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Die mobile Tierärztin Jeanette Klemmt erhielt 2023 das Bundesverdienstkreuz für ihren Einsatz für Tiere und Menschen. Ihr Projekt „HundeDoc“ ist angegliedert bei der zur Arbeiterwohlfahrt Berlin gehörenden Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin „Walter May“.

© Alena Schmick für den Tagesspiegel

Mehr als ein Herz für Hunde und Katzen: Wie eine Tierärztin sich für Mittellose einsetzt

An vier Tagen in der Woche versorgt Jeanette Klemmt die Tiere von Bedürftigen. Mit ihrer mobilen Praxis will sie die Menschen auch zu mehr Eigenverantwortung motivieren.

Von Sabine Hölper

Stupsi miaut, sie würde am liebsten fliehen. Also zieht Frauchen Petra den Griff noch etwas fester um den Bauch der buschigen Katze. So schafft es Tierärztin Jeanette Klemmt nach einigen Anläufen, die Analfisteln auszudrücken. Stupsi ist erlöst. Jetzt muss sie nur noch kurz auf dem Metalltisch warten, bis Petra und Jeanette Klemmt den nächsten Termin besprochen haben: Vor Weihnachten sollen eine Blut- und eine Blutdruckkontrolle vorgenommen werden.

Es ist ein nassgrauer Donnerstagnachmittag in der Eitelstraße, direkt um die Ecke vom S-Bahnhof Lichtenberg. Wie jeden Donnerstag zwischen 13 und 15.30 Uhr parkt hier ein weißer Transporter mit blau-orangem Band und der Aufschrift „HundeDoc“. Etwa alle 20 Minuten öffnet Jeanette Klemmt die Schiebetür und ruft den nächsten Patienten herein.

Grade für Obdachlose haben Hunde einen besonders großen Stellenwert.
Grade für Obdachlose haben Hunde einen besonders großen Stellenwert.

© picture alliance / Andreas Gebert/dpa

Katzen werden in Körbchen hineingetragen, Hunde an der Leine ins Automobil geführt. Die Haustiere werden zur Tierärztin gebracht, weil sie krank sind, eine Impfung benötigen oder entwurmt werden müssen – und weil Frauchen und Herrchen nicht genügend Geld für einen regulären Tierarzt haben. Es sind vor allem arme Rentner oder Suchtmittelabhängige sowie – an anderen Standorten – Jugendliche, die auf der Straße leben.

Von impfen bis entwurmen

Klemmt verarztet an vier Tagen in der Woche an verschiedenen Orten in Berlin Tiere. Seit 24 Jahren macht sie das. Im September wurde sie für ihre Arbeit mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Für viele ärmere Haustierbesitzer ist das Projekt HundeDoc ein Segen. Sie können ihre Hunde und Katzen veterinärmedizinisch versorgen lassen, ohne etwas zu bezahlen. Finanziert wird das Projekt zu 100 Prozent aus Spenden. Jede Zuwendung ist willkommen. Natürlich wissen das auch viele der Menschen, die zu Klemmt kommen, vor allem wenn sie regelmäßig vorbeischauen. Und manche geben auch selbst etwas dazu. Petra zum Beispiel drückt Klemmt im Anschluss an die Behandlung 30 Euro in die Hand. „Ich spare lange vor jedem Termin“, sagt die grauhaarige Frau.

Gemessen an den Einkünften der Benachteiligten sind die Zuwendungen hoch. Doch angesichts der Kosten für das Projekt sind sie gering. Klemmt muss von ihrer Arbeit schließlich leben können. Auch der Bus und der Sprit kosten, die medizinischen Geräte, die Medikamente, die umsonst ausgegeben werden. Selbst Operationen und Kastrationen werden meist kostenlos angeboten. Nur in Ausnahmefällen, etwa bei einer Dauermedikation, sollen sich die Halter, wenn möglich, an den Aufwendungen beteiligen, sagt Klemmt.

Gesenkter Kopf und brüchige Stimme

Nach Stupsi widmet sich die 55-Jährige einer weiteren Katze zu. Ennie leidet an einer chronischen Bauchspeicheldrüsenentzündung, die schwer zu therapieren ist. „Am besten ist eine intravenöse Medikation“, sagt Klemmt. „Doch beim letzten Mal sind die Venen geplatzt.“ Die Tierärztin belässt es bei diesem Termin daher bei der Untersuchung, fragt die Besitzerin Flynn, ob sie genügend Medikamente zu Hause hat, gibt Spritzen zur Behandlung mit, impft die Katze und entwurmt sie.

Als Ennie bereits wieder im Tragekorb sitzt, fragt Klemmt die Katzen-Mutter, wie es ihr geht. Sie kennt Flynn schon lange, weiß, dass sie psychische Probleme hat. Die junge Frau macht in diesem Moment einen schlechteren Eindruck als ihr Haustier. Mit gesenktem Kopf und brüchiger Stimme sagt sie: „Es ist November, ein sehr schwerer Monat.“ In diesem Augenblick wird klar, dass die Tierärztin nicht nur für die Haustiere, sondern auch für ihre Besitzer da ist.

Haustiere geben oft den einzigen Halt

Klemmt sagt, dass das zu ihrem Job gehört. Schließlich seien die, die zu ihr kommen, nicht vom Glück verwöhnt. „Einmal erzählte mir eine Mittzwanzigerin, nachdem das letzte Elternteil verstorben war, dass sie nun ganz alleine ist.“ Das Haustier gibt Menschen mit einem derartigen Schicksal oft den einzigen Halt.

Die bedürftigen Menschen standen von Beginn an im Mittelpunkt von Klemmts Mission. Natürlich sollte immer auch den Tieren geholfen werden. Doch über die Tiere will Klemmt auch an ihre Halter herankommen. „Tiere haben für Randgruppen einen sehr hohen Stellenwert“, sagt Klemmt. Sie seien oft das Synonym für Zuverlässigkeit und Partnerschaft und häufig die einzige Konstante in einem durch Brüche gezeichneten Lebenslauf.

Jeanette Klemmt erhielt im September 2023 das Bundesverdienstkreuz für ihren Einsatz.
Jeanette Klemmt erhielt im September 2023 das Bundesverdienstkreuz für ihren Einsatz.

© Alena Schmick/Alena Schmick

Ohne die Tiere würden die Menschen sozial noch mehr verelenden. Weil sie aber für ihre Tiere, meist Hunde, eine große Verantwortung entwickeln, kann HundeDoc genau hier ansetzen: Wer sein Tier zum Arzt bringt, sich also kümmert, kann im besten Fall dazu motiviert werden, für sich selbst Eigenverantwortung zu übernehmen.

Über das Tier den Mensch erreichen

Hinzu kommt, dass die mobile Tierärztin vor sozialen Einrichtungen parkt, also dort, wo Sozialarbeiter mit Menschen abseits der Gesellschaft in Kontakt kommen. Durch die Nähe können diese leichter an die Tierhalter herantreten. „Über das Tier soll der Mensch erreicht werden“, heißt es in einem Konzeptpapier der zur Arbeiterwohlfahrt Berlin gehörenden Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin „Walter May“, an die das Projekt HundeDoc angegliedert ist.

Manchmal geht es aber auch den umgekehrten Weg. Marina zum Beispiel kommt über „Housing First“, einem Projekt, das Obdachlosen Wohnungen vermittelt, zum HundeDoc in Lichtenberg. Jahrelang hat die 61-Jährige auf der Straße gelebt. Nun hat sie eine feste Adresse, die sie stolz in das Formular einträgt, das ihren kleinen Welpen registriert.

Geduldig schaut sie zu, wie Daisy, die vor Aufregung zittert, gechippt, geimpft und gewogen wird. Knapp vier Kilo bringt das Hündchen auf die Waage. Marina fragt, ob das zu wenig sei. „Nein, genau richtig“, lobt die Tierärztin. Anschließend berät sie die Halterin, klärt über die Vorteile einer Kastration auf, macht einen Termin für die zweite Impfung aus.

Daisy, auf deren Halsband „Hot Dog“ steht, wird ruhiger, Marina dreht auf, erzählt, warum sie es im Leben nicht leicht hatte, dass sie aber ihrem Sohn viel Gutes mitgegeben hat. „Er hat eine Ausbildung gemacht und arbeitet.“ Dann geht sie, bedankt sich, gibt der Tierärztin 20 Euro. „Bis bald“, sagt sie. „Bis demnächst“, sagt Klemmt.

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