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Wirtshaus Leydicke

© Tagesspiegel/Sigrid Kneist

Wirtin mit losem Mundwerk: Streit um Benennung eines Platzes nach Lucie Leydicke

Berlin-Schöneberg soll einen Lucie-Leydicke-Platz erhalten. Im Verkehrsausschuss des Bezirks stimmte die große Mehrheit zu. Nur die Grünen haben nach einem Zeitzeugenbericht Bedenken.

Schöneberg soll einen Lucie-Leydicke-Platz erhalten. Der Verkehrsausschuss der BVV hat jetzt einem Antrag zugestimmt, dass das Bezirksamt die Voraussetzungen schaffen soll, den Ort des Crellemarkts nach der einst legendären Wirtin des ebenso bekannten Wirtshauses „E. & M. Leydicke“ in der Mansteinstraße zu benennen. Am Mittwoch kommender Woche wird die Umbenennung in der BVV behandelt werden. Mit einer Zustimmung ist zu rechnen; denn im Verkehrsausschuss, der die Federführung bei diesem Thema hat, erhielt der von der Linksfraktion stammende Antrag eine große Mehrheit, lediglich die Grünen stimmten dagegen.

Es ist bereits der zweite Anlauf, Lucie Leydicke mit einem Platz zu ehren. Der erste Versuch scheiterte vor anderthalb Jahren aus formalen Gründen; da der damals vorgesehene Ort Teil der Crellestraße ist und erst hätte umgewidmet werden müssen. Diese Möglichkeit sieht der jetzige Antrag – falls notwendig – vor.

Die Grünen-Fraktion hatte in der Sitzung einen weiteren Entwurf einer Beschlussempfehlung eingebracht: Der eigentliche Antrag sollte vertagt und das Bezirksamt aufgefordert werden, zuvor „eigene Recherchen über die Biografie“ Lucie Leydickes und ihre Lebensleistung anzustellen. Es gebe über sie unterschiedliche Einschätzungen: „Einige halten sie für ein großartiges Berliner Original, andere geben an, sie habe sich regelmäßig antisemitisch geäußert“, heißt es in der Vorlage der Grünen. Der Fraktion liegt ein Bericht eines Zeitzeugen vor. Auch beim Tagesspiegel hat sich der Mann, den die Autorin durch die Arbeit am Bezirksnewsletter Tempelhof-Schöneberg schon lange kennt, nach einem Bericht gemeldet.

Lucie Leydicke (rechts) Anfang der siebziger Jahre in ihrem Lokal.

© Klaus Lehnertz/Tagesspiegel-Archiv

Er sei in den Sechzigern oft bei Leydicke Gast gewesen, bis es ihm gereicht habe. „Keine Frage: volkstümlich war sie, aber: volkstümlich judenfeindlich und ausländerfeindlich leider“, schrieb er unter anderem. Er bekräftigte diesen Eindruck auch in einem Telefonat. Der Grünen-Bezirksverordnete Bertram von Boxberg zitiert im Ausschuss auch den Spruch, den er genannt habe: „Dich haben sie wohl vergessen zu vergasen.“ Boxberg fügt hinzu, dass man natürlich nicht dabei gewesen sei und deswegen nicht beurteilen könne, ob dies nun der Wahrheit entspricht. Deswegen brauche man mehr Informationen.

Alle anderen Fraktionen lehnten die Vorlage der Grünen ab. „Die Quellen konnten die Vorwürfe nicht stärken“, sagte beispielsweise Annette Hertlein von der SPD. „Wir haben nicht einen Satz gefunden, dass Lucie Leydicke antisemitisch und rassistisch gewesen ist.“ Sie nannte zudem noch ein formales Argument, warum sie der Beschlussempfehlung der Grünen nicht zustimmen werde. Im Verkehrsausschuss werde über straßenverkehrsrechtliche Aspekte entschieden; die Würdigkeit einer Person zu überprüfen sei Sache des Kulturausschusses. „Da habe ich nicht genügend Wissen.“ Ohnehin werde das Bezirksamt seine eigenen Recherchen vor einer Platzbenennung unternehmen. Im Kulturausschuss im Dezember hatte die SPD übrigens noch dagegen gestimmt. Das erklärte der SPD-Bezirksverordnete Jan Rauchfuß jetzt aber mit einem Irrtum der Fraktionskollegin.

Der Enkel weist die Vorwürfe zurück

Lucie Leydickes Enkel, Raimon Marquardt, der das Leydicke heutzutage führt, verfolgte die Ausschussdiskussion. Er nannte anschließend den Zeitzeugenbericht und die darin erhobenen Vorwürfe absolut unwahr und unzutreffend. Er selber sei noch zu jung gewesen. Seine Großmutter ist 1980 gestorben. Aber er könne fünf weitere Zeitzeugen benennen, die bezeugen könnten, dass daran nichts sei. Einer von ihnen ist Lothar Wendenburg; auch er war zur Ausschusssitzung gekommen.

Wendenburg ist der Familie Leydicke seit 1946 freundschaftlich verbunden. Er hält den Zeitzeugenbericht für „maßlos“ und „ein Pamphlet“. Gegen die Behauptungen spreche schon Lucie Leydickes christlicher Hintergrund; Rassismus und Antisemitismus seien ihr fremd gewesen. Sie habe natürlich ein loses Mundwerk gehabt, sei bisweilen ein „Schandmaul“ gewesen und habe verbal stets contra gegeben. Aber das habe zur Atmosphäre dazugehört. „Sie hatte den Laden im Griff“, sagt Wendenburg.

1973 widmete sich der Autor Dieter Hildebrandt im Tagesspiegel dem Lokal und seiner Wirtin. In seinem Artikel, aus dem er 1980 nach dem Tod Lucie Leydickes wesentliche Teile für seinen Nachruf in der Wochenzeitung „Die Zeit“ erneut verwendete, schrieb er: „Sie hat eine unentwegte Wut auf jegliche Obrigkeit, besonders auf die Sozialdemokratie.“ Die Männer, die das Leydicke besuchten, „haben Respekt vor der alten Frau, manchmal sogar ein bisschen ärgerliche Angst“. Vor Lucie Leydicke würden sie alle klein. „Sie genießen, dass sie klein werden und nichts mehr zu sagen haben. ‚Einen richtigen deutschen Mann‘ , sagt die eiserne Lucie zum Beispiel, ,scheinen wir überhaupt nicht mehr zu haben‘, und alle, wie sie da stehen und sitzen, nicken beifällig und andächtig und sonder Ehrgeiz, ihr zu widersprechen.“

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