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ARCHIV - Flüchtlinge warten am 29.12.2016 in der Erstaufnahmestelle in Suhl (Thüringen) auf ihre Registrierung. Termine vereinbaren, Formulare ausfüllen, Behördengänge - wer die deutsche Sprache nicht gut beherrscht, hat es meist schwer. Migranten organisieren sich oft selbst einen Sprachmittler. Vor allem in kleinen Städten können Ämter mit Mehrsprachigkeit bislang kaum dienen. (zu dpa «Behörden gehen sprachlich eher kleine Schritte auf Ausländer zu» vom 10.06.2017) Foto: arifoto UG/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

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„Ich kam mir wie ein Parasit vor“: EU-Zuwanderer beklagen frustrierende Erfahrungen mit Berliner Ämtern

Sie stammen aus der EU und suchen ihre Zukunft in Berlin. Trotz Fachkräftemangels erleben viele Zuwanderer Ämter als bizarre Orte mit Faxgeräten und feindseligem Zwang zur Amtssprache Deutsch.

Maria Coelho ahnte, dass der Umgang mit Berliner Behörden für sie zu einem Problem werden könnte. Die Portugiesin zog vor zwei Jahren für einen Job bei einem bekannten Lebensmittel-Lieferdienst in die Hauptstadt. Als Teil ihrer Arbeit musste die 43-Jährige die Zufahrt des Unternehmens von Falschparkern frei halten.

„Mein Deutsch ist nicht gut, sprechen Sie Englisch?“ – Auf diese Frage hin habe das Ordnungsamt aufgelegt und die Polizei das Gespräch mit „Nein“ beendet. Doch die eigentlichen Probleme begannen für Maria Coelho, als sie ihren Job verlor. Auf keinen Fall wollte sie auf Sozialleistungen angewiesen sein, erzählt sie am Dienstag auf einem Pressetermin der Landesarmutskonferenz Berlin (Lak). Sie fand eine Teilzeitstelle, klagte sich erfolgreich zurück, wurde wieder gefeuert. Eine schwierige Zeit, in der sie die Unterstützung von Ämtern gebraucht hätte.

Stattdessen erhielt sie vom Arbeitsamt eine dreimonatige Sperre, wie sie erzählt. Man hätte sie dafür abgestraft, auf Amtsterminen kein Deutsch gesprochen zu haben. „Abwesend“, so hätte es später in den Unterlagen gestanden.

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„Ich kam mir wie ein Parasit vor“, sagt Maria Coelho. „Wir sind Bürger zweiter Klasse!“ Obwohl sie eineinhalb Jahre lang in Sozialsysteme einzahlte, sei ihr auf Ämtern eine geradezu feindselige Stimmung entgegengeschlagen. Ein Rausschmiss nach dem anderen wegen mangelnder Deutschkenntnisse. Hätte sie diese nicht zwischenzeitlich verbessern können?

„Nein“, sagt die Portugiesin. Der Arbeitgeber habe auf ein Schichtsystem gepocht, das ihr dazu keine Zeit ließ. Für drei Monate bekommt sie nun endlich ihr Arbeitslosengeld ausgezahlt und lernt derweil Deutsch. Doch die Angst und der Ärger sitzen tief.

Manche scheitern bereits an der Security vor dem Arbeitsamt

Trotz des gravierenden Fachkräftemangels mache die Sprachbarriere die zahlenmäßig große Zuwanderung aus der Europäischen Union erschreckend schwer, sagt Karsten Krull von der Landesarmutskonferenz (Lak) Berlin. Der Zusammenschluss aus etwa 60 Institutionen hat sich zum Ziel gesetzt, diese Probleme offenzulegen und Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten. Es gebe Menschen, die wegen der Sprachbarriere nicht am Sicherheitsdienst des Jobcenters vorbeikämen, sagt Krull.

In diese Richtung geht die Erfahrung des 24-jährigen Ahmed Ahmed. Der Vater von drei Kindern im Alter von zwei, sechs und sieben Jahren zog in diesem Frühjahr aus der bulgarischen Küstenstadt Varna nach Berlin. Er hätte dort keine Perspektive gesehen, erzählt er.

Einen Job als Reinigungskraft fand Ahmed Ahmed sofort, doch die Unterbringung wurde zum Existenzproblem. Freunde setzten die Familie vor die Tür, sein Asylantrag brachte im Sozialamt keine Hilfe. Aufgrund der Sprachbarriere könne man ihn weder beraten noch eine Unterkunft bieten, soll man ihm dort gesagt haben. Den Bezirk nennt der sichtlich mitgenommene Mann nicht – aus Angst, weitere Nachteile zu erfahren.

Zwei Wochen lang lebte die junge Familie auf der Straße, ehe sie in einem Heim unterkam. Dort leben die Fünf nun in der drangvollen Enge eines Zimmers. Das seien keine isolierten Erfahrungen von Einzelnen, sagt Svenja Ketelsen. Mehrfach in der Woche begegnet sie Menschen aus dem EU-Ausland, die frustrierende Ämter-Erfahrungen in Berlin gesammelt haben: „Die Leute rechnen damit, dass sie vom Arbeitgeber ausgenutzt werden, aber nicht vom Staat“, sagt Ketelsen.

Trotz Rechtsansprüchen scheitert die Gleichstellung oft an der Sprache

Die Landesarmutskonferenz sieht Berlin noch nicht auf einem guten Weg: Sie habe das Gefühl, gegen Wände zu laufen, sagt Svenja Ketelsen aus der Fachgruppe Migration über die Entwicklung der vergangenen Jahre. Dabei gibt es Rechte, auf die sich EU-Zuwanderer berufen können: Diskriminierungsverbote bezüglich der Sprache in der Charta der Europäischen Union und in der Berliner Verfassung. Im Koalitionsvertrag ist vom Vorsatz die Rede, die Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenzen der Verwaltung zu fördern.

Dolmetscher und Integrationslotsen sollten in diesen Situationen helfen. Doch weil man diese längerfristig buchen muss, sind sie häufig nicht zur Stelle. Selbst in den Ämtern säßen den Zugewanderten oft Sachbearbeiter:innen gegenüber, die ihre Sprache kennen, erzählen mehrere Betroffene. Doch das Deutsche sei dort verpflichtend.

Viele der Zugewanderten drehten absurde Schleifen zwischen Ämtern und wüssten gar nicht um die „eigentlich tolle Infrastruktur aus Beratungsstellen in der Stadt“, sagt Dirk Heinke von der Fachstelle für Integration und Migration von der Arbeiterwohlfahrt. „Sie fühlen sich erschlagen von vierseitigen Briefen mit drei Seiten Zitaten aus dem Sozialgesetzbuch“. Heinke fordert eine interkulturelle Öffnung der Verwaltung. Doch was lässt sich tun?

„Durch die Bank alle Formulare“ sollten in sämtlichen EU-Sprachen verfügbar sein, meint der Sozialberater Dirk Heinke. Bei jedem neuen Online-Angebot sollte die Mehrsprachigkeit bereits im Entstehungsprozess mitgedacht werden. Die öffentliche Verwaltung sollte Audio- und Videoformate bereitstellen. Digitalisierung an allen Enden. Als gutes Beispiel wird Thüringen genannt. In dem Bundesland können Betroffene relativ unkompliziert auch telefonisch auf Dolmetscherdienste zurückgreifen. Die Landesarmutskonferenz fordert deshalb in Berlin einen vergleichbaren landeseigenen Übersetzungsdienst für alle EU-Sprachen und sämtliche Ämter.

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