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Cyclist drives on the bike path to a red traffic light - First-person view of cyclist/ motion blur

© David.Sch - stock.adobe.com/David Schunack

Fährt über 80, soll noch ein Fahrrad sein: Wie getunte E-Bikes Straßen und Gehwege in Berlin unsicher machen

Scooter, E-Skateboards und Pedelecs mischen zunehmend mit im Verkehr, doch nicht alle dürfen das auch. Was der Berliner Polizei bei Kontrollen begegnet.

Höchstgeschwindigkeit 85,4 Kilometer pro Stunde zeigt der Tacho eines E-Bikes, das zwei Fahrradpolizisten Anfang März in Moabit anhalten. Ein unscheinbares Gefährt mit kleineren Rädern, Einkaufskörben und Akku. So sehen Pedelecs aus, die millionenfach verkauft werden und mit elektrischer Tretunterstützung bis 25 Kilometern pro Stunde noch als Fahrrad gelten. Gestoppt wurde der Fahrer nur, weil er auf dem Gehweg unterwegs war, entgegengesetzt der Fahrtrichtung.  

Bei näherem Hinsehen fällt ein Gasknopf am Lenkergriff auf, der nicht zu einem Pedelec passt, weil er das Fahrzeug auch ohne die Tretbewegung beschleunigt. Ob das Zweirad so tatsächlich auf über 80 km/h kommt, muss ein Gutachten zeigen. Es wird eingezogen, den Fahrer erwarten neben der Gehwegbenutzung weitere Anzeigen: Fahren ohne Führerschein, ohne Versicherungskennzeichen, ohne Typengenehmigung und ohne Rückspiegel, listet die Polizei auf. Auch auf Radwegen haben solche E-Bikes oder dem Mofa vergleichbare S-Pedelecs keinen Platz mehr, sie müssen auf der Straße fahren.

85,4 Kilometer pro Stunde Höchstgeschwindigkeit? Ein Gutachten muss diesen Sachverhalt klären.
85,4 Kilometer pro Stunde Höchstgeschwindigkeit? Ein Gutachten muss diesen Sachverhalt klären.

© Polizei Berlin

„Früher haben wir Mofas getunt, heute sind es Fahrräder“, schreibt ein Facebook-User zu einem ähnlichen Polizei-Eintrag. Tatsächlich scheint der Wunsch nach mehr Geschwindigkeit groß zu sein – nicht nur unter Pedelec-Fahrern: Auch bei den sogenannten „Elektrokleinstfahrzeugen“ – also E-Tretrollern, Segways, E-Skateboards, Hoverboards oder elektrischen Einrädern zieht die Berliner Polizei viele unzulässige Gefährte aus dem Verkehr. Alles, was keine Halt- oder Lenkstange verbaut hat, darf ohnehin nicht auf öffentliche Straßen, so sieht es die Verordnung aus dem Jahr 2019 vor.

Auf dem Gehsteig unterwegs: Ein E-Bike ohne Zulassung in Moabit, 10. März.
Auf dem Gehsteig unterwegs: Ein E-Bike ohne Zulassung in Moabit, 10. März.

© Polizei Berlin

„Schwärme von E-Scootern“ fahren mittlerweile in den Sommermonaten durch die Innenstadt, wie die Polizei schreibt. Da müsse man nicht lange warten, bis die „erste Rakete“ vorbeisaust. Anlass für die Kontrollen sind auch Beschwerden von Fußgänger:innen über gefährliche Fahrweisen.

Oft sind es Fahrradpolizist:innen, die mit Messgeräten schnell merken, wer schneller als die erlaubten 20 Kilometer pro Stunde rollert. Bei einer Kontrolle in der Ku’damm-Umgebung im vergangenen August stellten zwei Beamte vier E-Scooter sicher, einer von ihnen war mit Tempo 55 unterwegs.

E-Scooter, am 10. März auf einem Gehweg in Spandau unterwegs und laut Verkaufsbeschreibung bis zu 60 km/h schnell.
E-Scooter, am 10. März auf einem Gehweg in Spandau unterwegs und laut Verkaufsbeschreibung bis zu 60 km/h schnell.

© Polizei Berlin

„Wie von Geisterhand“ beschleunigte am vergangenen Dienstag ein Skateboardfahrer in Mitte, zwei Beamte schnitten ihn den Weg ab. Mithilfe einer Fernbedienung konnte der 51-Jährige das Gefährt auf 48 Kilometer pro Stunde bringen.

Der Hersteller des 2500 Euro teuren Boards schreibt von einem Produkt für „diejenigen, die den ultimativen Ride unter ihren Füßen haben wollen“. Allerlei technische Superlative werden in der Beschreibung aufgeführt, von der fehlenden Fahrerlaubnis für öffentliche Straßen in Deutschland ist in der Kurzbeschreibung allerdings nicht die Rede.

Auf richterlichen Beschluss zogen die Polizisten das Skateboard ein. Nach Erstellung eines Gutachtens erhält der Besitzer sein Eigentum voraussichtlich zurück und kann auf Privatgelände seine Kreise ziehen.

E-Skateboard, am 28. März in Mitte angehalten und beschlagnahmt.
E-Skateboard, am 28. März in Mitte angehalten und beschlagnahmt.

© Polizei Berlin

Belastbare Zahlen über die Verbreitung von unzulässigen Elektro-Gefährten konnte die Berliner Polizei bis Redaktionsschluss nicht bereitstellen. Als Indiz für eine Zunahme können die Unfallzahlen mit Beteiligung von Rollern und Segways gelten. Allein zwischen 2021 und 2022 stellten die Behörden eine Steigerung um 40,71 Prozent fest, die absolute Unfallzahl stieg von 813 auf 1144. Dabei verletzten sich im vergangenen Jahr 123 Scooter-Fahrer:innen schwer, 700 trugen leichte Verletzungen davon.

Unterschiedliche Ländergesetzgebungen

Auch die Regelmäßigkeit von Meldungen mit Tuning-Vorfällen lässt vermuten, dass sich im Schatten der gewünschten und geförderten E-Mobilität auch ein Markt für Fahrzeuge gebildet hat, die schneller als erlaubt durch Berlin fahren.

Manche Irritation hängt mit unterschiedlichen Ländergesetzgebungen zusammen. Ein Roller, der in einigen Bundesstaaten der USA mit 32 Kilometern pro Stunde auf die Straße darf, findet über globale Verkaufsplattformen seinen Weg nach Deutschland. Nicht jedem Käufer sind die Beschränkungen bewusst, obwohl viele Hersteller mit einer deutschen Straßenzulassung werben. Andere beschlagnahmte Gefährte sind Eigenbauten.

Marke Eigenbau: Klapprad mit nicht zugelassenem 1000-Watt E-Bikemotor, Handgashebel und elektrischer Steuereinheit im Fahrradkorb.
Marke Eigenbau: Klapprad mit nicht zugelassenem 1000-Watt E-Bikemotor, Handgashebel und elektrischer Steuereinheit im Fahrradkorb.

© Polizei Berlin

Bei Pedelecs sind nahezu für jeden Motortyp Tuningkits im Internet legal erhältlich. Boxen von der Größe einer Streichholzschachtel lassen sich in die Steuerung kabeln und bei einer Kontrolle schnell wieder abziehen. Häufig verdoppelt sich dadurch die Geschwindigkeit, bei der ein Motor die Unterstützung der Tretbewegung einstellt.

„Kinderleicht“ sei der Einbau, schreibt die Stiftung Warentest. Zugleich wird gewarnt: Das Tuning mache das Fahrrad rechtlich zum Kraftfahrzeug, für das eine eigene Haftpflichtversicherung erforderlich sei, sobald man sich damit auf öffentliche Straßen begibt. Eine Straftat, die Geldbußen oder sogar eine Freiheitsstrafe nach sich ziehen könnte. Womöglich unbezahlbar wären Schäden bei etwaigen Unfällen, für die beim Tuning keine Versicherung mehr einspringt.

Viele Internetuser empfinden die rechtlichen Beschränkungen für den neuen und leistungsfähiger gewordenen Fuhrpark zwischen Scootern und Pedelecs als ungerecht, wie sich aus Kommentaren zu den Polizei-Einträgen herauslesen lässt. Sie wollen mitschwimmen, sich auch ohne Fahrerlaubnis und Führerschein im regulären Kraftverkehr nicht von Autos abhängen lassen.

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