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Seelsorgeberater Uwe Müller von der Kirchlichen Telefonseelsorge in Berlin und Brandenburg sitzt in einem Büro vom Diakonie Freiwilligenzentrum am Telefon.

© dpa/Jens Kalaene

24-Stunden-Notruf für die Seele: Kirchliche Telefonseelsorge feiert 35-jähriges Bestehen

160 Ehrenamtliche sitzen rund um die Uhr an den Leitungen, um Menschen in Not zuzuhören – der Bedarf ist groß. Der Leiter und Mitgründer Uwe Müller spricht darüber, wie es vor 35 Jahren anfing und was sich verändern muss.

Sie ist wie ein 24-Stunden-Notruf für die Seele – die kirchliche Telefonseelsorge. 38.000 Anrufe aus Berlin und Brandenburg haben die 340 ausgebildeten ehrenamtlichen Telefonseelsorger:innen allein im vergangenen Jahr entgegengenommen. Vor dem Jahreswechsel war besonders viel los, kann Uwe Müller bestätigen.

Der Familienvater mit vier Kindern ist nicht nur seit 35 Jahren dabei. Mehr noch: Der studierte Sozial-Pädagoge und späterer Seelsorgeberater hat die kirchliche Telefonseelsorge 1988 in Ost-Berlin auch mitgegründet und leitet sie seitdem. Damals ahnte noch niemand, dass die DDR ein Jahr später von der friedlichen Revolution aufs Abstellgleis der Geschichte geschoben wird.

Am 1. November 1988 um 18.01 klingelte das erste Mal offiziell das Telefon bei der kirchlichen Telefonseelsorge in der „Hauptstadt der DDR“, erzählt Uwe Müller. Die Initiativgruppe aber hatte sich bereits 1986 zusammengefunden, um Menschen in Not einen Ansprechpartner zu geben, mit dem sie anonym und vertraulich über ihre Probleme reden können.

Die Idee war weit einfacher als die Realisierung. Mit Glück fanden sich zwar leerstehende kirchliche Räume mit einem Diensttelefon. Auch wurde die Initiative auf breiter ökumenischer Ebene von der katholischen und protestantischen Kirche unterstützt. Doch von staatlicher Seite wurde nichts unversucht gelassen, den Aufbau einer Telefonseelsorge zu verhindern.

Natürlich haben die Sicherheitsbehörden der DDR die in den ersten Monaten nicht nur beobachtet, sondern auch belauscht.

Uwe Müller, Leiter und Mitgründer der kirchlichen Telefonseelsorge

Mit einem Team von 26 ehrenamtlich Mitarbeitenden begannen der Aufbau und die ersten Ausbildungskurse. „Natürlich haben die Sicherheitsbehörden der DDR die in den ersten Monaten nicht nur beobachtet, sondern auch belauscht“, hat Uwe Müller später erfahren. Dies sei eines der schwierigsten Themen gewesen, so Müller: „So mussten wir in vielen Gesprächen darauf hinweisen. Oft war die Telefonleitung die ganze Nacht gestört.“

An all das wird sich Uwe Müller erinnern, wenn am 20. Januar in der Marienkirche in Berlin-Mitte dieses nun 35 Jahre währende bürgerschaftliche Engagement gewürdigt wird. Bis heute sind die Engagierten der kirchlichen Telefonseelsorge verlässlich da für Menschen in Krisensituationen. Sie hören zu, spenden Trost und zeigen Möglichkeiten auf oder vermitteln passende Hilfsangebote. Anonymität und Verschwiegenheit sind die Grundlage ihres Engagements am Telefon.

160
Ehrenamtliche sitzen in Berlin an den Leitungen der Telefonseelsorge

In Berlin sitzen aktuell 160 Ehrenamtliche rund um die Uhr an drei Leitungen; auch in Cottbus, Potsdam und Frankfurt/Oder gibt es Standorte. Für alle Menschen, die die kostenlosen Rufnummern 0800-1110111 und 0800-1110222 wählen, wird sichergestellt, dass jemand ihnen zuhört, sagt Uwe Müller. Er weiß, dass Menschen in Not, die fünf, sechsmal vergeblich anrufen, darüber den letzten Rest Lebensmut verlieren können.

Wie groß der Bedarf ist, merken die Engagierten täglich. Wird der Hörer aufgelegt, klingelt es gleich wieder. Über die Jahre haben sich die Probleme der Anrufenden durchaus verändert, erzählt Müller. Nach der Wende ging es vielfach um die Folgen des gesellschaftlichen Umbruchs in der vormaligen DDR und die Arbeitslosigkeit. In den vergangenen Jahren hätten bei den Anrufenden dagegen zunehmend psychische Probleme und das Thema Einsamkeit eine Rolle gespielt.

Junge Menschen nutzen eher Messenger-Dienste

Verändert haben sich auch die Kommunikationswege. Gerade junge Menschen telefonieren nicht mehr so häufig, sondern bevorzugen Mails, Messenger-Dienste oder Chat-Funktionen, weiß Uwe Müller. Auf diese Weise mit der Telefonseelsorge zu kommunizieren, geht zwar schon jetzt, soll aber deutlich ausgebaut werden. Wie notwendig das ist, zeigen Zahlen: Bei Mails und Chats geht es zu fünfzig Prozent um Suizidfragen, sagt Müller.

50
Prozent der Menschen die anrufen, sind suizidgefährdet.

Das bedeute auch, dass die Ausbildung der Ehrenamtlichen entsprechend verändert werden müsse, damit sie sich gut in die Lebenssituationen anderer Menschen hineinversetzen können. Die Ehrenamtlichen stünden mitten im Leben; selbst eine Mutter mit drei Kindern sei dabei. Beim letzten Vorbereitungskurs lag das Alter zwischen Mitte 20 bis Ende 60, sagt Müller.

Das Angebot an die veränderte Nachfrage und neue Kommunikationswege anzupassen, kostet natürlich auch Geld. Da macht sich Müller durchaus Sorgen. Zwar werde die kirchliche Telefonseelsorge von der Berliner Landesregierung unterstützt, aber angesichts der gegenwärtigen Kürzungsdebatten auch im sozialen Bereich „wird uns angst und bange“, sagt Uwe Müller. Deshalb ist er besonders froh, dass die Telefonseelsorge von den 500 Mitgliedern des Fördervereins mit jährlich 40.000 Euro unterstützt wird.

Bevor Engagierte an den Leitungen sitzen, werden sie ein Jahr lang vorbereitet – mit sieben Wochenend-Tagungen, zehn Theorie-Abenden und einer einführenden Praxis an der Seite erfahrener Mentoren. Freiwillige müssen sich außerdem für eine dreijährige Mitarbeit verpflichten. Das macht es in schnelllebiger Zeit und flexibleren Lebensphasen schwieriger, neue ehrenamtliche Mitarbeiter in Berlin und Brandenburg zu finden. „Immer weniger Leute wollen sich auf so eine lange Zeit verpflichten“, sagt Uwe Müller: „Aber als Ehrenamt-to-go funktioniert das eben nicht.“

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