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Blick auf die Justizvollzugsanstalt (JVA) Plötzensee.

© dpa/Paul Zinken

Gemeinnützige Arbeit statt Ersatzfreiheitsstrafe: Berliner Senat erhöht Arbeitszeit von vier auf sechs Stunden

Da der Bund die Ersatzfreiheitsstrafe kürzlich halbiert hat, sieht Schwarz-Rot „eine doppelte Begünstigung“ der Berliner Verurteilten. Daher hebt er die 2021 gesenkte Arbeitszeit wieder an.

Verurteilte, die eine Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit abwenden wollen, müssen in Zukunft sechs statt vier Stunden am Tag arbeiten. Eine Änderung der entsprechenden Tilgungsverordnung hat der Berliner Senat auf seiner Sitzung am Dienstag auf Vorlage von Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos, für die CDU) beschlossen.

Die Arbeitszeit war erst im Jahr 2021 unter Rot-Rot-Grün von sechs auf vier Stunden reduziert worden. Hintergrund der Rückabwicklung ist laut Senat eine Änderung auf Bundesebene durch die Ampelkoalition. Seit dem 1. Februar 2024 gilt bundesweit, dass ein Tag an gemeinnütziger Arbeit zwei Tage und nicht wie vorher einen Tag einer Ersatzfreiheitsstrafe ersetzt.

Von dieser neuen Regelung würden Verurteilte in Berlin überdurchschnittlich profitieren, da hier, anders als in anderen Bundesländern, die tägliche Arbeitszeit ohnehin schon verkürzt ist, argumentiert der Senat. Es käme „zu einer doppelten Begünstigung der Verurteilten. Dies sollte im Hinblick auf die materielle Gerechtigkeit und das Prinzip der schuldangemessenen Strafe vermieden werden.“

Rund 3000 Ersatzfreiheitsstrafen im Jahr 2023

Zu einer Ersatzfreiheitsstrafe werden Menschen verurteilt, die eine Geldstrafe nicht bezahlen, beziehungsweise nicht bezahlen können. Oft betrifft das Menschen, die ohne Fahrschein Bus und Bahn nutzen und die fälligen Strafen nicht zahlen (können). In Berlin verbüßen derzeit rund 350 Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe. Im gesamten Jahr 2023 waren 2894 Menschen betroffen. Die Kosten pro Hafttag liegen in Berlin bei etwa 230 Euro. Die zugrunde liegenden Geldstrafen sind in der Regel deutlich geringer.

Kritik an der Anhebung der Arbeitszeit kommt von Linken und Grünen. „Die Justizsenatorin schadet mit dieser Vorlage der Justiz, den Gefangenen und konterkariert die Gesetzesänderung auf Bundesebene“, sagte der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Sebastian Schlüsselburg, dem Tagesspiegel. Er verweist auf die Begründung für die Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe durch den Bund. In dieser heißt es: „Ebenso besteht jedoch ein breiter Konsens, dass die tatsächliche Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe grundsätzlich so weit wie möglich vermieden werden sollte.“

Ein Weg zur Abwendung der Ersatzfreiheitsstrafe sei die Ableistung freier Arbeit, sagte Schlüsselburg. „Durch die Anhebung der Regelarbeitszeit droht jetzt eine Erhöhung der Abbrüche, da dieses Klientel wegen Sucht- und anderen Erkrankungen oft nicht mehr als einen halben Tag arbeitsfähig ist.“ Darüber hinaus komme es zu einer Belastung des Vollzugs und der Steuerzahler. „Dass dieser Vorgang ohne Beteiligung der betroffenen Träger und vieler Expertinnen und Experten im Justizvollzug stattgefunden hat, ist Ausdruck von Ignoranz und Voreingenommenheit“, sagte Schlüsselburg.

Verpflichtender Hinweis auf Härtefallregelung

Ähnlich äußerte sich die rechtspolitische Sprecherin der Grünen, Petra Vandrey. „Dass Schwarz-Rot Menschen, die zu einer Geldstrafe verurteilt wurden, durch mehr Arbeit disziplinieren möchte, wird den Aufgaben eines modernen Justizvollzugs nicht gerecht“, sagte Vandrey. Es betreffe Menschen, die „oft mit multiplen Problemlagen wie psychischen Erkrankungen, Sucht und Wohnungslosigkeit kämpfen.“

Häufig könnten sie ihre Strafen nur deshalb nicht zahlen, weil sie zum Beispiel psychisch überfordert seien und ihre Post nicht öffneten. „Diese Menschen brauchen soziale Hilfe und keine Gefängnisstrafen. Schon gar nicht brauchen sie eine Disziplinierung durch erhöhte Arbeitszeiten“, sagte Vandrey.

Nach Tagesspiegel-Informationen wollte Justizsenatorin Badenberg die Änderung bereits in der Senatssitzung der vergangenen Woche beschließen. Die SPD-Seite meldete jedoch zunächst Bedenken an.

Hinzugekommen in der Vorlage am Dienstag ist nun ein expliziter Hinweis auf die Härtefallregelung in der Tilgungsordnung. Diese sieht vor, dass die Vollstreckungsbehörde „bei gesundheitlich oder familiär begründeten Problemlage“ einen kürzeren Arbeitstag festsetzen darf, der „in der Regel drei Stunden nicht unterschreiten darf“. In der neuen Verordnung heißt jetzt: „Jede verurteilte Person wird für den Fall der Ableistung durch freie Arbeit auf die Möglichkeit der aufgeteilten Ableistung nach dieser Härtefallregelung hingewiesen.“

Transparenzhinweis: In einer ersten Version des Textes stand im ersten Satz, dass Verurteilte in Zukunft vier statt sechs Stunden arbeiten müssen. Die Zahlen wurden vertauscht. Verurteilte müssen in Zukunft sechs statt vier Stunden arbeiten. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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