zum Hauptinhalt
Lauren Wasser

© imago/ABACAPRESS

Modezeitschrift kürt „Model of the Year“: Lauren Wasser verlor ihre Beine wegen eines Tampons

Mit 24 erlitt Lauren Wasser das Toxische Schocksyndrom, ausgelöst durch einen Tampon. Elf Jahre später zählt sie zu den weltweiten Topmodels – und bekommt in Berlin einen Award verliehen.

Als Lauren Wasser vor elf Jahren aus dem Koma im Krankenhaus aufwachte, dachte sie, ihr Leben wäre vorbei. Sie war mit Symptomen einer leichten Grippe schlafen gegangen. Tatsächlich aber waren diese erste Anzeichen für das sogenannte Toxische Schocksyndrom, kurz TSS, das sie erlitt – ausgelöst von einem Tampon. Wassers Überlebenschancen lagen bei einem Prozent; nachdem sie wieder zu sich gekommen war, musste erst ihr einer, später ihr anderer Unterschenkel amputiert werden.

Mit ihrer Modelkarriere, dachte sie, sei es nun auf jeden Fall vorbei. „Ich hatte keine Ahnung mehr, wer ich war“, sagt sie in der Bar des Ritz Carlton am Potsdamer Platz in Berlin. Am Anfang sei sie überhaupt nicht damit zurechtgekommen, habe Selbstmordgedanken gehabt.

Doch irgendwann beschloss Wasser, dass sie nicht aufgeben würde, weder sich selbst noch die Karriere als Model – und machte aus der vermeintlichen Schwäche eine Stärke: Statt der medizinischen Prothesen, die ihre Unterschenkel ersetzten, holte sie sich goldene. Fortan ihr Markenzeichen, wurde Lauren Wasser als „Mädchen mit den goldenen Beinen“ weltberühmt.

Lauren Wasser beim „Women of the Year“-Award von Glamour in Berlin

© IMAGO/Eventpress

Wasser setzt sich auch dafür ein, Aufmerksamkeit für das Thema TSS zu schaffen, und will die großen Hersteller von Hygieneprodukten zur Rechenschaft ziehen – denn noch immer sterben junge Frauen, weil sie ein Tampon benutzt haben. Aber der Kampf sei hart, sagt sie. „Das ist eine Milliardenindustrie, die vor allem von Männern angeführt wird. Ich bin mir sicher: Wenn das ein Männerproblem wäre, gäbe es morgen eine Lösung dafür.“

Bei TSS dringen Bakterientoxine in die Blutbahn ein und können Multiorganversagen hervorrufen. Die Wahrscheinlichkeit, an TSS zu erkranken, ist allerdings extrem gering.

Nach Berlin eingeladen wurde Lauren Wasser von der Modezeitschrift „Glamour“, die am Donnerstagabend zum ersten Mal auch in Deutschland ihren „Women of the Year“-Award verliehen hat – ein Preis, der Frauen für gesellschaftliches Engagement, feministische Botschaften und Erfolg in einer noch immer patriarchalen Gesellschaft ehren und stärken soll. Wasser bekommt den Preis als „Model of the Year“.

Sängerin Phenix Kühnert beim „Women of the Year“-Award von „Glamour“ in Berlin.

© Isa Foltin/Getty Images für GLAMOUR Germany

Die Verleihung des Awards fand im kürzlich im ehemaligen Kunsthaus Tacheles eröffneten Fotografie-Museum Fotografiska statt. Das Künstlerhaus wurde 2012 zwangsgeräumt und musste der Neugestaltung des Areals in Richtung Luxussegment weichen. Dass sich nun Berliner Gen-Z-Prominenz in glitzernder Cocktail-Garderobe im noch immer mit Graffiti bemalten Treppenhaus drängelt, hat zwar ein leichtes Geschmäckle, wie man im Prenzlauer Berg sagt – das lässt sich aber gut mit ein bisschen Champagner hinunterspülen.

Zynismus beiseite: Während Berlin-Mitte zu Tacheles-Hochzeiten Anfang der Nuller Jahre zwar cooler und weniger Kadewe war, war die Modewelt damals brutal. Wer nicht aussah wie Kate Moss, hatte keine Chance auf Erfolg, der sogenannte „Male Gaze“ bestimmte in allen Bereichen, wie Frauen dargestellt wurden.

Mode-Influencerin Melis Gedik beim „Women of the Year“-Award von „Glamour“ in Berlin.

© Isa Foltin/Getty Images für GLAMOUR Germany

Fast zwei Dekaden später hat sich nicht alles, aber vieles geändert. Auch „Glamour“ hat sich bei der Auswahl der Gäste an diesem Abend sehr um Diversität bemüht: Mit der Mode-Influencerin Melis Gedik aka „Rockahontas“ war eine Frau im Rollstuhl Laudatorin, Aktivistin und Sängerin Phenix Kühnert bekam als trans Frau den „Gamechanger“-Award.

In ihrer Rede sprach sie sich gegen Diskriminierung und Hass gegenüber trans* Menschen aus und betonte, wie wichtig es sei, Position gegen Transfeindlichkeit zu beziehen: „Ich freue mich sehr, heute hier zu stehen – vor allem, weil es so viele da draußen gibt, die mir keinen ‚Women of the Year‘-Award verleihen würden“, sagte sie. „Still für sich zu bekunden“, für die Rechte von trans* Menschen zu sein, reiche im aktuellen gesellschaftlichen Klima nicht aus. „Denn für transfeindliche Menschen da draußen, die sich täglich diskriminierend äußern und verhalten, heißt Schweigen Zustimmung.“

Luisa Neubauer beim „Women of the Year“-Award von Glamour in Berlin

© Isa Foltin/Getty Images für GLAMOUR Germany

Auch Klimaaktivistin Luisa Neubauer bekam einen Preis für ihr Engagement, überreicht von Grünen-Chefin Ricarda Lang. In ihrer Rede sagte Neubauer, dass sie verstehe, wenn Menschen sich mit Blick auf die aktuelle Weltlage zurückzögen. Doch Ohnmacht sei ein Privileg. „Ein Privileg derer, die von Krisen und Katastrophen nur so indirekt betroffen sind, dass sie es sich leisten können, in Resignation oder in Gleichgültigkeit zu versinken.“ Ein Satz, den man wohl auf fast alle Themen des Abends anwenden kann.

Fast alle der Preisträgerinnen und Laudator:innen – auf der Bühne stand nur ein einziger Mann – erzählen davon, wie sie als weibliche Personen noch immer gegen das Patriarchat ankämpfen müssen; davon, dass sie oft Hass, Häme und Gewalt ausgesetzt sind. Aber auch, dass sie von vielen Seiten Zuspruch für das bekommen, was sie machen.

Zumindest an diesem Abend sind der Zuspruch und die gegenseitige Unterstützung groß: Wann immer sich auf der Bühne jemand vor Aufregung verhaspelt, tönt es aus den vorderen Reihen: „You go Girl!“ oder „You are gorgeous!“ Fast fühlt es sich an, als sei man in einer Barbie-Land-Utopie gelandet – allerdings in einer, in der fast niemand Pink und fast alle Schwarz tragen. Wir sind hier schließlich immer noch in Berlin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false