.“ Da hat er wirklich mal einen Punkt. Zum Glück gibt es niemanden, der ihm verbietet, trotzdem weiter gute Zirkus-Kunst zu machen. Das darf man heute noch.

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