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30.04.2022, Berlin: Dort, wo gestern eine sechsfache Mutter mit Messerstichen getötet wurde, wurden Blumen und Kerzen der Anteilnahme abgelegt. Foto: Jörg Carstensen/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Jörg Carstensen

Prozess um Tod von Zohra G. in Berlin: Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft für Mord an sechsfacher Mutter

Gul A. soll seine Ehefrau ermordet haben, weil er das eigenständige Leben seiner Frau missbilligte. Als letzter Zeuge im Prozess sagte ihr ältester Sohn aus.

Der älteste Sohn des Angeklagten als letzter Zeuge. Der schmale Junge aus Afghanistan hatte keinen Blick für den Vater. „Er hat uns Kinder und unsere Mutter geschlagen“, sagte der 14-Jährige am Donnerstag vor dem Landgericht. Gul A., sein Vater, habe mehrmals mit der Tötung der Mutter gedroht. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ermordete er Zohra G., weil er „das eigenständige Leben seiner Frau nicht hinnehmen wollte“. Auf lebenslange Haft plädierte Oberstaatsanwalt Ralph Knispel nach knapp neunmonatigem Prozess.

Gul A. ist 43 Jahre alt. Er hatte Zohra G. 2008 in Afghanistan nach islamischem Recht geheiratet. Da war sie 17 Jahre alt. Eine arrangierte Ehe sei es gewesen. Zohra G. brachte bis 2019 sechs gemeinsame Kinder zur Welt. 2016 habe die Flucht aus Afghanistan begonnen. Über mehrere Stationen kam die Familie Anfang 2020 in Berlin an und lebte in einem Flüchtlingsheim in Pankow. In Deutschland soll sich die 31-jährige Mutter zunehmend emanzipiert haben.

Der Mann aber habe nach der Ankunft in Berlin „alte Gewohnheiten“ wieder angenommen, so der Ankläger. Wenn sie sich nicht fügte, „neigte er zu Gewalt“. Für den Fall einer Trennung habe er Zohra G. mit dem Tod gedroht – „selbst im Beisein der Kinder“. A. habe ein Frauenbild aus seiner Heimat verfolgt, habe Gleichberechtigung nicht akzeptieren wollen, sei eifersüchtig gewesen. Zohra G. wollte nicht länger ein gemeinsames Leben.

Nach zwei körperlichen Attacken im Februar und März 2022 musste Gul A. das Wohnheim verlassen. „Schuld war Vater“, sagte der Sohn im Zeugenstand. Der Vater habe sich danach ständig in der Nähe der Unterkunft aufgehalten – „24 Stunden am Tag“.

Zohra G. hatte eine Scheidung der nach islamischem Recht geschlossenen Ehe angeschoben. Es gab zuvor Treffen, in denen es um die Frage einer Versöhnung ging. Die Mutter lehnte ab. Seine Mutter habe seinem Vater auch Geld angeboten, das von ihrem Vater aus Afghanistan kam, schilderte der älteste Sohn. „Opa hatte ein Haus verkauft und 20.000 Euro geschickt.“ Seine Mutter habe seinem Vater angeboten: „Du kannst die Hälfte haben, wenn du uns in Ruhe lässt.“ Gul A. aber habe die gesamte Summe verlangt.

Zohra G. lebte zuletzt in Angst. „Großmutter sagte, sie soll nicht so oft rausgehen“, berichtete der 14-jährige Zeuge. Von den Drohungen hätten „Tante, Oma und Opa und die Polizei“ gewusst.

Am 29. April vorigen Jahres wollte Zohra G. nur kurz zur Post. Dann der Angriff auf offener Straße. Ein Femizid, so einer der Anwälte der Nebenklage. Gul A. soll seiner zu dem Zeitpunkt bereits geschiedenen Frau aufgelauert haben. Weil er seine vermeintliche „Ehre“ wiederherstellen wollte, weil sie sich „seinen Vorgaben und Moralvorstellungen“ widersetzte.

„13 Stiche und Schnitte fügte er seiner Frau zu“, hieß es weiter im Plädoyer des Anklägers. Dann habe Gul A. den Kopf der Frau angehoben – „er versetzte ihr einen tiefen Schnitt in den Hals“. Für Zohra G. kam jede Hilfe zu spät. Sie verblutete.

Es sei ein Mord aus niedrigen Beweggründen gewesen, so der Ankläger. A. sei eifersüchtig gewesen, habe die Scheidung nicht hinnehmen und von seinem Frauenbild nicht abrücken wollen, habe sich „von seinem Herrschaftsanspruch über seine Familie leiten lassen“. Um seine vermeintliche „Ehre“ wiederherzustellen, habe er die Frau getötet.

Gul A. hatte Messerstiche zwar zugegeben, aber von einem „Unfall“ gesprochen. „Ich habe etwas Dummes gemacht, es war keine Absicht“, erklärte der 43-Jährige. Er sei „durchgedreht“ und habe die Kontrolle über sich verloren, er schäme sich. Allerdings habe ihn die Frau „provoziert“. Am 8. September sollen die Verteidiger plädieren.

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