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© IMAGO/Rüdiger Wölk

Keine Haustiere, keine Partys und Nichtraucher: Bei Kleinanzeigen wird jeder zum bravsten Berliner

45.000 Kleinanzeigen geben Berliner beim gleichnamigen Portal auf – pro Tag. Das Ergebnis ist ein endloser Flohmarkt, der Trends, aber auch hässliche Wahrheiten über diese Stadt an die Oberfläche spült.

Schau mal auf Kleinanzeigen, raunt eine Kollegin. Voriges Jahr haben sich dort alle um ein ganz bestimmtes Sofa in Orange gerissen. Ist die Couch noch Trend in Berlin oder steht sie schon als Schmutzinsel in der Kategorie „Zu verschenken?“

Was immer in Berlin gesucht wird, es muss sich auf dem Online-Portal verbergen: Täglich würden in Berlin rund 45.000 Anzeigen aufgegeben, rechnet die Presseabteilung des Anbieters vor. Am Sonntag sind es nochmal 10.000 mehr. Wer soll das alles lesen?

Am vorletzten Junitag stehen mehr als zwei Millionen Anzeigen aus der Hauptstadt online, darunter 23.044 Gesuche. Aus den Zahlen des Portals lässt sich herauslesen, dass die Pankower am aktivsten sind und die Wilmersdorfer ihren Krempel anscheinend lieber auf Dachböden lagern, als ein Inserat zu schreiben. Weiter verrät die Statistik, dass in Mitte am meisten verschenkt wird und die Berliner besonders gerne in der Kategorie „Mode & Beauty“ einstellen, gefolgt von „Familie, Kind & Baby“ und „Haus & Garten“.

Ganz ohne Suchfilter treiben wir durch endlose Inserat-Wellen, greifen wie Macklemore in seinem Song „Thrift Shop“ diverses Zeug mit Potenzial aus dem Stapel: eine Interflug-Flugbegleiter-Mütze, ein defektes Tape-Deck, jede Menge Shorts. „I’ll wear your granddad’s clothes“, freut sich Macklemore. Nur nicht alles neu kaufen! Nichts Getragenes fällt auf Nimmerwiedersehen einfach aus der Zeit. Sieht doch fantastisch aus!

Doch die Anzeigen auf dem Digitalflohmarkt erzählen auch von den Problemlagen Berlins: Dem Arbeitsmarkt fehlen Paketboten, Reinigungs- und ganz besonders Pflegekräfte. Wie attraktiv sind diese Jobs noch, wenn die Angeworbenen nur noch weit außerhalb der Stadt eine Bleibe finden?

In den vorbeifliegenden Anzeigen fallen Gesichter auf. Die meisten von ihnen lächeln, doch die Menschen dahinter stecken im größten Schlamassel dieser Stadt: Die Wohnungsnot hat sie dazu gebracht, ihre Lebensumstände in einem Immo-Gesuch öffentlich auszubreiten.

Es sind Ärztinnen unter ihnen, Uni-Dozenten und Studierende. Ihre Bewerbungsschreiben an die „lieben Vermieter“ ähneln sich – egal, wer sie schreibt. Man raucht nicht, ist wegen der vielen Arbeit fast nie zu Hause und will dann „einfach nur zur Ruhe kommen“. Viele sind bereit, 1500 Euro für zwei Zimmer zu zahlen. Niemand feiert Partys, natürlich hält auch keiner ein Haustier.

Kinder? Lieber nicht, die werden durch ihre wachsenden Platzansprüche ohnehin zum Umzugsrisiko. Wenn überhaupt mal jemand anders die Wohnung betreten wird, dann kommen gut situierte Freunde auf einen Kochabend.

Auf nach Berlin! Um endlich der Enge einer verkrachten Wohngemeinschaft oder der Monotonie eines Zimmers in der Provinz zu entkommen, erklärt man sich zum bravsten Schaf der Herde. Der heißeste Sch**** hier bleibt eben eine Wohnung. Ohne die braucht man auch kein orangefarbenes Sofa.

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