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In einem Biergarten am 14. Mai 2023.

© Getty Images/ADAM BERRY

Türkische Präsidentschaftswahlen: In Berlin gewinnt Erdoğan hauchdünn gegen Kılıçdaroğlu

Die Stimmen in Berlin sind ausgezählt: Erdoğan liegt 0,6 Prozent vor Kılıçdaroğlu. Es ist das knappste Ergebnis deutschlandweit. Die Opposition blickt auf die kommende Stichwahl.

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Erstmals in der türkischen Geschichte kommt es zu einer Stichwahl bei der Präsidentschaftswahl. In Berlin liegt Erdoğan laut NTV im ersten Wahlgang mit 49,2 Prozent knapp vor seinem Herausforderer Kılıçdaroğlu, der auf 48,8 Prozent kommt.

Die türkische Botschaft hat noch keine offiziellen Zahlen bekannt gegeben. Doch übereinstimmenden Angaben zufolge entschied sich im Laufe des Nachmittags, dass Erdoğan auch Berlin gewinnt. Es war deutschlandweit mit Abstand das engste Rennen, denn nirgendwo sonst konnte das Oppositionsbündnis mehr als 40 Prozent für ihren Kandidaten holen.

In Deutschland liegt Erdoğan laut Zahlen von CNN Türk mit 65 Prozent der Stimmen vorne, gleiches gilt für sein Bündnis bei der Parlamentswahl. „Wir sind betrübt über das Ergebnis, aber es hat sich gelohnt, sich in Berlin zu engagieren“, sagt der Berliner Vorsitzende der Oppositionspartei CHP Kenan Kolat. Mit Blick auf die Stichwahl, die ab dem 21. Mai in Deutschland und am 28. Mai in der Türkei stattfindet, kündigt er an, dass die CHP wieder alles tun werde, um ihre Wähler an die Wahlurne zu bekommen.

Es ist wichtig, den Widerstand gegen Erdoğans Regierung aufrechtzuerhalten.

 Ferat Koçak, Linken-Abgeordneter

Auch der Linken-Abgeordnete Ferat Koçak hält es für zentral, die Motivation für einen Wandel hochzuhalten. „Es ist wichtig, den Widerstand gegen Erdoğans Regierung aufrechtzuerhalten.“ Die Wahlnacht verbrachte Koçak, der vor seiner Abgeordnetentätigkeit im Berliner Landesvorstand der prokurdischen HDP war, im Lokal Südblock am Kottbusser Tor. „Die Strategie der AKP hat in der Nacht funktioniert: die Stimmung der Opposition zunächst durch Zahlen zu dämpfen, die großzügig für Erdoğans Regierung ausfallen.“

Koçak fällt es angesichts von Videos, die Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe zeigen, schwer, den Sieg der AKP und MHP zu akzeptieren. Kolat wiederum sind keine größeren Probleme bekannt. Doch die Regierung, so Kolat, habe den Staatsapparat für den Wahlkampf genutzt. „Erdoğan hat es geschafft, die Türkei in zwei Lager zu spalten. Er hat durch Polarisierung und Diffamierung seine Machtstellung im Parlament gesichert. Es ist das rechteste Parlament der türkischen Geschichte“, urteilt er.

Die politische Situation in der Türkei besorgt auch die Grünen-Abgeordnete Tuba Bozkurt: „Bei meiner kürzlichen Reise in die Erdbebenregion habe ich die zunehmende Polarisierung und das gegenseitige Misstrauen beider politischen Lager sehen können. Dieses wirkt sich auch auf die türkischstämmige Community hier in Berlin aus.“ Die Wahl gestern zeige: „In Deutschland kann sich Präsident Erdoğan weiterhin auf eine Mehrheit verlassen, wenn auch nicht so sehr in Berlin“ sagt sie.

Für den SPD-Abgeordneten Orkan Özdemir hängt der Ausgang der Stichwahl klar mit dem Auftreten des oppositionellen Bündnisses zusammen, das gegen Erdoğan gewinnen will: „Ein neuer Aufbruch kann nur gelingen, wenn das demokratische Oppositionsbündnis alle verschiedenen Gruppen in der Türkei mit einbezieht“, sagt er.

Die Historie der Partei CHP müsse man auch kritisch betrachten. „Sie hat in den 80er und 90er Jahren durchaus dazu beigetragen, dass Erdoğan überhaupt erst übernehmen konnte“, sagt Özdemir. Erdogan habe die Macht erlangen können, weil er auf enttäuschte und vernachlässigte, einfache und fromme Menschen einen Fokus legte.

Das CHP-geführte Oppositionsbündnis steht jetzt vor einer schwierigen Frage: „Wieso sollte der Präsident gewählt werden, der keine Mehrheit im Parlament hat?“, fragt Kolat und fügt hinzu: „Dafür müssen wir jetzt eine Argumentation entwickeln.“ 

Die Türkei steht vor gewaltigen Herausforderungen. Die türkische Bevölkerung ist in der Frage gespalten, wer sie in Zukunft führen soll. Gleiches gilt für die türkischen Wahlberechtigten in Berlin. 

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