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Fotos: dpa/Paul Zinken (2); Björn Kietzmann

© dpa

Berlin: Sag’s mit Nelken

Alt- und Neulinke zelebrieren ihr Gedenken auf dem Friedhof in Friedrichsfelde – doch es gibt auch Abweichler.

Sozialismus wärmt von innen. Die Wärme, die er spendet, hält offenbar auch bei Unternull-Temperaturen einigermaßen lange vor. Ohne Eile, ohne Hektik erinnerten an diesem Sonntag Zehntausende Linke vor und auf dem Sozialistenfriedhof Friedrichsfelde in Lichtenberg an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Die beiden Politiker und Vordenker des Sozialismus waren am 15. Januar 1919 von paramilitärischen Einheiten ermordet worden.

Das Treffen auf dem Friedhofsvorplatz, der Gang zum Gedenkstein, das Niederlegen einer roten Nelke – das mag für manchen eine Erinnerung an die DDR sein, für viele andere ist es das große Linken-Treffen Berlins, ein Polit-Hochamt zum Jahresbeginn. Da kommen die Alten mit strengem Blick über dunkel getönten Brillengläsern im Metallgestell, aber eben auch viele Junge, rote Kapuzenjacken mit Lenins markantem Schädel, Rastalocken-Anarchos, zauselbärtige mutmaßliche Intellektuelle schlendern zwischen den Ständen strammlinker Ideologieproduktion. Die „Junge Welt“ und das „Neue Deutschland“ sind vor Ort, ein paar Meter weiter steht ein ältlicher Liedermacher und singt mit Bitterkeit in der Stimme vom Kapitalismus, der auf den Mist gehöre, der Refrain – „Heididi- Heida“ – geht dem Künstler leicht über die Lippen.

Früher am Tag hatte sich die Linken-Prominenz vor dem hochragenden Gedenkstein versammelt. Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, Gregor Gysi, Katja Kipping, Bernd Riexinger, Petra Pau, Dietmar Bartsch, Klaus Lederer waren erschienen, ein Kranz mit Schleife wurde niedergelegt. Wie in jedem Jahr reihen sich davor und danach die, denen es ums Gedenken an zwei Helden der Sozialismus geht, zu einer langen Schlange der Nelkenträger, bis jeder die Gelegenheit hat, an dem Stein seine rote Nelke abzulegen.

Die Kundgebung auf dem gepflasterten Friedhofsvorplatz ist eher in Richtung Zukunft orientiert. Von einer Bühne aus, neben der auf einem Transparent die Köpfe von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Tsetung nach links in die Zukunft blicken, werden die Zuhörer agitiert. Ein paar tausend Menschen waren es auch am Mittag noch, die dem Gitarristen und den beiden Sängerinnen vom „Jugendverband Rebell“ lauschten – oder dem gleichermaßen wort- und stimmgewaltigen Frontmann der MLPD, der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands, Stefan Engel.

Der kräftige Mann marschiert, in weniger als zehn Minuten von Karl Marx bis in die Gegenwart, die aus lauter Krisen bestehe – „der ganze Kapitalismus ist eine einzige Krise“. Dagegen setzt Engel den „Freiheitsgedanken“ der MLPD, manche applaudieren dazu, andere gehen weiter zum Stand der DKP, wo die Glühweinproduktion auf Hochtouren läuft.

Eine nicht ganz kleine Gruppe junger Linker geht inzwischen auf Abstand zu einer Gedenkkultur, in der auch für Stalin und Mao Ehrenplätze bereitgehalten werden. Ein Bündnis linker Gruppen hat am Sonntagvormittag zur Separat-Demo aufgerufen – weit entfernt vom Sozialistenfriedhof, nahe bei der Stelle im Landwehrkanal, wo 1919 die Leiche Luxemburgs gefunden worden ist. Auf dem Olof- Palme-Platz an der Budapester Straße in Charlottenburg trafen sich Jusos und junge Linke der Linken-Nachwuchsorganisation „solid“, dazu Gewerkschaftler von Verdi und vom DGB, und auch der Piraten-Abgeordnete Gerwald Claus- Brunner erschien, wie stets mit Palästinenser-Kopftuch und Latzhose.

Ein paar hundert vor allem junge Leute wollten auf diese Weise zeigen, dass es so etwas wie ein neues Nachdenken über die Ikonen der Linken gibt – und darüber, wie es mit dem Sozialismus weitergehen könnte. Vor allem von den Stalinisten und Maoisten, die in den vergangenen Jahren bei der „LL-Demo“ genannten Kundgebung in Lichtenberg zu sehen waren, wolle man sich distanzieren, sagt ein junger Fahnenträger von „solid“. Stalin und Mao, das sei „kein gutes Bild“.

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