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Vier Männer in orangenen Anzügen haben den Geldtransporter am Freitag überfallen.

© Tsp

Update

Kein Platz im Maßregelvollzug : Mitglied des Remmo-Clans trotz hoher Haftstrafe vorzeitig entlassen

Muhamed Remo wurde 2021 zu sieben Jahren Haft verurteilt – wegen eines Raubüberfalls auf einen Geldtransporter am Ku‘damm. Dennoch kam er bereits jetzt frei.

| Update:

Justizskandal in Berlin: Ein verurteilter Clan-Krimineller musste vorzeitig aus der Haft entlassen werden, weil im Maßregelvollzug kein Platz war. Obwohl Muhamed Remo wegen des Überfalls auf einen Geldtransporter am Ku‘damm den Großteil seiner Strafe hätte noch verbüßen müssen, wurde er Anfang Februar freigelassen – der Kokain-Entzug im Maßregelvollzug war wegen Platzmangels nicht möglich. Das bestätigte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft dem Tagesspiegel am Sonnabend.

Maßgeblich verantwortlich dafür, dass der Ex-Boxer und Neffe von Clan-Boss Issa Remmo vorzeitig auf freien Fuß gesetzt werden musste, ist die von Ulrike Gote (Grüne) geführte Gesundheitsverwaltung. Wie „Spiegel TV“ berichtet, ist Remo am Sonnabend nach Istanbul geflogen. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft konnte die Ausreise nicht bestätigten. Die Polizei war über die vorzeitige Freilassung nicht informiert, wie ein Sprecher am Sonntag sagte.

Ein Sprecher der Gesundheitsverwaltung sagte: Mit dem Fall „realisiert sich ein Risiko, das in der Stadt seit Jahren besteht und durch eine wachsende Zahl an Überstellungen von Straftätern in den Maßregelvollzug noch gesteigert wurde“. Derzeit verfüge der Maßregelvollzug „über keine Aufnahmekapazitäten mehr“. 

Der Senat müsse „umso dringender mit vereinten Kräften an einer gemeinsamen Lösung arbeiten“, sagte der Sprecher. „Viele Fragen der Finanzierung, Räumlichkeiten und Immobilien sowie der Personalausstattung hängen miteinander zusammen und sind nicht allein durch die Gesundheitsverwaltung zu beantworten“, sagte er.

Intern seien alle Möglichkeiten ergriffen worden, die Überlastung abzuwenden. Das Problem sei aber über viele Jahre entstanden und strukturell nur lösbar „mit einer langfristigen Ertüchtigung von Gebäuden, einer Aufstockung von Personal und einer gesetzlichen Reform“, um den Maßregelvollzug zu entlasten. Der Sprecher verwies auf Reformüberlegungen im Bund, die Strafen bereits nach der Hälfte der Zeit anstatt nach zwei Dritteln auf Bewährung auszusetzen.

Remo war im September 2021 vom Landgericht zu sieben Jahren Haft wegen schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden. Als Müllmänner verkleidet, maskiert und ausgerüstet mit Schreckschusswaffen hatten er und drei Komplizen am 19. Februar 2021 vor der Volksbankfiliale am Ku‘damm 648.500 Euro erbeutet. Ein fünfter Mann fuhr den Fluchtwagen.

Der Angeklagte Muhamed Remo (31) am 2. September 2021 vor dem Landgericht Berlin.

© imago images/Olaf Wagner

Der Clan-Mann war erst zweieinhalb Wochen vor der Tat aus der Haft entlassen worden. Die Täter schlugen zu, als Geldkassetten aus einem Geldtransporter ausgeladen wurden. Remo hatte laut Urteil einen der Sicherheitsmänner mit der Waffe bedroht, mit Pfefferspray besprüht und ihm den geladenen Dienstrevolver abgenommen. Ein Komplize machte mit dem zweiten Sicherheitsmann dasselbe. Nach der Tat setzten sie den Fluchtwagen in Schöneberg in Brand, um Spuren zu vernichten.

Remo wurde wegen seiner Kokainsucht überführt. Seine tropfende Nase hinterließ Spuren an der Kleidung eines Sicherheitsmannes. Ein Gutachter hatte ihm eine schwere, krankhafte seelische Störung wegen der Drogenabhängigkeit attestiert. Das Gericht verfügte neben der Haft die Unterbringung im Maßregelvollzug für bis zu zwei Jahre für den Drogenentzug.

Doch dazu kam es erst gar nicht. Eineinhalb Jahre nach seiner Verurteilung ist Remo nun wieder frei. Bereits seit September 2022 hätte er Anspruch auf die Therapie gehabt. Im Dezember kam eine weitere Verurteilung hinzu, insgesamt beläuft sich die Strafe deshalb auf etwas mehr als acht Jahre. Die zuständige Strafvollstreckungskammer habe am 3. Februar Remos Entlassung angeordnet, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Die sogenannte Organisationshaft für den Übergang zum Maßregelvollzug, für die nach geltendem Recht maximal sechs Wochen zulässig sind, habe bereits „übermäßig lange“ gedauert.

Für Remo hatte das Strafgericht im September 2021 zunächst einen sogenannten Vorwegvollzug angeordnet. Erst sollte ein Teil der Freiheitsstrafe vollstreckt werden, dann die Maßregel. Erst danach wäre entschieden worden, ob Remo die Reststrafe hätte absitzen müssen oder vorzeitig auf Bewährung entlassen werden könnte.

Remo hatte den sogenannten Vorwegvollzug der Strafe bereits verbüßt, „ohne dass der Verurteilte wegen der Kapazitätsengpässe im Anschluss sofort in das Krankenhaus des Maßregelvollzugs aufgenommen worden ist“, sagte die Sprecherin. Die Zwischenphase bis zum Maßregelvollzug heißt Organisationshaft.

Im Fall Remo hatte die Justiz mehrfach auf eine Lösung des Problems gedrungen. Sogar die Präsidenten des Land- und des Kammergerichts, Holger Matthiessen und Bernd Pickel, schalteten sich wegen der „grundlegenden Defizite“ ein. Im November und Mitte Dezember baten sie die von Lena Kreck (Linke) geführte Justizverwaltung per Schreiben, die Gesundheitsverwaltung „um Abhilfe zu ersuchen“.

Remo aus der Haftanstalt in den Maßregelvollzug zu bringen, sei jedoch gescheitert, weil der Maßregelvollzug „regelmäßig rückmeldete, noch keine Kapazitäten zu haben“, hieß es. Zudem habe der Maßregelvollzug „auf die Warteliste“ verwiesen, bis Mitte Januar sei „eine Aufnahme in den Maßregelvollzug nicht absehbar“ gewesen. Auch sei dem Vorschlag, Remo „auf der Warteliste vorzuziehen“, nicht gefolgt worden. Dabei habe die „Staatsanwaltschaft umfassende Bemühungen entfaltet“, um „eine zeitnahe Überführung in den Maßregelvollzug zu erreichen“.

Dem Krankenhaus des Maßregelvollzugs fehlen seit Jahren ausreichende Kapazitäten, die Staatsanwaltschaft habe das regelmäßig kritisiert und Besserung eingefordert, sagte die Sprecherin. Auf diesen Zustand habe sich auch die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts in ihrer Entscheidung berufen.

Auch die Verlegung in den Maßregelvollzug eines anderen Bundeslandes sei nur theoretisch möglich gewesen. Praktisch sei „die Situation in den anderen Bundesländern vergleichbar schwierig, sodass auch dort schon Haftentlassungen aus denselben Gründen erfolgt sind“, sagte die Sprecherin. Remos Anwalt erklärte, sein Mandant sei kein Einzelfall, nur wegen seines Namens errege der Fall Aufmerksamkeit.

Alle Möglichkeiten „alternativlos erschöpft“

„Einzige Lösung ist aus Sicht der Staatsanwaltschaft die bedarfsgerechte Ausstattung des Krankenhauses des Maßregelvollzugs“, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Mehrfach habe die Justiz die Gesundheitsverwaltung darauf hingewiesen. Erst im November hatte das Präsidium des Landgerichts in einem Schreiben erklärt, die „Strafvollstreckungskammern sehen die konkrete Gefahr, dass die geschilderten Missstände“ zur rechtlichen Einschätzung führen könnten, dass im Maßregelvollzug eine „ausreichende Behandlung von Untergebrachten nicht gewährleistet ist“. Dies könne „eine Entlassung von für die Allgemeinheit gefährlichen Untergebrachten zur Folge haben“. Bereits im September war ein verurteilter Straftäter aus der Haft entlassen worden, weil er dort zu lange auf einen Platz im Maßregelvollzug warten musste.

Die Gesundheitsverwaltung hat nach dem Schreiben erklärt, dass alle Möglichkeiten, die Insassen innerhalb des überfüllten Krankenhauses umzuverteilen, „alternativlos erschöpft“ seien. Der „akute Belegungsdruck“ erfordere entschlossenes Handeln. Um ein weiteres Gebäude auf dem Reinickendorfer Klinikareal auszubauen, fehlten die nötigen 46 Millionen Euro im Landeshaushalt.

Bei den Verurteilten, die wegen Platznot entlassen werden müssten, handele es sich in der Regel nicht um hochgefährliche Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen, sondern um solche mit Hang zur Sucht. Die als besonders gefährlich eingestuften psychisch kranken Straftäter würden trotz der angespannten Lage stationär untergebracht. Seit Jahren wird über das Krankenhaus des Maßregelvollzugs und einen Erweiterungsbau gestritten.

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