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© Tagesspiegel/Kitty Kleist-Heinrich

Neuer Standort für Berlins Landesbibliothek: Von Albert Einstein, dem Wissen der Welt und einer Milliarde Euro

Die Galeries Lafayette sind als neuer Ort für die Zentral- und Landesbibliothek im Gespräch. Unsere Kolumnistin ist gespalten – und erinnert sich an den Bücherbus in ihrer Kindheit.

Eine Kolumne von Hatice Akyün

Ich bin trigespalten. Auf der einen Seite finde ich die Idee großartig, dass die Berliner Zentral- und Landesbibliothek mitten in der Stadt in ein feudales Gebäude einzieht. Dann befürchte ich aber, dass die Menschen, die eine öffentliche Bibliothek am meisten nötig hätten, sich vor lauter Ehrfurcht nicht hintrauen. Und wie Berlin die irre Summe von einer Milliarde Euro, die als Kosten im Raum stehen, aufbringen möchte, kann ich mir nicht mal mit Psychedelika vorstellen.

An meinen ersten Büchereibesuch kann ich mich gut erinnern. Eigentlich war es keine richtige Bibliothek, es war der Bücherbus der Stadt Duisburg, der immer donnerstags bei uns in der Zechensiedlung hielt. Ich war ungefähr zehn.

Bis zu diesem Zeitpunkt kannte ich nur Schulbücher, zu Hause hatten wir keine. Ich habe bis heute den Geruch von Bohnerwachs auf den Linoleumböden in der Nase und fühle die Ausleihkarten aus braunem Karton mit den vollgeschriebenen Namenskürzeln und den Datumsstempeln, die hinten eingesteckt waren.

Oft werde ich mit meiner Geschichte vom kleinen Türkenmädchen, das sich in Büchern verlor, als Beispiel genannt, wie wichtig der Zugang zu Büchern ist. Ich würde viel lieber jene hervorheben, die die Idee hatten, damit auch Menschen ohne eigene Bibliothek die Möglichkeit bekommen, sich das Wissen der Welt zu erlesen. Mehr als neun Millionen Menschen besuchen jährlich eine Berliner Bibliothek, nur drei Millionen gehen ins Bürgeramt.

Albert Einstein soll gesagt haben: „Der Horizont vieler Menschen ist ein Kreis mit dem Radius Null – und das nennen sie ihren Standpunkt.“ Vermutlich hat er recht, aber das heißt nicht, dass man den Radius nicht erweitern kann, Stück für Stück, durch Wissen ausdehnen.

Wer sich Wissen aneignet, ist in der Lage, Dinge einzuordnen, seinen Standpunkt zu formulieren und mit Fakten zu belegen. Austausch, der auf Fakten basiert, ist nicht nur ein großer Gewinn für die Demokratie, sondern der wirksamste Schutz vor populistischer Politik. Und dann wirkt die Milliarde fast schon wie Peanuts.

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