zum Hauptinhalt
Der Nachbarschaftscampus beim Kunstfestival „48 Stunden Neukölln“ im Juni 2021.

© Mohamad Badarneh

Berliner Bezirk Neukölln plant „Zukunftskiez“: Ende für bisherigen Nachbarschaftscampus am Dammweg

Das Netzwerk Berlin Mondiale hat die ungenutzte Brachfläche in einen Ort für Kunst und Kultur verwandelt. Nun will das Bezirksamt die Fläche selbst entwickeln.

Aus einem brachliegenden Schulgelände einen Campus für die gesamte Nachbarschaft machen: Ungefähr das war die Idee des Kulturnetzwerkes Berlin Mondiale, als es vor zweieinhalb Jahren die früheren Flächen der Gartenarbeitsschule am Dammweg in Berlin-Neukölln übernahm.

„Als wir hier ankamen, sah es ein bisschen aus, als wäre eine Katastrophe wie in Tschernobyl passiert und die Menschen hätten alles Hals über Kopf verlassen“, sagte Projektleiterin Sabine Kroner dem Tagesspiegel damals bei einem ersten Besuch.

In den früheren Schulräumen lagen da noch alte Dokumente herum, so als hätten die Schüler:innen gerade erst Hals über Kopf das Gelände verlassen. Dabei hatte die Carl-Legien-Oberschule den Standort bereits 2017 aufgegeben, nachdem der Schwerpunkt Gartenbau geschlossen worden war. Seither hatten Bezirkspolitik und Anwohnende über die Zukunft des Geländes diskutiert, zwischenzeitlich wurde auch der Bau einer Turnhalle für die angrenzende Sonnen-Grundschule geprüft.

Beim „Alkebu-Lan - Black Culture Fest Berlin“ fanden 2022 unter anderem Tanzvorfürhungen auf dem Gelände statt.

© Mohamad Badarneh

Seitdem ist einiges auf der Fläche passiert: Mit Nutzungsverträgen über jeweils zwölf Monate hangeln Kroner und ihr Team sich von Jahr zu Jahr, warben hunderttausende Euro an Fördermitteln ein und etablierten den Campus in der als schwierig geltenden Nachbarschaft.

Wir haben gesagt: Wir öffnen das hier für alle.

Projektleiterin Sabine Kroner über die Ziele des Nachbarschaftscampus.

Direkt hinter dem Campus türmen sich die Hochhäuser der Weißen Siedlung auf. Über 4000 Menschen leben in dem Kiez, der als Problemviertel gilt. Mehr als die Hälfte der Anwohner:innen bezieht Transferleistungen, etwa die Hälfte ist jünger als 18 Jahre. Rund drei Viertel haben eine Migrationsgeschichte.

Der Nachbarschaftscampus soll eine Verbindung herstellen: zwischen den Menschen im Norden, aus der Weißen Siedlung, und den Menschen im Süden, einer denkmalgeschützten Reihenhaussiedlung aus den 1920er Jahren. „Wir haben gesagt: Wir öffnen das hier für alle“, sagte Sabine Kroner zu Beginn des Projektes. Und ist mittlerweile stolz auf das, was ihr Team auf der Fläche erreicht hat.

er Nachbarschaftscampus bei der „Urban Resilience Week” 2022.

© Mohamad Badarneh

Nun, zweieinhalb Jahre später, steht der Nachbarschaftscampus vor dem Aus: Das Bezirksamt hat eigene Pläne für das Gelände, in denen Berlin Mondiale nicht mehr vorkommt. Es sei von einem „kompletten Neustart“ ab 2024 die Rede gewesen, erzählt Sabine Kroner, die Fläche solle „auf Null gesetzt“ werden. Dass damit nicht nur die etablierten Projekte, Kontakte und Verbindungen in die Nachbarschaft gekappt werden, sondern der Bezirk auch auf sechsstellige Summen an Fördermitteln verzichtet, kann Kroner nicht nachvollziehen.

Der Bezirk will das Gelände zum „Zukunftskiez“ entwickeln

Seit Anfang 2021 habe Berlin Mondiale fast eine Million Euro Fördermittel für den Campus eingeworben, rechnet sie vor. Ab 2024 will der Bezirk die Fläche nun zum „Zukunftskiez“ entwickeln und dabei Mittel des Senats nutzen: Diese lägen im laufenden Jahr zwar auch bei 1,3 Millionen Euro, sagt Kroner. Die Summe gelte aber nicht für einzelne Projekte, sondern für alle zwölf Bezirke zusammen.

Das Bezirksamt plant nach eigenen Angaben, die Fläche ab 2024 insbesondere für die Musikschule Paul Hindemith, die Stadtbibliotheken und die Kursangebote der Volkshochschule – vor allem im Bereich Nachhaltigkeit und Biodiversität – zu nutzen. So solle die „öffentliche Bildungsinfrastruktur für die Bewohner:innen der Weißen Siedlung [ausgebaut] werden“, heißt es recht bürokratisch in einer Mitteilung.

Berlin Mondiale hat das Gelände aus dem Dornröschenschlaf geweckt.

Christian Berg, Sprecher des Bezirksamtes

Die Jugendkunstschule Young Arts nutzt einen Teil der Flächen ebenfalls bereits seit 2021. Insgesamt solle ein ganzheitliches Bildungsangebot für die Jugendlichen entstehen, heißt es. Dazu wolle man auch Projekte und Träger aus den Kiezen einbinden. Für das Kulturnetzwerk Berlin Mondiale komme eine weitere Zusammenarbeit infrage – obwohl „die Rahmenbedingungen schon in den vergangenen drei Jahren nicht optimal waren“, sagt Kroner. Allerdings habe das Bezirksamt bislang keinen Willen gezeigt, das Netzwerk auch künftig zu beteiligen.

Abseits von Events kommen viele Nachbar:innen her, etwa um in den Gewächshäusern zu gärtnern.

© Mohamad Badarneh

Bezirksamtssprecher Christian Berg sagt auf Anfrage, dass der bisherige Träger von Berlin Mondiale, das Neuköllner Kulturnetzwerk, selbst angekündigt habe, den Vertrag nicht verlängern und die Zusammenarbeit mit Mondiale beenden zu wollen. Das Bezirksamt wolle den Standort langfristig erhalten und die Projekte sichern, sagte er. Das gelte auch für Neubauten, die auf dem Gelände geplant seien: Aktuelle Projekte etwa der Musikschule sollten dort dann weiter geführt werden.

Das Bezirksamt will den Standort langfristig absichern

Zudem sei es dem Bezirksamt wichtig, eine dauerhafte Finanzierung für einige „Ankerangebote“ des Standortes zu etablieren und nicht wie bislang von kurzfristigen Projektförderungen abzuhängen. „Berlin Mondiale“ habe das Gelände „aus dem Dornröschenschlaf geweckt“ und belebt, dafür sei das Bezirksamt dankbar. Künftig solle das Gelände stärker von unterschiedlichen Trägern und Projekten genutzt und weiterentwickelt werden.

Auf dem Campus wird viel experimentiert: Hier etwa mit einer Art Baumhaus.

© Mohamad Badarneh

Am meisten sorgt sich Sabine Kroner aber nicht über die finanzielle Lage, sondern die mangelnde Kontinuität: Gerade in einer Siedlung, in der es schwer sei, Vertrauen aufzubauen, würden diese mühsam aufgebauten Kontakte nun abgebrochen. Und das in Zeiten, in denen berlinweit spätestens seit den Silvesterkrawallen über die fehlende soziale Infrastruktur insbesondere in Großsiedlungen wie der Weißen Siedlung debattiert werde. „Das ist auch einfach nicht sehr nachhaltig“, sagt Sabine Kroner.

Zumal das Bezirksamt offenbar Projekte plane, die jenen, die es auf dem Campus bereits gibt, sehr ähneln. Statt die vorhandenen fortzuführen oder einzubinden, würden gleichartige Projekte komplett neu aufgebaut, bemerkt Kroner. Für sie ist das Projekt „Zukunftskiez“ ein Rückschritt: „Die Zukunft ist hier ja bereits da – seit drei Jahren“, sagt sie.

Bezirksamtssprecher Berg kontert, dass auch die meisten bisherigen Projekte nur temporär und „insofern ohne Nachhaltigkeit“ gewesen seien. Auch unabhängig von Berlin Mondiale bestehe im Kiez bereits ein sehr gutes Netzwerk, etwa durch die Arbeit des Quartiersmanagements in der Weißen Siedlung und die Arbeit verschiedener Akteure im Bereich Jugend und Familie.

„Dieses etablierte Netzwerk ist die Grundlage für die Weiterentwicklung der Angebote am Standort und entspricht auch dem Gedanken des Programmes Zukunftskiez. Durch die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit – unter Einbeziehung der Schulaufsicht, der Jugendsozialarbeit, der Stadtplanung sowie des Sportamtes – werden die Angebote gestärkt und nachhaltig ausgerichtet“, sagte Berg.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false