Das Gesicht der Pandemie: Die Bilder des Corona-Jahres 2020 aus Berlin
Das Jahr 2020 produzierte Bilder, aus denen der Wille spricht, das beste aus einer neuen Normalität zu machen. Und Fotos von Verzweiflung, Einsamkeit und Wut. Es sind Bilder, die wir nicht vergessen werden.
- Silvia Perdoni
- Kitty Heinrich
Silvester 2019, was war das für ein Fest! Vielleicht saß der ein oder andere mit Freunden um eine lange Raclette-Tafel, es gab zu viel Rotwein, Partyhüte, Tischfeuerwerk und eine Gruppenumarmung um Mitternacht.
Oder aber, es wurde getanzt, dicht an dicht, auf klebrigem Diskofußboden, bis der ganze Saal in Schweiß, Bier, Zigarettenqualm und Endorphinen unterging. Weiter am Stadtrand rannten vielleicht Kinder durch die Straßen, kreischend und überdreht, bis auch der lezte Knallfrosch gezündet war.
So oder so: Hätte man all diesen Menschen vor einem Jahr erzählt, dass sie sich zwölf Monate später nur noch mit Masken in der Öffentlichkeit aufhalten, sich an staatlich angeordnete Haushaltsbeschränkungen halten und sich zur Begrüßung den Ellenbogen geben – sie hätten das für einen Scherz gehalten. Hinter uns allen liegt ein Jahr, das wir nicht vergessen werden.
Manchmal, wenn im Fernsehen ein Film läuft, der Partys, volle Fußballstadien oder belebte Einkaufsstraßen zeigt, empfinden wir die geselligen Szenen schon als befremdlich. Denn dieses Jahr produzierte andere Bilder, die längst zur neuen Normalität geworden sind.
Das begann im März mit den Fotos von leergefegten Supermarktregalen, in denen nur noch einzelne Packungen Paniermehl, Linsen oder Instantknödel zu bekommen waren. Wer eine Tüte Dinkel-Spirelli ergattern konnte, schätzte sich glücklich.
Die Luft wurde langsam wärmer damals, und Aufnahmen vom Tempelhofer Feld sahen aus, als wäre die Fläche mit Streuseln garniert: Zweiergrüppchen, in sicherer Distanz zueinander, soweit das Auge reicht.
Dann die Fotos von den Abstandsmarkierungen, als wir bei sommerlichen Temperaturen versuchten, unser Leben in coronakonforme Muster zu übersetzen: Klebestreifen in Geschäften und Restaurants, selbst im Sand am Strand und zwischen den Pissoirs auf der Herrentoilette. Wir lernten neue Worte wie „Inzidenz“, „Superspreader“, „Lockdown“ oder „Triage“.
Doch dieses Jahr produzierte auch andere Fotos. Bilder, aus denen nicht der Wille spricht, das beste aus der neuen Normalität zu machen, sondern Verzweiflung, Einsamkeit oder Wut.
Aufnahmen von Menschen, die sich durch Platikfolie umarmen, von Beerdigungen ohne Trauergäste und nicht zuletzt von den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen, wo sich Verblendung und rechte Propaganda ohne Masken und Abstand die Hand gaben – diese Fotos hinterlassen ein mulmige Gefühl, das wohl ebenfalls noch lange am Jahr 2020 haften wird.
Was bleibt also von diesem Jahr, das anders war als alle vorausgegangenen? Vielleicht die Pop-up-Radwege, die sich nun quer durch Berlin ziehen, in vielen Firmen wohl auch das flexible Arbeiten.
Das Wissen, dass Pflegekräfte viel mehr Geld verdienen sollten und vielerorts auch das Staunen darüber, wie viel Solidarität in der Nachbarschaft schlummert.
Eine Narbe wird wohl auch bleiben, sie erzählt von zerstörten Existenzen und Verlust, von Dingen, die die Stadt und die Berliner im kommenden Jahr erst einmal wegstecken müssen. Zuletzt bleibt deshalb auch die Einsicht, dass es wichtigeres gibt als eine große Silversterparty.
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