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Andre Ruschkowski, Marian, 19 und Michael, 39 verteilen Essen, bei der Suppenbus-Tour von Hertha BSC Fans am Alexanderplatz.

© Tagesspiegel/David Heerde

„Wir Fans sind der Verein“: Ehrenamt in Blau-Weiß

Im Sommer 2020 begann eine Gruppe von Hertha-Anhängern, Wasser an Bedürftige zu verteilen. Inzwischen ist die Initiative immens gewachsen. Von Fans, für die ihr Verein mehr als Fußball ist.

Andre Ruschkowski ist gerade auf dem Weg zum Alexanderplatz, als sein Handy klingelt. „Frenchman?“, ruft er in die Freisprechanlage seines Transporters. „Ich bin in etwa einer Stunde am Ostbahnhof. Kannst du den anderen Bescheid sagen?“ Zustimmung. „Bis gleich!“

Ruschkowski ist Sozialarbeiter und verteilt seit zwei Jahren Suppe auf den Straßen Berlins. Er ist waschechter Berliner. Und, seit er in der Grundschule zum ersten Mal im Olympiastadion war, Hertha-Fan. Frenchman, der Mann am anderen Ende des Hörers, lebt auch schon lange in Berlin und ist obdachlos. Ursprünglich kommt er, daher sein Spitzname, aus Frankreich. Genau wie Ruschkowski schlägt auch sein Herz für die Hertha.

Die beiden haben sich vor einiger Zeit auf der Straße kennengelernt. Damals, erinnert sich Ruschkowski, kam Frenchman auf ihn zu und zeigte ihm ganz stolz seinen Hertha-Schlüsselanhänger. Er nahm das nur am Rande wahr. Denn wenn er unterwegs ist, um anderen zu helfen, ist ihm der Fußball erstmal egal.

Ob Freiburg-, Bayern- oder Unionsfan, ich gehe mit jedem gleich um.

Andre Ruschkowski, Gründer von 1892hilft

Auch wenn in seinen Adern, wie Ruschkowski selbst sagt, „spreeblaues Blut“ fließt. „Ob Freiburg-, Bayern- oder sogar Unionsfan, ich gehe mit jedem gleich um.“ Frenchman aber traf er immer und immer wieder, sie kamen ins Gespräch und tauschten Nummern aus. Anfang dieses Jahres gingen sie zum ersten Mal gemeinsam ins Stadion.

Ihre Beziehung steht sinnbildlich für das, was Hertha für Ruschkowski bedeutet: Es geht um mehr als Fußball, es geht um Solidarität, um Fürsorglichkeit, um Gemeinschaft.

Deshalb trägt der Sozialarbeiter aus Neukölln die Hertha-Farben nicht nur im Stadion, sondern auch ehrenamtlich durch Berlin. Erst für die Faninitiative „Blau-Weißes Stadion“, die sich für eine neue Spielstätte einsetzt. Danach für „Aktion Herthakneipe“, die zehn Fankneipen durch die Pandemie half.

Seit 2020 fährt Andre Ruschkowski mit dem Suppenbus von „1892hilft“ durch Berlin.

© Tagesspiegel/David Heerde

Dann, ebenfalls in der Pandemie, übernahm Ruschkowski ein neues Projekt: Im Hitze-Sommer 2020 begann er mit ein paar anderen Fans, Wasser an Bedürftige zu verteilen. Die Initiative „1892hilft“ war geboren. Das Angebot ging schnell über Wasser hinaus und führte über zwei Jahre hinweg zu einer Bilanz, die sich sehen lässt: 107 Bustouren, 2200 Liter Wasser, über 10.400 verteilte Suppen, 2500 Donuts, 1800 Hygieneartikel und 50 ehrenamtliche Helfer*innen, die im Wechsel mit dem Suppenbus fahren. Die Liste ist lang.

Einmal die Woche, jeden Donnerstag, ist der Transporter unterwegs und fährt mehrere Orte in Berlin an, bekannte Treffpunkte oder Rückzugsorte für Wohnungslose. Fast immer dabei: Andre Ruschkowski. Für ihn ist das Ehrenamt ein Vollzeitjob, er ist die Seele des Vereins, der sich auf die Fahne geschrieben hat, „unsere Stadt ein kleines Stückchen besser zu machen“.

Der Suppenbus ist vielen schon bekannt

Auch an diesem Donnerstag fährt der Sozialarbeiter wieder. Die Vorbereitungen beginnen schon am Vortag, Ruschkowski läd Decken, Schlafsäcke und Jacken für die Tour in den Transporter ein, den Hertha-Präsident Kay Bernstein den Fans bereitstellt - genauso wie den Sprit und einen Parkplatz. Er unterstützt die Initiative seit Beginn.

Am Donnerstag selbst fährt Ruschkowski dann gegen zwölf Uhr los und sammelt Spenden ein: Kaffee aus Wilmersdorf, Brötchen aus Friedrichshain, Suppe vom Westhafen und Donuts aus dem KaDeWe. Gegen 17 Uhr ist er dann soweit, mit seiner Kollegin Samia Khallafi geht es zur ersten Station: Bahnhof Zoo.

„Was für eine Suppe gibt es heute?“, fragt der erste, der sich nähert, während die beiden Freiwilligen noch Tische und Brötchen ausladen. Viele hier kennen Ruschkowski und seinen weißen Transporter mit der Aufschrift „Team Bernstein“, sie winken ihm schon zu, als er den Wagen vorfuhr. Sie sind dankbar für das Essen und die Möglichkeit, Decken und Schlafsäcke zu bekommen.

Gerade an diesem Donnerstag ist es ungemütlich draußen, die Luft ist feucht, das Thermometer zeigt zwei Grad an. Es ist wohl auch der Grund, warum Ruschkowski und Khallifa hier nur wenig verteilen. Etwa zehn Suppen, bevor es weitergeht zum Alex.

Dort ist Ruschkowskis Sozialarbeiter-Gen schon mehr gefordert. Mit wachem Blick läuft er durch den Bahnhof, auf der Suche nach wohnungslosen Menschen, die hier Zuflucht vor der Kälte suchen.

„Nicht jeder, der obdachlos ist, sieht auch so aus“, sagt er. „Nur, weil jemand keine Wohnung hat, bedeutet das nicht, dass er oder sie keinen Wert aufs Erscheinungsbild legt“, erklärt er weiter und nennt das Beispiel einer älteren Dame, die einmal mit Fahrrad und Wellensteyn-Jacke zum Suppenbus kam.

Wenn Ruschkowski durch den Bahnhof läuft, versucht er deshalb in erster Linie, Blickkontakt mit den Menschen zu suchen. Er achtet auf Details wie Tüten, Schlafsäcke, müde Blicke. Manchmal eben doch abgewetzte Jeans und Schuhe. Manche lehnen ab, andere, sagt der Hertha-Fan, regen sich auf, wie er sie nur für obdachlos halten könne.

Auf dem Boden am U-Bahn-Gleis sieht er ein junges Pärchen sitzen, neben ihnen Rucksäcke. Sie haben einen Hund dabei, der auf einer Decke liegt. „Wir stehen oben mit einem Bus und verteilen Suppe, wenn ihr wollt. Wir haben auch Hundefutter“, sagt Ruschkowski ihnen. Der junge Mann nickt. „Ich komme gleich hoch.“

Ruschkowski klagt über fehlende Angebote in der Stadt

Während der Sozialarbeiter mit dem Bus in der Stadt unterwegs ist, wettert er immer wieder über selbige. „Dass es ohne Ehrenamtliche nicht geht, ist klar. Aber wir müssen zu viel abfedern, was die Stadt nicht macht.“ Er meint damit zum Beispiel die Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo, die wahrscheinlich bekannteste Anlaufstelle in Berlin.

Vermehrt hat Ruschkowski in den vergangenen Tagen gehört, dass Bedürftige am Nachmittag und am Wochenende vor verschlossenen Türen stehen. Das gilt auch für das Hygienecenter, in dem obdachlose Menschen kostenlos duschen, ihre Kleidung waschen und auf Toilette gehen können. Weil es solch grundlegende Bedürfnisse abdeckt, hat die Bahnhofsmission eigentlich rund um die Uhr geöffnet.

Aktuell ist sie aber nur von acht bis 16 Uhr besetzt. Die zuständige Stadtmission selbst begründet die eingeschränkten Öffnungszeiten dem Rbb gegenüber mit einem hohen Krankenstand und unbesetzten Stellen - Fachkräftemangel. Aber auch damit, dass die Zahl der Ehrenamtlichen seit der Pandemie sehr stark zurückgegangen sei.

Wir Fans sind der Verein.

Samia Khallafi, Ehrenamtliche bei 1892hilft

Damit nimmt die Last für Initiativen wie 1892hilft zu. Deren Angebote gehen über den Suppenbus längst hinaus und sollen zumindest einen Teil dessen kompensieren, was die Stadt nicht leistet: So haben Ruschkowski und sein Team zum Beispiel die Aktion „Schlafsackengel“ eingeführt.

Die Idee dahinter ist, Tonnen an mehreren Einrichtungen in Berlin aufzustellen, in die obdachlose Menschen ihre dreckigen Schlafsäcke schmeißen und dafür einen frischen erhalten können. 1892hilft sammelt die Schlafsäcke und reinigt sie anschließend.

Auch wenn Ruschkowskis Ehrenamt auf den ersten Blick nichts mit Fußball und die Initiative 1892hilft nichts mit den Funktionären von Hertha BSC zu tun hat, fährt der Klub doch immer mit im Suppenbus: Auf der Warnweste der Freiwilligen, auf der Mütze von Ruschkowski, auf dem Heck des Transporters. Sogar der Suppentopf ist vollgepflastert mit dem blau-weißen Logo.

Der Suppenbus von Hertha BSC Fans hält für eine Essensausgabe am Bahnhof Zoo.

© Tagesspiegel/David Heerde

„Viele haben dieses Bild von Hertha als Big City-Klub. Dabei sucht das, was wir Fans machen, seinesgleichen“, sagt Ruschkowski. Er sagt das als Seitenhieb auf Union Berlin und die Darstellung beider Vereine in den Medien. Auch Samia Khallafi, seit April dabei, stimmt ihm zu: „Wir Fans sind der Verein.“ Fußball sei immer auch ein Spannungsfeld, „es gibt die, die Scheiße machen, aber auch die, die sich im Kontext des Sports sozial engagieren“.

Der nächste Halt der Suppentour ist der Ostbahnhof. Es regnet jetzt stärker, auch die Freiwilligen sind mittlerweile durchgefroren. Andre Ruschkowski arbeitet unentwegt. Er dreht eine Runde im und um den Ostbahnhof. Weil er kaum wen findet, dreht er noch eine zweite.

Vor allem einen vermisst er: Frenchman. Ruschkowski versucht es übers Telefon: „Sag mal, wo bist du? Zehn Minuten kann ich noch auf dich warten, dann müssen wir weiter.“ Kopfschüttelnd legt er auf. Am Ende kommt Frenchman, er braucht etwas länger als zehn Minuten. Ruschkowski wartet. Am Ende ist spreeblaues Blut vielleicht doch ein bisschen dicker als normales.

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