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© IMAGO/Seeliger

Nächtliche Festnahme eskaliert: Gericht verurteilt Berliner Polizisten wegen Körperverletzung

Mit seinem Stiefel tritt ein Polizist gegen den Kopf eines 22-Jährigen – und wird zu einer Bewährungsstrafe und Schmerzensgeld verurteilt. Auch seine Kollegen sagen gegen ihn aus.

Die frühen Morgenstunden des 13. Mai 2023. Der Berliner Polizist Hussein J. hat mit einem Kollegen Nachtschicht, als sein Funkstreifenwagen einen Notruf erhält. Unter dem Stichwort „Sachbeschädigung an einem Kfz“ eilen die beiden Beamten zum Einsatzort am Breitenbachplatz in Berlin-Dahlem. Ein Unbekannter soll dort die Scheibe eines geparkten Autos eingeschlagen haben. Ein Einsatz, in dessen Folge J. knapp sieben Monate später zu einer Bewährungsstrafe und Schmerzensgeld verurteilt wird.

Via Funk erhalten die Beamten an besagtem Morgen eine ungefähre Beschreibung des Täters. Nur eine Ecke entfernt vom beschädigten Auto stoßen die Polizisten schließlich auf einen 22-Jährigen und seine Freundin. Das Aussehen des 22-Jährigen passt zur Beschreibung des Tatverdächtigen. Die Polizisten steigen aus ihrem Wagen aus und gehen auf das Paar zu.

Der 22-jährige Antony M. (Name von der Redaktion geändert) kommt aus Hamburg, sein Vater und seine Freundin leben in Berlin. Sein Lebensmittelpunkt hat er deswegen in die Hauptstadt verlegt.

M. befand sich in einer Krise – und schlug eine Scheibe ein

An diesem Abend ist er bei der Familie seiner Freundin zum Essen eingeladen. Ihm ging es zu diesem Zeitpunkt gar nicht gut, erzählt er vor Gericht. Der Jahrestag des Todes eines guten Freundes jährte sich im Mai, außerdem lag seine Schwester schwer krank in der Klinik. Sein Studium hatte er gerade abgebrochen und er suchte erfolglos eine Wohnung. Man kann sagen, M. befindet sich in einer Lebenskrise, als er mit seiner Freundin gegen 2.45 Uhr in dieser Nacht unterwegs ist.

Diese Krise bricht auf dem Nachhauseweg aus ihm heraus. Seine Freundin schildert vor Gericht, dass M. völlig aufgelöst gewesen sei, „sehr aufgewühlt, es ging ihm sehr schlecht“. In dieser Situation habe er plötzlich die Scheibe eines geparkten Autos eingeschlagen. Sowohl M. als auch seine Freundin geben das vor Gericht zu. M. sagt, es sei ihm nicht um eine Beschädigung des betreffenden Autos gegangen, die Wut sei plötzlich aus ihm herausgebrochen, er habe nicht nachgedacht.

Als die beiden Polizisten auf das Paar treffen, machen diese laut Zeugenaussagen keine Anstalten zu fliehen. Vielmehr bitten M. und seine Freundin die Beamten darum, sich kurz zu sammeln, bevor man über die Straftat spreche. Was dann passiert, beschreibt Polizist Hussein J. vor Gericht so: „Er hatte die Fäuste geballt und gedroht, uns zu boxen. Dann ist er zuerst auf meinen Kollegen losgegangen.“ Es kommt zum Handgemenge, die Polizisten setzen Pfefferspray ein.

Der Beamte J. erzählt vor Gericht, er habe einen Faustschlag abbekommen. Die Auseinandersetzung verlagert sich auf den Boden. „Wir waren nur noch ein Klumpen an Mensch“, sagt Polizist J. Dann habe er gehört, wie sein Kollege geschrien habe, er werde von M. in den Arm gebissen.

Der Polizist trat dem 22-Jährigen gegen den Kopf

Nach und nach trifft Verstärkung ein. Vier Polizisten und Polizistinnen werden vor Gericht als Zeuge angehört. Alle berichten sie von einem „menschlichen Knäuel“, dass sie am Einsatzort vorgefunden haben. Mit der Zeit gelingt es den Beamten, M. mit vereinten Kräften am Boden zu fixieren. Und dann passiert das, was Polizist J. seine weitere Polizeikarriere kosten könnte – und der Grund ist, warum er an diesem Montagmittag auf der Anklagebank sitzt.

M. liegt mit dem Bauch auf dem Boden, die Polizisten sind kurz davor, seine Hände auf dem Rücken zu fixieren, als sich der durch die körperliche Auseinandersetzung verletzte Beamte J. einige Meter vom Geschehen entfernt. Eine Kollegin von ihm berichtet vor Gericht, es habe so ausgesehen, als hätte J. Blut ausgespuckt. Völlig „geistesabwesend“ habe er gewirkt, berichtet eine weitere Polizistin. Dann sei der Beamte „zielgerichtet“ auf M. am Boden zugegangen und habe ihm mit seinem schweren Polizeistiefel gegen den Kopf getreten.

Seine Kollegen sehen das und ziehen ihn von M. weg. Noch vor Ort machen die anderen Polizisten J. deutlich, er habe eine Grenze überschritten. Sie melden den Vorfall sofort dem diensthabenden Vorgesetzten in dieser Nacht und stellen eine Anzeige wegen Körperverletzung im Amt. Vor Gericht sagen alle am Einsatz beteiligten Beamten gegen J. aus, der zunächst davon spricht, er habe mit seinem Tritt lediglich die Schulter treffen wollen, um die Festnahme zu erleichtern. Doch seine Kollegen und Kolleginnen widersprechen ihm.

Im Prozess gegen M. treffen beide erneut aufeinander

Am Ende liefert J. ein Teilgeständnis ab, räumt ein, dass er womöglich den Kopf von M. getroffen habe. Und er entschuldigt sich bei dem 22-Jährigen, der durch den Einsatz schwer verletzt wurde. Auch die psychischen Folgen seien immens, insbesondere was sein Verhältnis zur Polizei betrifft. Durch die Aussagen der beteiligten Polizisten sei jedoch das Vertrauen teilweise wiederhergestellt, berichtet der Anwalt von M., der auch als Nebenkläger auftritt.

Auch Polizist Hussein J. wird bei dem Einsatz schwer verletzt, ist über fünf Monate krankgeschrieben und hat erst vor kurzem wieder angefangen zu arbeiten. Die Richterin verurteilt ihn am Ende zu zehn Monaten Haft auf Bewährung und einem Schmerzensgeld von 600 Euro an den geschädigten M. Es sei etwas Besonderes, dass in dem Prozess mehrere Polizisten gegen ihren eigenen Kollegen ausgesagt haben, macht die Richterin deutlich.

Ob J. weiter als Polizist arbeiten kann, bleibt zunächst unklar und hängt auch von dem Urteil einer Prozessbeobachterin der Berliner Polizei ab, die ebenfalls im Gerichtssaal anwesend war.

Klar ist dagegen, dass M. und J. sich nicht das letzte Mal gesehen haben. Auch der 22-jährige M. muss sich wegen der Nacht des 13. Mai in einem abgetrennten Verfahren vor Gericht verantworten. In diesem Fall wird Polizist J. dann als Geschädigter und Zeuge auftreten.

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